Formel 1: Andretti-GM keine Traumkonstellation

Andretti-GM stößt auf Widerstand
Was stört die Formel 1 und die Teams?

Es ist ein komplizierter Fall, der recht simpel klingt. Andretti will in die Formel 1 und hat mit General Motors aus seiner Sicht den passenden Verbündeten dafür gewonnen. Schließlich gehört GM zu den fünf größten Automobilherstellern der Welt. Zusammen würde man als elftes Team in die Königsklasse eintreten. Man will das so früh wie möglich tun. Zwei große Namen, die sich zusammentun. Ein zweites US-Team für einen ohnehin schon boomenden Markt. Das klingt nach einem Selbstläufer.

Doch die Pläne von Andretti und GM, das den Namen seiner Edelmarke Cadillac in die Startaufstellung bringen will, werden nur von der FIA öffentlich mit Freude geteilt. Präsident Mohammed Ben Sulayem begrüßt die Entscheidung mit wohlwollenden Statements über die sozialen Netzwerke, die er auf seinem eigenen und nicht dem Account der FIA verbreitet.

Er unterstützt offen das neue US-Bündnis, das mit Colton Herta einen US-Fahrer in die Königsklasse bringen möchte. Der Formel 1 dagegen war die Absichtserklärung von Andretti-Cadillac, in die Königsklasse zu wollen, nicht einmal eine Meldung auf der eigenen Webseite wert. Man freue sich über das Interesse, es gäbe aber noch andere Kandidaten, die ihre Pläne im Hintergrund schmieden. Michael Andretti geht es anders an. Der ehemalige GP-Fahrer und IndyCar-Meister fällt mit der Tür ins Haus, statt vorsichtig anzuklopfen und um Eintritt zu bitten.

Michael Andretti - GP Miami 2022
xpb

Wer hat das Sagen über die Formel 1?

Der Fall Andretti legt die Risse zwischen FIA und Formel 1 offen, die nach dem Amtsantritt von Präsident Ben Sulayem im Dezember 2021 immer größer wurden. Da steht der Motorsportweltverband FIA auf der einen Seite, der die Regeln für die Formel 1 schreibt und deren Einhaltung überwacht. Auf der anderen Seite sitzt das Formel-1-Management, das dafür sorgen soll, dass neben dem Sport auch die Show stimmt, damit Eigentümer Liberty Media möglichst viel Geld erwirtschaftet und der Aktienkurs klettert.

Es geht in diesem Spiel mehr als nur um ein elftes Formel-1-Team. Hier geht es um Macht. Wer hat das Sagen? Wer herrscht tatsächlich über die Königsklasse? Es geht um Geld – im Hintergrund mischen die bestehenden Teams durch die Aussicht auf ein neues Concorde Agreement mit, das parallel zum neuen Motorenreglement 2026 kommen soll. Der aktuelle Rahmenvertrag zwischen der FIA, der Formel 1 und den Teams wurde im August 2020 verabschiedet, trat 2021 in Kraft und läuft Ende 2025 aus.

Ein oder zwei zusätzliche Teams in der Startaufstellung würden sowohl die FIA als auch das Formel-1-Management begrüßen. Seriöse Neuzugänge würden das Geschäft nachhaltiger und standfester machen, sollte ein Rennstall in einer Krise aussteigen. Als der FIA-Präsident am 2. Januar twitterte, er wolle einen Prozess der Interessensbekundung für neue Teams in Auftrag geben, da war in der Formel-1-Kommandozentrale keiner sauer. Im Gegenteil. Der Schritt war abgestimmt. Man ist sich allerdings nicht darüber einig, wie passende Kandidaten auszusehen haben. Die FIA findet Andretti-Cadillac gut, der Formel 1 reicht der Name allein nicht.

Twitternder FIA-Präsident

Beide brauchen einander. Wenn einer blockiert, geht nichts. Doch statt Doppelpass zu spielen, stehen sie sich wie zwei Gegner gegenüber. Die FIA hält die Namensrechte, Liberty Media vermarktet die Königsklasse. Das Formel-1-Management sitzt beim Thema "neue Teams" gefühlt am längeren Hebel, weil sie sich um das Kommerzielle kümmert. Und darum geht es Interessenten, vor allem Automobilherstellern, in erster Linie.

