Es könnte durchaus sein, dass die Biegeflügel die Konstrukteurs-WM 2024 mitentschieden haben. McLaren brachte zuerst einen Frontflügel auf den Markt, der sich unter Last gezielt nach hinten verdrehte. Alles ganz legal, denn die beiden McLaren blieben bei allen Belastungstests innerhalb der Toleranzen. "Aero-Elastizität" nennen die Engländer das Phänomen, das nicht nur den Luftwiderstand senkt.
Mit der Verformung steuerte McLaren auch gezielt die Balance des Autos. Lieferte der Frontflügel in den langsamen Kurven noch maximalen Abtrieb, reduzierte sich die Last vorne mit zunehmender Geschwindigkeit. Damit verlagerte sich der Abtrieb nach hinten. So hatten die Piloten in den schnellen Kurven ein stabiles Heck.
Mercedes zog nach, dann Ferrari und Haas, schließlich auch Red Bull, Alpine und der Rest. Doch nicht alle nutzten das Schlupfloch im Reglement so perfekt wie McLaren. Und es dauerte, bis die Konkurrenz so weit war. Ferrari zum Beispiel schreckte zunächst davor zurück, weil man Angst hatte, die FIA könnte ein Verbot aussprechen. "Dann hast du eine halbe Million Euro Entwicklungsgeld verpulvert für etwas, das du nicht einsetzen darfst."

In Baku verformten sich die Flügel von McLaren und Ferrari, so dass sie auf den Geraden weniger Luftwiderstand produzierten.
Auch im Heck funktioniert die Aero-Elastizität
Die Praxis des Verbiegens wurde im Lauf der Saison auch auf andere Komponenten ausgeweitet. McLaren wurde in Baku dank von Onboard-Aufnahmen erwischt, die Heckflügel-Flaps bei geschlossenem DRS ab 280 km/h an den Enden nach oben biegen zu lassen, was den Luftwiderstand verringerte. Am Ferrari senkte sich das Hauptblatt ab.
Auf Druck von Red Bull warnte die FIA die Teams, dass man ein solches Verhalten der Flügel nicht mehr tolerieren wird. Die betroffenen Teams mussten nachbessern. Es dauerte nicht lange, da drehte sich das gesamte Heckflügel-Ensemble samt Beam Wing um seine Achse nach hinten. Red Bull will das bei Mercedes und McLaren beobachtet haben. Der Titelverteidiger schlug wieder Alarm.
Ab dem GP Belgien studierten die Technikkommissare anhand der Bordkameras das Verbiegen der Flügel bei voller Fahrt. Die Daten dienen als Grundlage für das weitere Vorgehen. Um das Streitthema zu beenden hat sich die FIA jetzt offenbar dazu durchgerungen, die Biege-Tricks durch strengere Belastungstests zumindest einzuschränken.

Seit Belgien mussten die Teams Markierungen auf den Flügeln anbringen. Mit Kameras sammelte die FIA Daten, wie stark sich die Enden verbiegen.
Entscheidung noch vor Januar
Das Thema kam bei der letzten Sitzung der Formel-1-Kommission auf den Tisch. Hardliner wie Red Bull fordern, dass die Belastungstests für alle Flügel so verschärft werden müssen, dass ein gezieltes Verbiegen nicht mehr möglich ist. Andere plädieren aus Kostengründen dafür, die Elastizität der Flügel auf dem jetzigen Stand einzufrieren und eine weitere Eskalation im Keim zu ersticken.
Über die Grenzwerte wird allerdings noch gestritten. Alle drängen alle die FIA zu einer schnellen Entscheidung. Im Januar gehen die Flügel für die 2025er Autos in Produktion. Unter dem Druck des Budgetdeckels will keiner Flügel bauen, die sich dann als unbrauchbar erweisen.
Die Teams sind unterschiedlich von einer schärferen Gangart betroffen. Am meisten würde wohl McLaren verlieren. Auch Mercedes, Ferrari, Haas und Alpine müssten Federn lassen. Red Bull zählt vermutlich zu den Profiteuren. Anders ist ihre Lobbyarbeit gegen die Biegeflügel nicht zu erklären.