Die Spatzen haben es schon von den Dächern des Fahrerlagers in São Paulo gepfiffen. Gabriel Bortoleto wird in der kommenden Saison in die Formel 1 aufsteigen. Mittwochfrüh (6.11.) machten erst Sauber und dann auch Audi die Verpflichtung offiziell. Vorangegangen waren Ablöse-Gespräche mit dem McLaren-Rennstall, der den 20-Jährigen vor 13 Monaten in sein Junior-Programm aufgenommen hatte. Weil das britische Traditionsteam dem Brasilianer aber mittelfristig kein freies Cockpit bieten kann, erfolgte schließlich die Freigabe an Sauber.
Audi hofft, dass Bortoleto wirklich so einschlägt, wie es alle Experten erwarten. Dann dürfte der neue Werksfahrer gute Chancen haben, auch 2026 zum offiziellen Einstieg im Cockpit zu sitzen. Ein großes Risiko war die Verpflichtung für die Ingolstädter nicht. Fahrer, die direkt in ihrer Rookie-Saison sowohl die Formel 3 (bzw. GP3) als auch die Formel 2 gewinnen konnten, befinden sich in einem elitären Kreis. Die letzten Piloten, denen dieses Kunststück gelang, hießen Oscar Piastri, George Russell und Charles Leclerc.
Noch hat Bortoleto den Titel in der höchsten Nachwuchsserie aber nicht ganz eingetütet. Zwei Rennwochenenden vor Schluss führt der neue Sauber-Mann die Gesamtwertung mit 4,5 Punkten Vorsprung vor Isack Hadjar an. Der Red-Bull-Junior, der sich Hoffnungen auf ein Toro-Rosso-Cockpit macht, befindet sich aber schon in seinem zweiten Formel-2-Jahr. Die restlichen Fahrer haben höchstens noch theoretische Titelchancen.

Erst im Oktober 2023 wurde Bortoleto in das McLaren-Juniorprogramm aufgenommen. Jetzt ist er schon wieder weg.
Bortoleto ohne F1-Erfahrung
Für Sauber macht es offenbar keinen Unterschied, ob Bortoleto nach dem Finale in Abu Dhabi Erster oder Zweiter ist. Der Youngster hatte sein riesiges Potenzial in dieser Saison regelmäßig angedeutet. Das Supertalent liegt punktemäßig auch weit vor Andrea Kimi Antonelli (Mercedes) und Ollie Bearman (Haas), die ebenfalls 2025 Jahr in die Formel 1 aufsteigen. Franco Colapinto, der aktuell bei Williams für Furore sorgt, blieb in der zweiten Liga zuletzt deutlich blasser.
Audi-Vorstandsvorsitzender Gernot Döllner sieht mit der Verpflichtung von Bortoleto eine Fortsetzung des Trends hin zu jüngeren Fahrern in der Königsklasse: "Wir erleben augenblicklich einen Generationenwechsel in der Formel 1. Jungen Fahrern gelingt häufig auf Anhieb ein überzeugender Auftritt. Mit der Verpflichtung von Gabriel Bortoleto haben wir eines dieser Spitzentalente verpflichtet. Diese Vertragsunterzeichnung unterstreicht die langfristige Strategie von Audi ebenso wie das Bekenntnis zur Formel 1."
Im Gegensatz zu den oben genannten Piloten kann Bortoleto aber bisher kaum Formel-1-Erfahrung vorweisen. Der Neuling durfte bisher erst einen sogenannten "TPC"-Test mit einem zwei Jahre alten McLaren absolvieren. Im September drehte Bortoleto ein paar Runden im MCL36 auf dem Red-Bull-Ring in Spielberg. Man darf aber davon ausgehen, dass er genau wie Hülkenberg schon bei den Testfahrten nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi im aktuellen Sauber C44 sitzen wird.

Rookie-Jahrgang 2025: Andrea Kimi Antonelli (Mercedes), Jack Doohan (Alpine), Ollie Bearman (Haas) und Gabriel Bortoleto (Sauber).
Formel-1-Aus für Mick Schumacher
Der Südamerikaner freut sich bereits auf das Abenteuer: "Das ist eines der faszinierendsten Projekte im Motorsport, wenn nicht sogar im Sport überhaupt. Zu einem Team zu gehören, das die erfolgreiche Geschichte von Sauber und Audi im Motorsport vereint, ist eine echte Ehre. Ich möchte aber nicht einfach nur dazugehören, sondern will mit diesem ambitionierten Projekt wachsen und den Gipfel im Motorsport erreichen. Ich bin dem Team überaus dankbar für diese Möglichkeit und freue mich, an der Seite eines so erfahrenen Piloten wie Nico zu arbeiten."
Mit Bortoleto und Hülkenberg hat Sauber nächstes Jahr eine gute Mischung aus Talent und Erfahrung an Bord. Audi-F1-Projektleiter Mattia Binotto ist überzeugt von seinem jüngsten Neuzugang: "Gabriel hat bereits in den Nachwuchskategorien bewiesen, dass er alles besitzt, was einen Siegfahrer auszeichnet. Wir freuen uns sehr, dass er ein Teammitglied von Sauber und Audi wird. Gemeinsam mit Gabriel peilen wir Erfolge an und werden zu einer Einheit zusammenwachsen, um eine neue Ära für Audi im Motorsport zu gestalten. Nico und Gabriel stehen für eine ideale Kombination aus Erfahrung und Jugend. So sind wir für die Zukunft gut aufgestellt."
Und wie tickt dieser Gabriel Bortoleto Oliveira, wie er mit vollständigem Namen heißt, der jetzt die Formel-1-Welt im Sturm erobern will? Er kommt wie Ayrton Senna, Felipe Massa, Rubens Barrichello oder Emerson Fittipaldi direkt aus der Grand-Prix-Metropole São Paulo. Im Alter von sechs Jahren hat er seine Karriere im Kartsport begonnen. Mit zwölf zog er mit seiner Familie nach Europa, um die Karriere voranzutreiben. 2020 saß er erstmals in einem großen Rennwagen, als er mit dem Prema-Team an der italienischen Formel-4-Meisterschaft teilnahm.

