Der doppelte Europa-Doppelschlag vor der Sommerpause geht am Wochenende mit dem Grand Prix von Frankreich in die nächste Runde. So ganz logisch ist die von den F1-Planern ausgearbeitete Reiseroute nicht, die den GP-Zirkus von Silverstone über Spielberg und Le Castellet im kontinentalen Zickzack-Kurs bis nach Budapest führt. Die nun anstehende Stippvisite auf dem Circuit Paul Ricard könnte übrigens vorerst die letzte sein. Das Rennen droht 2023 aus dem Kalender zu fliegen.
Mercedes mit dabei?
Ferrari reist nach den Siegen in Silverstone und Spielberg selbstbewusst an. Der Rückstand von Charles Leclerc auf Max Verstappen in der Fahrerwertung beträgt "nur" noch 38 Zähler. Gerne würde die Scuderia-Speerspitze noch ein paar Zähler davon abknabbern. Bei nur 180 Kilometern Entfernung zu Monaco könnte man Le Castellet fast als zweites Heimspiel für Leclerc bezeichnen. Was die Unterstützung der Fans angeht, wird aber wohl wieder die Farbe Orange auf den Tribünen dominieren.
Die große Frage lautet, ob Mercedes endlich in den Kampf der Top-Teams eingreifen kann. Die Formkurve der Silberpfeile zeigte zuletzt immer weiter nach oben. Doch zu Ferrari und Red Bull fehlten stets ein paar Zehntel. Was das Layout und den sehr ebenen Asphalt angeht, dürfte Paul Ricard dem W13 aber besonders gut schmecken. Dazu haben die Ingenieure noch ein paar Technik-Upgrades angekündigt.
Interessant wird auch, wer sich am besten auf die äußeren Bedingungen einstellen kann. Die extreme Hitzewelle, die Europa aktuell fest im Griff hat, schwächt sich zum Wochenende zwar leicht ab. Bei Höchsttemperaturen von 35°C wird es für Mensch und Material aber trotzdem keine Spazierfahrt. Regen ist weit und breit nicht in Sicht.
Die Strecke – Circuit Paul Ricard
Der Bau der 5,842 Kilometer langen Rennstrecke vor den Toren von Le Castellet wurde 1969 vom Spirituosen-Hersteller Paul Ricard finanziert. Seitdem trägt der Kurs den Namen des alkoholischen Getränks. Über die Jahre bauten die Verantwortlichen das Asphaltband immer wieder um und ermöglichten verschiedene Layout-Varianten.
Seit dem Abschied der Formel 1 im Jahr 1990 machte sich der Circuit Paul Ricard vor allem als Austragungsort von Motorrad-Rennen und als Teststrecke für Langstrecken-Autos einen Namen. Auch die Formel 1 kam zwischenzeitlich zum Test von Regenreifen zurück. Dank künstlicher Bewässerung lassen sich konstant feuchte Bedingungen erzeugen.
Das markanteste Feature des Kurses ist die 1,8 Kilometer lange Mistral-Gerade. Für die Formel 1 wird die Vollgaspassage allerdings durch eine Schikane in zwei Hälften geteilt. Beim Comeback-Rennen 2018 gab es wider Erwarten etwas Überhol-Action, weil der Wind auf der Geraden von vorne blies und damit den DRS-Effekt verstärkte.
In den 15 Kurven ist für jeden Geschmack etwas dabei. Im ersten Sektor wartet ein sehr langsamer, technischer Abschnitt auf die Piloten. Mit Turn 10 und Turn 13 sind weiter hinten aber auch zwei Vollgas-Kurven dabei. Die höchsten Fliehkräfte spüren die Fahrer in Kurve 11.
Das freie Corona-Jahr 2020 haben die Veranstalter genutzt, um 70 Prozent der Strecke neu zu asphaltieren. Dabei wurden Bodenwellen glattgebügelt und die Neigung einiger Kurven verändert, um den Piloten das Leben etwas schwerer zu machen. Der neue Belag ist allerdings nicht ganz so rau, was den Reifenverschleiß reduziert.
