George Russell ist der beste Mitspieler für Red Bull. Wenn der 27-jährige Engländer weiter solche Rennen fährt wie den Grand Prix von Bahrain, dann wird sich Mercedes mehr und mehr die Frage stellen, ob man Max Verstappen überhaupt braucht, wenn er denn auf dem Markt sein sollte. Und Red Bull hätte bessere Chancen, seinen Star-Piloten zu behalten.
Russell holte in den ersten vier Grand Prix des Jahres jeweils das bestmögliche Resultat aus seinem Silberpfeil. Dreimal davon das Podium. Der zweite Platz in Bahrain war die Krönung einer bislang makellosen Saison. Allein, dass er die zwei McLaren auf einer Strecke sprengte, auf der die Papaya-Renner unschlagbar schienen, ist eine Auszeichnung wert.
Doch der letzte Stint wurde für Russell zur Horrorfahrt. Lando Norris im Rückspiegel, die Soft-Reifen am Ende ihrer Lebensdauer, und eine Elektronik, die sich Schritt für Schritt verabschiedete. Moderne Formel-1-Autos können nicht ohne digitalen Unterstützung bewegt werden. Wenn sich die Systeme abmelden, dann muss der Kommandostand seinen Fahrer fernsteuern.

George Russell holte mit einem waidwunden Mercedes Rang zwei in Bahrain.
Russell aktiviert DRS für 37 Meter
Es begann mit Schwierigkeiten im Zeitnahme-System. Mehrere Fahrer konnten wegen fehlender Transponder-Signale nicht mehr geortet werden. Bei George Russell war es am schlimmsten. Der Mercedes-Pilot tauchte zwar noch im Ergebnis auf, aber dort, wo seine Runden- und Zwischenzeiten stehen sollten, war ein schwarzes Loch.
Das Team konnte seinen Fahrer am Zeitenmonitor nicht mehr verfolgen. Gleichzeitig meldeten sich auf Russells Lenkradbildschirm reihenweise die Funktionen ab. So hatte er keinerlei Informationen über seine eigenen Rundenzeiten und die Abstände zu den Konkurrenten.
Die automatisierte DRS-Aktivierung fiel ebenfalls aus. Die FIA erlaubte dem Fahrer daraufhin eine manuelle Bedienung des DRS-Mechanismus. Da gleichzeitig andere Systeme ausfielen, wurden die wichtigsten Funktionen auf einen Backup-Knopf umprogrammiert. Das Team wies Russell an, fortan den Hilfs-Knopf zu nutzen, unter dem neben DRS-Aktivierung auch noch der Funkverkehr lief.
Auf der Gegengerade versuchte Russell am Funk mit seinem Renningenieur zu sprechen, betätigte dabei aber unwissentlich das DRS, das vom gleichen Knopf aus angesteuert wurde. Er merkte sofort den Fehler und schloss den Heckflügel wieder. Der war laut FIA-Protokoll über 37 Meter geöffnet, was Russell einen Vorteil von 0,02 Sekunden brachte. Er lupfte vor der nächsten Kurve jedoch freiwillig das Gaspedal und schenkte damit wieder 0,28 Sekunden her. Damit entging er einer Strafe.

Russell holte in Bahrain das dritte Podium im vierten Rennen des Jahres.
Ausfall des Brake-by-wire Systems
Der schlimmste Part aber war der Ausfall des Brake-by-wire-Systems zwölf Runden vor Schluss. Das regelt die Bremskraftverteilung zwischen dem normalen Bremssystem und der Motorbremse. "Das Brake-by-wire war mal da, mal weg, das Pedal mal lang, mal kurz. Ich wusste nie, wann ich mich darauf verlassen konnte, wann nicht. Besonders schwierig war es zwischen den Kurven 9 und 10. Zwischendrin musste ich auch noch laufend Resets für die einzelnen Funktionen machen."
Weil das Brake-by-wire kurz vor dem Totalausfall stand, rieten die Ingenieure Russell auf das passive BBW-System zu schalten. Damit war die Motorbremse deaktiviert, aber immerhin konnte sich der Fahrer nun wieder auf die Bremsbalance verlassen. Auch wenn sie ganz anders war als im ersten Teil des Rennens.
Das Schlimmste blieb dem Zweiten des Rennens erspart: der Totalausfall des Displays. "Dann wäre es wirklich eine Fahrt in die Dunkelheit geworden", erklärte die Chefstrategin Rosie Wait. "George hätte dann nicht einmal mehr die Leuchtdioden gehabt, die ihm den Gangwechsel anzeigen." Russell ergänzte: "Alle Einstellungen auf dem Lenkrad wären bis zum Ende des Rennens auf dem Stand eingefroren worden, den ich zuletzt aktiviert hatte." Was genau den Blackout verursachte, konnte kurz nach dem Rennen nicht eruiert werden. Teamchef Toto Wolff vermutete irgendeinen Bug im Kabelbaum.

Teamchef Toto Wolff war begeistert von der Leistung seines Schützlings.
Mit alten Soft-Reifen gegen Norris
Zu all den Problemen kam, dass die Soft-Reifen mit einer Restdistanz von 25 Runden am Limit waren. Russell brachte sie mit Fingerspitzen über die Distanz. Dass er das kann, zeigte er letztes Jahr schon in Spa. Gleichzeit probierte Lando Norris mehrmals, Russell den zweiten Platz noch abzujagen. In einem intakten McLaren mit den langlebigeren Medium-Gummis.
Doch der WM-Vierte wehrte alle Angriff eiskalt ab. Er gab aber zu: "Eine Runde noch, und Lando wäre ohne Probleme an mir vorbeigekommen." Wolff sprach von einem "Mega-Rennen", seines Teamkapitäns. "George hat uns das Podium gerettet. Dass er trotz aller Probleme, die er managen musste, praktisch keine Zeit verloren hat, war eine außergewöhnliche Leistung." So langsam dämmert jedem bei Mercedes, dass ein Russell vielleicht genauso gut ist wie ein Verstappen. Und dazu noch billiger.