Mit dem Trident-Team wurde Bortoleto 2023 in seiner Rookie-Saison direkt Formel-3-Meister.
Bortoleto unter Alonso-Management
Seit 2022 wird Bortoleto von Fernando Alonsos Management-Firma A14 betreut und gefördert. Der zweifache Weltmeister zog natürlich auch beim Aufstieg in die Formel 3 (2023) und die Formel 2 (2024) hinter den Kulissen die Strippen und dürfte bei den Verhandlungen mit Sauber in den letzten Wochen am Tisch gesessen haben. Die Ratschläge des F1-Rekord-Starters lassen sich auch auf der Strecke leicht erkennen. Bortoleto fährt mit Köpfchen und fällt selten aus. So gewinnt man zwar nicht jedes Rennen, aber Meister-Titel.
Bortoleto betont immer wieder, wie wichtig ihm seine Wurzeln sind. Als er nach dem emotionalen Gewinn des Formel-3-Titels zurück ins Zelt seines Trident-Teams kam, brach er beim Anblick seiner Familie vor Überwältigung in Tränen aus. Als größten Sportler aller Zeiten verehrt Bortoleto die Basketball-Legende Michael Jordan. Wenn der Hunger drückt, kocht der neue Sauber-Rookie gerne Nudeln mit Tomatensauce. Er zieht sich aber auch regelmäßig frittiertes Hühnchen von KFC rein.
Bortoleto ist für sein Alter schon ungewöhnlich reif und bleibt auch in hitzigen Situationen ruhig. Wegbegleiter bezeichnen ihn als sehr professionell und als einen harten Arbeiter, der gerne Zeit im Simulator verbringt. Diese Qualitäten sind nicht bei allen Junioren so stark ausgeprägt. Ein großer Fan von schnellen Straßenautos ist Bortoleto nach eigenen Angaben übrigens nicht. Aber das kann sich beim neuen Audi-Botschafter ja noch entwickeln.

Nach zwölf Jahren und zehn Siegen in der Königsklasse muss sich Valtteri Bottas nach Alternativen umschauen.
Sauber-Abschied von Bottas
Neben Bortoleto machten sich auch eine Reihe anderer Piloten Hoffnungen auf das letzte freie Formel-1-Cockpit. Mit Valtteri Bottas hatte Sauber sogar schon Verhandlungen über eine mögliche Vertragsverlängerung geführt. Zu einem Abschluss kam es aber nicht. Der Finne hätte nach eigener Aussage gerne weitergemacht: "So eine Situation ist für niemanden leicht. Nach den guten Gesprächen in den vergangenen Wochen sind wir leider zu keiner Einigung gekommen, um dieses Projekt gemeinsam weiterzuverfolgen."
Damit neigt sich die Formel-1-Karriere von Bottas nach zehn Saisons bei Williams, Mercedes und Sauber dem Ende: "Die vergangenen Jahre mit dem Team waren eine unglaubliche Reise, auf der ich gewachsen bin, einige Herausforderungen und unvergessliche Momente erlebt habe. Ich bin dankbar für die gemeinsamen Erfahrungen sowie die Unterstützung, die ich bei jedem Schritt gespürt habe. Auch wenn es jetzt Zeit ist, nach vorne zu blicken, werde ich immer einen Teil dieses Teams mit mir tragen. Ich freue mich schon zu sehen, was die Zukunft für uns beide bereithält."
Wie man hört, soll Bottas mit dem Gedanken spielen, in die Mercedes-Familie zurückzukehren und dort eventuell eine Ersatzfahrer-Rolle einzunehmen. Auch Mick Schumacher, Felipe Drugovich, Guanyu Zhou und Kevin Magnussen bekamen von Mattia Binotto kürzlich eine Absage. Sie standen noch weiter unten auf der Kandidaten-Liste und müssen jetzt auf Plan B zurückgreifen.