Das Setup:
Die Schikane in der langen Gerade erleichtert den Ingenieuren die Wahl der Flügel. Die hohe Anzahl der Kurven fordert überdurchschnittlich viel Abtrieb. Da die Randsteine flach und der fast komplett neu asphaltierte Untergrund sehr eben ist, kann das Fahrwerk weit runtergeschraubt werden. Die Dämpfer sollten aber nicht ganz auf die härteste Stufe gestellt werden. Aus den engen Kurven heraus ist Traktion gefragt.
Die Balance ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Die schnellen Richtungswechsel verlangen nach einem gutmütigen und gut balancierten Auto. Bei den zu erwartenden Temperaturen von 35°C dürfte auch die Kühlung auf dem Zettel der Ingenieure ganz oben stehen. So heiß war es dieses Jahr noch nie. Dank guter Simulations-Tool erwarten wir aber keine großen Dramen.
Die Frage lautet, ob der Reifenverschleiß wie schon in Spielberg ein entscheidender Faktor wird. Pirelli bringt wie schon im Vorjahr die mittelharten Sorten C2, C3 und C4 nach Südfrankreich. 2021 hat Max Verstappen das Rennen mit einer Zweistopp-Strategie gewonnen. Alle anderen Autos bis zu Platz 14 kamen nur einmal zum Reifenwechsel an die Box.
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Fast Facts:
- Streckenlänge: 5,842 km
- Rennrunden: 53
- Renndistanz: 309,66 km
- Anzahl Kurven: 15 (6l, 9r)
- Distanz von Pole zu T1: 413 Meter
- Länge Boxengasse: 424 Meter
- Durchfahrtzeit (bei 60 km/h): 25 Sekunden
- DRS-Zonen: 2 – T7/T8 und T15/T1
- Top-Speed: 349 km/h (L. Norris, Rennen 2022)
- Reifen: C2, C3, C4
- Safety-Car-Wahrscheinlichkeit: 33 Prozent (1/3)
Upgrades:
So kurz vor der Sommerpause kann man eigentlich nicht mit einem großen Upgrade-Festival rechnen. Doch Mercedes hat sowohl für Le Castellet als auch für Budapest neue Teile angekündigt. Auch Red Bull wollte noch einmal nachlegen. Die Ingenieure waren sich zuletzt aber nicht ganz sicher, ob die geplanten Modifikationen rechtzeitig für Paul Ricard fertig werden. Wie Ferrari die Technik-Offensive der Konkurrenz kontert, ist unklar. Die Scuderia lässt sich bei Upgrades leider nicht so leicht in die Karten schauen.
Im Mittelfeld dürfte sich auch einiges tun. Das ursprünglich für Frankreich angekündigte Haas-Upgrade wurde allerdings auf Budapest verschoben. Dafür hat Williams endlich das zweite Kit der B-Version für Nicholas Latifi parat. Teamkollege Alex Albon hatte damit ja schon in Silverstone und Spielberg erste Erfahrung sammeln dürfen. Ein größeres Paket erwarten wir auch bei Alpha Tauri, wo man diese Saison bisher relativ zurückhaltend war mit der Weiterentwicklung.
Noch unklar ist, was an der Antriebsfront passiert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich Carlos Sainz nach dem kapitalen Motorschaden von Spielberg eine neue Power Unit einbauen lässt. Die fällige Strafe würde den Spanier dann beim Start an das Ende des Feldes zurückwerfen. Sainz würde möglicherweise auch noch mit dem alten Material über die Runden kommen. Doch das Risiko, dass der Pilot die Strafe dann auf dem überholfeindlichen Kurs in Budapest kassiert, ist eigentlich zu groß.
