Die Aufgabe sah für McLaren so einfach aus. Zwei Autos in der ersten Startreihe, Ferrari nur auf den Plätzen drei und 19. Nach einer Runde beim letzten Rennen der Saison standen den McLaren-Strategen die Schweißperlen auf der Stirn. Lando Norris führte zwar, aber Oscar Piastri hetzte an letzter Stelle dem Feld hinterher. Die Ferrari-Piloten waren Zweiter und Achter.
Es war passiert, was die WM-Gegner gehofft hatten. Max Verstappen spuckte ihnen als Unbeteiligter in die Suppe. Der Weltmeister wusste ganz genau, dass Lando Norris, Oscar Piastri und Carlos Sainz alles zu verlieren hatten und er nichts. Er wusste auch, dass Norris und Sainz beim Start eher zögerlich in Zweikämpfe gehen.

Max Verstappen legte sich mit Oscar Piastri in Kurve 1 beim GP Abu Dhabi an.
Die Rechnung ohne Piastri
Doch Verstappen hatte die Rechnung ohne Piastri gemacht. Der Australier ist keiner, der nachgibt. Und auch keiner, der aus Respekt vor Verstappen in die Knie geht. Piastri hielt dagegen. Am Ende bezahlten beide. An Sainz war Verstappen schnell vorbei. Als Piastri kurz vor der ersten Kurve nach außen zuckte, sah er innen die Lücke.
Im Gottvertrauen, dass der andere schon zurückziehen würde, weil die anderen eigentlich immer zurückzucken, hielt er drauf. Und merkte zu spät, dass er aus der Falle nicht mehr rauskam. "Ich konnte nicht mehr ausweichen, weil ich schon ganz innen war", verteidigte sich Verstappen.
Piastri hatte dem Angreifer gerade mal so viel Platz gelassen, dass ein Formel-1-Auto reinpasst. Der Red Bull und der McLaren berührten sich jedoch nicht innen am Scheitelpunkt, sondern erst im zweiten Teil der Kurve, in die sich Verstappen wegen der ungünstigen Innenbahn nach außen tragen ließ. Piastri wiederum weigerte sich neben die Strecke zu fahren, um seinem Rivalen den Platz zu geben, den er brauchte. Spöttischer Kommentar aus dem Cockpit der Nummer 81: "Das war eine weltmeisterliche Aktion."

Der Weltmeister schimpfte über die 10-Sekunden-Strafe gegen ihn.
Verstappen verspottet Strafe
Es dauerte nicht lange, da hatten die Sportkommissare ihr Urteil gesprochen. Verstappen bekam eine 10-Sekunden-Strafe. Am Funk blieb es ruhig, weil ihm Red Bull die Strafe bis zum Boxenstopp verschwieg. Man hatte wohl Angst, dem Weltmeister könnte der Kragen platzen und er würde dann seine Meinung am Funk mit deftigen Worten kundtun. Das machte sein Sportdirektor Helmut Marko für ihn: "Beim Start sollten in der ersten Kurve andere Maßstäbe gelten."
Das war auch einmal so, doch seit sich die Sportkommissare aus Angst vor Konsequenzen keine Blöße mehr geben wollen, wird streng nach Regelbuch entschieden und nicht mehr mit Augenmaß. Als der Red-Bull-Piloten später realisierte, was da gespielt wurde, spottete er, warum nicht gleich 20 Sekunden, und dass er es auch auf zwölf Strafpunkte anlegen könnte. Dann hätte er gleich Elternzeit für den erwarteten Nachwuchs.
Piastri kommentierte die Strafe am Funk kurz und bündig: "Gut". Für McLaren war es alles anderes als gut. Piastri fiel als Punktelieferant praktisch aus, zumal er selbst noch zehn Sekunden für einen Auffahrunfall mit Franco Colapinto absitzen musste. Lando Norris kontrollierte das Rennen zwar von der Spitze weg, hatte aber ab der 34. Runde zwei Ferrari im Genick. Beim geringsten Problem oder einem Safety-Car zur falschen Zeit hätte der WM-Titel leicht nach Maranello gehen können."

Am Samstag funktionierte Verstappens Dienstwagen wieder und auf einmal war der Niederländer bei der Musik.
Die guten und schlechten Seiten des RB20
Verstappen konnte sich nicht mehr in das WM-Duell einmischen. Nicht nur, weil ihn die Zeitstrafe hoffnungslos 44 Sekunden hinter die Spitze warf. Sein Red Bull zeigte sich in Abu Dhabi wieder mal abwechselnd von seiner besten und schlechtesten Seite. Am Freitag ging gar nichts. Verstappen rapportierte starkes Untersteuern, das sich einfach nicht kurieren ließ.
Am nächsten Tag war es verschwunden. Wie schon Katar hatte eine Wunderheilung stattgefunden. Ab dem Q2 sah der Champion wie der sichere Tipp auf die Pole-Position aus. Noch mehr, als er trotz eines Beinahe-Crashs in der Zielkurve im ersten Q3-Versuch Bestzeit fuhr. Doch im zweiten Anlauf war die Luft raus. Verstappen hatte eine fehlerlose Runde und markierte trotzdem nur die fünftschnellste Zeit. Die Ingenieure hatten die Reifentemperaturen im Verdacht. Das Arbeitsfenster hatte sich um Nuancen verschoben, und schon war der Red Bull nur noch Mittelmaß.
Das setzte sich im Rennen fort. "Auf den harten Reifen stimmt der Speed. Im ersten Stint auf den Medium-Reifen waren wir zu langsam. Die Vorderreifen wurden zu heiß", berichtete Teamchef Christian Horner. Im Gegensatz zum Mercedes hat der Red Bull nicht eine klar definierte Schwäche. In Katar hatte das Auto zunächst keinen Grip im Heck. Bei Mercedes kann man sich wenigstens darauf verlassen, dass die Hinterreifen leiden, wenn etwas mit dem Setup nicht stimmt.

Der Red Bull RB20 war eine launische Diva, die schwer ins Arbeitsfenster zu bringen war.
Red Bull sucht ein größeres Fenster
Horner predigt, dass man das Fenster vergrößern müssen. Wenn das nur so einfach wäre. Technikchef Pierre Waché erklärt: "Wir mussten auf den Geraden eine Flügeleinstellung niedriger fahren als im letzten Jahr. Deshalb waren wir beim Abtrieb mehr vom Unterboden abhängig als sonst. Das schmeckt uns nicht so gut. Da kommen wir oft an verschiedenen Stellen des Bodens in den Grenzbereich."
Aus Sicht von Verstappen fühlte sich das so an. "Das Auto war in einigen Kurven schwierig zu fahren, weil sich die Balance im Verlauf der Kurve verändert hat. Da ist es schwer, konstant zu sein. Es fällt uns auf diesem Typ Rennstrecke schwer, einen guten Kompromiss für die schnellen Ecken und die langsameren Kurven zu finden." Trotzdem ist der Niederländer zuversichtlich, dass die Ingenieure aus den Problemen dieser Saison die richtigen Schlüsse für die nächste gezogen haben.