Gary Anderson: "Schumacher fuhr Eau Rouge locker voll"

Gary Anderson über Schumacher-Debüt 1991
"Michael fuhr Eau Rouge locker voll"

Zehn Tage vor dem GP Belgien waren wir in Monza testen. Andrea de Cesaris war für zwei Tage eingeteilt, Bertrand Gachot für den letzten Tag. Ich glaube, es war ein Freitag. Da bekam ich einen Anruf von Eddie, dass Gachot in England festgenommen worden sei. Wir haben natürlich sofort über einen möglichen Ersatzfahrer geredet, und Eddies erste Idee war Damon Hill. Ich hatte noch das Formel 3-Rennen in Macau aus dem Vorjahr im Kopf und sagte zu Eddie: Warum nehmen wir nicht diesen Schumacher?

So kam es dann auch. Ein Grund, warum sich Eddie auf Michael einließ war, dass er davon ausging, Michael würde die Rennstrecke von Spa gut kennen. Er ist ja für Mercedes in der Sportwagen-WM gefahren, und da stand Spa im Programm. Drei Tage später traf ich Michael zum ersten Mal. Wir passten ihm in der Fabrik einen Sitz an. In einer der Wartepausen saßen wir auf einer Werkbank und ich fragte ihn, wie gut er Spa kenne. Er sagte mir, dass er dort noch nie gefahren sei. Ich dachte nur: Oh mein Gott.

Schumacher mit Selbstvertrauen und Fahrzeugkontrolle

Einen Tag später waren meine Zweifel verflogen. Du hast bei dem Test in Silverstone sofort gesehen: Der Junge hat eine unglaubliche Fahrzeugkontrolle und ein unerschütterliches Selbstvertrauen. Wir haben ihn nur ein paar Runden lang fahren lassen, das hat uns gereicht. Es war das Rennauto von Spa, und wir konnten uns nicht leisten, dass es kaputtgeht.

Dann sind wir nach Spa. Da Geld immer knapp war, haben wir in einer Jugendherberge gehaust. Ich war ja schlimme Unterkünfte gewohnt, aber die war so übel, dass Eddie und ich umgezogen sind. Im Badezimmer wuchs schon das Gras. Jordan hat damals mit minimalem Aufwand ein gutes Formel 1-Team auf die Beine gestellt.

Stellen Sie sich vor: Das ganze Auto haben drei Leute konstruiert. Ich war für das Design des Chassis und die Aerodynamik zuständig, Andy Green machte die Aufhängung und Mark Smith das Getriebe. Geld war immer knapp, aber wir kannten es nicht anders. Drei Leute können keine 200 Millionen Dollar verbraten.

De Cesaris in Eau Rouge nur mit 99 Prozent Vollgas

Der Jordan 191 war aerodynamisch ein exzellentes Auto. Es lag in schnellen Kurven wie ein Brett. Mechanisch mussten wir mit einem kleinen Manko leben. Es hat in langsamen Kurven untersteuert. Ich habe Michael diese Charakteristik erklärt. Das Untersteuern war dem Auto nicht auszutreiben. Immer, wenn wir versucht haben, dieses Problem zu lösen, wurde das Auto aerodynamisch schlechter.

Obwohl er keine Erfahrung hatte, hat er genau das bestätigt. Er hat am Freitag versucht, das Untersteuern durch Setupänderungen zu reduzieren, kam dann aber zu dem Schluss, dass die Rundenzeiten nicht besser wurden, das Auto dafür aber schwieriger zu fahren sei. Eau Rouge ging damals gerade so voll. Michael hat uns schon am Freitag erzählt, dass er in der Qualifikation Eau Rouge ohne Problem voll fahren würde. Und er ist gleich in seiner ersten Qualifikationsrunde voll auf dem Gas geblieben. Andrea de Cesaris hat das erst in der letzten geschafft, und dann auch nur zu 99,9 Prozent.

Michael wäre in der Startaufstellung noch weiter vorne gestanden, hätte ihn Alain Prost nicht aufgehalten. Sein Feedback war damals schon sehr gut. Michael spulte das Wochenende so ab, als hätte er nie etwas anderes getan. Er wusste, was er wollte. Er hatte Vertrauen in sich und das Auto. Und er war in der Lage, sich neben dem Fahren auch Gedanken über das Fahrverhalten zu machen.

Titankupplung zu teuer für Jordan

Das Rennen war für Michael dann leider schnell zu Ende. Spa ist hart für die Kupplung, weil es beim Start leicht bergauf geht. Wir hatten nicht das Budget, um uns exotische Kupplungen zu leisten. Die Kupplungsnabe war aus Aluminium gefertigt. Weil diese hin und wieder überhitzte, sind die reicheren Teams zu Titan übergegangen. Das war zu teuer für uns. AP hat uns die Kupplung mit der Alunabe praktisch umsonst gegeben, weil sie noch einige davon auf Lager hatte. Die wollte keiner mehr.

Der Cosworth-Motor vibrierte so stark, dass wir nur eine Zweischeibenkupplung einbauen konnten. Alles zusammen hat aus dem Start eine ziemlich heikle Angelegenheit gemacht. Unser Fehler war, dass wir Michael davon nichts erzählt haben. Michaels Fehler war, dass er keine Erfahrung damit hatte. Beim Start wurde die Kupplung ein bisschen heißer als sonst, aber ich glaube, wir wären mit einem blauen Auge davongekommen, hätte es nicht in der ersten Kurve einen Stau gegeben. Ausgangs La Source hat Michael praktisch aus dem Stillstand heraus einen zweiten Start gemacht. Und das hat die Kupplung gekillt. Mit einer Titannabe wäre das nie passiert.

Kaum eine Chance auf erste Zielankunft

Aber vielleicht hätte Michael das Rennen auch so nicht beendet. De Cesaris hat es kurz vor Schluss mit einem Motorschaden erwischt, der wahrscheinlich auch Michael passiert wäre. Es war eine wirklich ärgerliche Verkettung von Missverständnissen, die uns unseren ersten GP-Sieg gekostet hat. Cosworth hatte uns einen Motor mit neuen Kolben gegeben. Der verbrauchte mehr Öl. Das hat uns aber keiner gesagt.

Unser Öltank war groß genug, ein oder zwei Liter extra einzufüllen, wenn es von uns verlangt worden wäre. Aber so wollten wir natürlich nicht freiwillig extra Gewicht mitschleppen. Logischerweise ist dem Motor am Ende des Rennens das Öl ausgegangen. Dass Eddie Michael nach dem Rennen erzählt hat, ein Stein hätte einen Kühler getroffen, wusste ich gar nicht. Aber typisch Eddie. Von Technik hatte er noch nie eine Ahnung.

In unserer Fotogalerie zeigen wir noch einmal die besten Bilder von Schumachers Formel 1-Debüt in Spa. Hier haben wir die Links zu den anderen Teilen unserer Jubiläums-Serie:

Teil 2: Eddie Jordan: Schumachers Karriere begann mit einer Lüge