Das F1-Management ist ihr erster Ansprechpartner. Sie kann Bewerbern das Geschäft zeichnen, und darlegen, wie sich die Umsätze der Rennserie entwickeln sollten. Je mehr Einnahmen die Formel 1 generiert, desto mehr verdienen die Teams. Die Budgetdeckelung macht für sie die Ausgaben berechenbar.

Ben Sulayem twitterte am 8. Januar, dass er verwundert über die Ablehnung sei, die er aus manchen Kreisen gegenüber dem Andretti-Cadillac-Projekt vernehme. "Die FIA hat den Einstieg von kleineren und erfolgreichen Organisationen in den letzten Jahren gefördert", schreibt der Präsident. Haas war 2016 der letzte Neueinsteiger. "Wir sollten mögliche F1-Einstiege von globalen Herstellern wie GM und echten Racern wie Andretti fördern. Interesse von Teams aus Wachstumsmärkten bringt Diversität und erweitert die Anziehungskraft."

Cadillac F1 Concept - Sean Bull Design
Sean Bull Design

Keine Mitteilung der Formel 1

Ben Sulayems Statement werten manche als versteckten Seitenhieb gegen die Formel 1 und die Mehrzahl der Teams. Dabei hat niemand eine solche Ablehnung öffentlich bekundet. Es gab kein böses Wort. Die Formel 1 verweist auf den Bewerberprozess, durch den jeder müsse, und an dessen Ende sowohl die FIA als auch das F1-Management zustimmen müssen. In den Worten steckt keine Wertung. Man könnte es allerdings als Wertung verstehen, dass es eben keine öffentlichen Statements gibt. Bei Audi gab es sofort eine Pressemitteilung.

Bis auf Alpine sollen alle das US-Projekt skeptisch beäugen. Selbst McLaren, das früher ein Befürworter der Andretti-Aufnahme war, heißt es. Der FIA-Präsident hat sich für die geplante US-Allianz aus dem Fenster gelehnt. Und für manche Beobachter mit seinen Darstellungen in den sozialen Netzwerken den Eindruck erweckt, die FIA könne neue Teams im Alleingang durchpeitschen.

Ben Sulayem hat seine Karten auf den Tisch gelegt, F1-CEO Stefano Domenicali hält sie lieber in der Hand. Er verhandelt im Hintergrund. Seit rund acht Monaten auch mit General Motors. Ein Einstieg des US-Riesen wäre auch im Interesse der Formel 1 – aber nur unter den richtigen Voraussetzungen.

Alpine auf Andretti-Seite

Zwei große Themen sorgen dafür, dass bisher nur die FIA aufs Gaspedal tritt: der Motor und eine Klausel im Concorde Agreement. General Motors hat nicht vor, eine eigene Power Unit zu bauen. Man will stattdessen Kunde von Renault-Alpine werden – und den Motor bestenfalls mit dem eigenen Logo versehen. Renault würde dadurch endlich einen Verbündeten gewinnen, was die eigene Verhandlungsposition bei zukünftigen Streitfragen stärkt. Das Vorhaben von Andretti-Cadillac ist den Rechteinhabern offenbar zu wenig. Mit einer eigenen Power Unit wäre die Freigabe wohl nur Formsache.

Die Teams haben zwar kein Mitspracherecht, doch die Formel 1 will ihre Bedenken hören, und nicht über ihren Kopf hinweg entscheiden. Damit macht man sich Freunde. Die Teams verweisen immer wieder auf die hohen Investments, die sie in der Vergangenheit getätigt haben. Liberty Media beschert ihnen durch die Vermarktung der Formel 1, durch die Öffnung in den Sozialen Medien, durch die Kooperation mit Netflix, immer höhere Einnahmen. Und um die weiter zu erhöhen, brauche es weitere Zugpferde, die sich voll der Formel 1 verschreiben – wie man eben selbst.

Den Etablierten passt es natürlich nicht, dass General Motors den vergleichsweise "billigen" Weg gehen will. Mercedes, Ferrari, Red Bull, Renault und Audi (ab 2026) investieren hunderte Millionen in den Motorenbau und unterhalten eigene Teams. Da empfinden sie es als unangemessen, dass Cadillac-Andretti ihnen mit einem Schmalspur-Investment vor der Nase herumfahren könnte.