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Favoriten:
Vor ein paar Wochen hätten die meisten Experten wohl noch ganz klar auf Max Verstappen als Sieger getippt. Doch seit dem Ferrari-Triumph auf der Red-Bull-Strecke in Spielberg ist das Bild längst nicht mehr so klar. Bis auf die Zuverlässigkeit zeigt der rote Rennwagen keine erkennbaren Schwächen mehr. Und beim Thema Reifenverschleiß schien Charles Leclerc seinem Titelkonkurrenten sogar einen Tick voraus zu sein. Die Frage lautet, ob der Haltbarkeit der Gummis wieder ein rennentscheidendes Thema wird. Wichtig wird auch, wer in den Trainings das optimale Setup besser trifft.
Obwohl der Circuit Paul Ricard wie gemalt für den Mercedes scheint, sehen wir für Lewis Hamilton und George Russell nur Außenseiterchancen. Im Silberpfeil-Lager muss man auf große Hitze und eine hohe Beanspruchung der Reifen hoffen, um die Vorteile in Sachen Zuverlässigkeit und Rennpace voll ausspielen zu können. Am Ende kommt es hier wohl vor allem darauf an, ob die Upgrades so gut zünden, wie es sich die Ingenieure erhoffen.
Im Mittelfeld sind Prognosen ebenfalls schwer. In Spielberg hinterließ zuletzt Alpine den stärksten Eindruck. Das sollte beim Heimspiel der Equipe auch nicht anders sein. McLaren und Alfa Romeo erwarten wir durch die vielen langen Kurven wieder etwas besser sortiert als in Österreich. Die beiden Teams werden sich mit Haas um die letzten Punkte streiten. Bei Alpha Tauri und Williams kommt es darauf an, wie die Upgrade-Pakete einschlagen. Bei Aston Martin zeigte die Formkurve zuletzt deutlich nach unten. Die Fans von Sebastian Vettel sollten also nicht zu viel erwarten.
Rückblick auf den GP Frankreich 2021:
Red Bull und Mercedes lieferten sich 2021 in Le Castellet einen spannenden Taktik-Krimi, der erst in den letzten Runden entschieden wurde. Beim Sprint auf die erste Kurve hatte Pole-Setter Max Verstappen zunächst kurz die Nase vorne, doch dann rutschte der Holländer in der schnellen Links-Rechts-Kombination übersteuernd neben die Piste, was Lewis Hamilton die Gelegenheit zum Überholmanöver gab.
Über den ersten Stint blieb der Abstand vorne weitgehend konstant. Verstappen schaffte es nie in den DRS-Bereich des Silberpfeils und musste seine Attacke erst einmal vertagen. Bei den Boxenstopps machte Mercedes in Runde 18 den ersten Zug. Valtteri Bottas wurde von Position drei früh zum Reifenwechsel gebeten, um Verstappen von hinten unter Druck zu setzen. Red Bull konterte den Undercut eine Runde später, um die Position nicht zu verlieren.
Das setzte aber plötzlich Hamilton an der Spitze in Zugzwang, der vor den Stopps seiner Verfolger noch mit drei Sekunden geführt hatte. Verstappen erwischte eine sehr gute Outlap und schob sich zur Überraschung der Mercedes-Ingenieure vor Hamilton in Führung. Zur Rennmitte lautete die Frage, wer noch ein Mal in die Boxengasse abbiegen würde. Am Ende entschied sich Red Bull in Runde 33 die Reißleine zu ziehen und das zu diesem Zeitpunkt führende Fahrzeug reinzuholen.
Mercedes blieb nur noch die Option, mit den alten Reifen bis zum Ziel zu überleben. Verstappen ging den dritten Stint verhalten an, doch neun Runden vor dem Ende machte er schließlich am Ausgang der Mistral-Schikane kurzen Prozess mit Bottas. Der zweite Silberpfeil von Hamilton war im vorletzten Umlauf fällig. Mit 32 Runden alten Gummis konnte sich der Brite nicht mehr gegen den heranstürmenden Red Bull verteidigen.
In der Galerie zeigen wir noch einmal die Bilder des GP Frankreich 2021.