Teurer Einstieg

Der Höhenflug der Königsklasse lässt den Marktwert der Teams steigen. Und lässt die Gier im Feld größer werden. Die "Antiverwässerungsklausel", die im aktuellen Concorde Agreement enthalten ist, ist nicht mehr genug. Bis jetzt muss ein Neueinsteiger 200 Millionen Dollar für einen zusätzlichen Platz in der Formel 1 bezahlen. Das Geld ginge direkt an die anderen Teams als Kompensation für die geringeren Einnahmen.

Die Summe wurde im August 2020 in einer Zeit festgeschrieben, als die Weltlage mit Corona als Schreckgespenst noch eine andere war. Mittlerweile bezeichnen sie viele als lächerlich gering. Die Teams sollen nun eine halbe Milliarde an Kompensationszahlung von möglichen Neueinsteigern fordern.

Nicht nur neue Teams, auch neue Veranstalter stehen Schlange. Die Formel 1 könnte über 30 Rennen pro Jahr ausrichten, wenn sie wöllte. Die Gewinne wachsen. In den ersten drei Quartalen 2022 steigerte Liberty Media den Umsatz der Formel 1 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 1,349 auf 1,819 Milliarden US-Dollar. Davon werden die Teams bei der Ausschüttung profitieren.

Libertys Ziel ist es natürlich, die Umsätze und damit die Gewinne mit den Jahren weiter zu verbessern. Dabei würden neue Hersteller mit neuen Teams besonders helfen. Große Namen lenken weitere Aufmerksamkeit auf den Sport, sie vergrößern die Fan-Basis und zahlen auf den Wert der Marke Formel 1 ein.

Porsche F1 Concept - Mark Antar Design
Mark Antar Design

Tür offenhalten für Porsche?

Cadillac-Andretti wird von vielen ohne eigenen Motor als Mogelpackung gesehen. Die Formel 1 will Qualität. Nur so lasse sich der Wert des Produkts verbessern. Es zählt nicht die Fassade, sondern was drin steckt. Das heranwachsende Publikum, das man in den USA vor allem über Netflix gewann, soll zu echten Fans erzogen werden. Die würden im schlimmsten Fall merken, wenn GM etwas wie Alfa Romeo macht. Den Namen geben, eine Lackierung draufmachen, aber mehr nicht.

Honda hat sich pro forma bereits für das neue Motorenreglement ab 2026 eingeschrieben. Mit Ford soll ein zweiter US-Hersteller großes Interesse an der Formel 1 haben. Man arbeitet im Hintergrund daran. Ford könnte sich Red Bull anschließen. Ja, auch dort würde der Hersteller selbst nicht die Power Unit bauen. Red Bull Powertrains hat alles zusammen, um den Verbrenner selbst zu konstruieren. Da bliebe maximal der Elektro-Part als weitere Spielwiese übrig. Der Fall Ford lagert allerdings anders, weil der US-Hersteller bei einem bestehenden Team einstiege. Andretti-Cadillac muss als neuer Bewerber eine höhere Hürde überspringen.

Die 200 Millionen würde die US-Allianz um Michael Andretti entrichten. So wie es der aktuelle Vertrag verlangt. Deshalb drängt man auf einen Einstieg – sobald wie irgendwie möglich. Es ist schwer vorstellbar, dass man 400 oder gar 500 Millionen zahlen würde, worauf die Etablierten spätestens mit dem neuen Concorde Agreement drängen. Man fragt sich: Wer sollte das überhaupt bezahlen? Dazu ein Beispiel aus der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL. Die Seattle Kraken bezahlten dort 650 Millionen Dollar, um 2021 das 32. Franchise-Team der Liga zu werden.

Der Marktwert der Teams würde bei einer drastischen Erhöhung der Gebühren durch die Decke schießen. Dann wären Bewertungen wie im US-Profisport denkbar. Die Teams hätten Lizenzen in der Hand, die weit teurer (abzukaufen) wären. Die Formel 1 wäre dann ein "Super-Luxus-Gut". Vor diesem Hintergrund will manch einer den möglichen elften oder zwölften Startplatz nicht zu früh vergeben. Porsche wird noch immer im Zusammenhang mit der Formel 1 genannt. Will die Königsklasse solange wie möglich die Tür offen halten? Oder wird der Name für andere Zwecke bewusst gestreut?