Es ist einer der schwierigsten Jobs der Welt. Einer, der dich zum Helden machen, aber auch auf den Schleudersitz befördern kann. Als Ferrari-Rennleiter vertritt man die Hoffnungen und Erwartungen einer ganzen Nation und der größten Fangemeinde im Motorsport. Frédéric Vasseur ist der fünfte Teamchef, seitdem Jean Todt Ende 2007 freiwillig aus dem Amt geschieden ist.
Und obwohl sein Ex-Rennstall Sauber gerade mit Audi zusammenwächst, ist die neue Aufgabe in Maranello noch eine Spur verlockender. "Selbst die Audi-Leute haben mir gesagt: Ein Angebot von Ferrari lehnt man nicht ab."
An die Ära Todt erinnern sich die Tifosi am liebsten zurück. In dieser Zeit holte Ferrari sechs Fahrer-Titel und wurde insgesamt sieben Mal Konstrukteurs-Weltmeister. Todts Nachfolger fahren dem Erfolg hinterher. Immer mal wieder war ein Ferrari-Fahrer bei der Musik, doch knapp daneben ist auch vorbei. Fernando Alonso (2010, 2012) und Sebastian Vettel (2017, 2018) mussten am Ende die Krone einem anderen überlassen.

Erster Schritt ist eine Bestandsaufnahme
In der abgelaufenen Saison legte der Traditionsrennstall den besten Start hin. Bis Saisonmitte durften Charles Leclerc und Ferrari noch vom Titel träumen. Dann fuhren Max Verstappen und Red Bull alles in Grund und Boden. Ferrari wurde wieder nur Vize-Weltmeister. Für FCA-Chef John Elkann und Ferrari-Präsident Benedetto Vigna zu wenig. Mattia Binotto musste gehen. Frédéric Vasseur soll es nun richten.
Der ehemalige Sauber-Teamchef macht sich keine Illusionen. Er weiß, was von ihm verlangt wird. Nicht mehr und nicht weniger als der Titel. "Das muss unser Ziel sein. Wenn ich nur Zweiter werden wollte, müsste ich mir vorwerfen lassen, nicht genügend ehrgeizig zu sein", erklärte der 54-jährige Franzose bei seiner ersten offiziellen Pressekonferenz.
Wie er die große Aufgabe meistern will, kann Vasseur noch nicht im Detail sagen: "Ich bin ja erst seit zwei Wochen hier und mitten in der Bestandsaufnahme. Es geht in einem ersten Schritt um eine Analyse, wo wir stehen." So viel aber hat er schon gesehen: "Ich bin überzeugt, dass dieses Team alles hat, um Weltmeister zu werden. Wir müssen nur die Puzzlesteine richtig zusammensetzen."

Keine schnellen Personalrochaden
Vasseurs Vorgänger Mattia Binotto war mit 27 Dienstjahren bei Ferrari im Team bestens vernetzt. Der neue Capo ist gerade noch dabei, seine Mitarbeiter kennenzulernen. Deshalb darf man vom ihm in naher Zukunft auch keine spektakulären Personalrochaden erwarten.
"Es wäre arrogant, jetzt schon Änderungen vorzunehmen. Wir prüfen gerade, wo wir Schwächen haben und wo wir uns anpassen müssen. Ich vertraue den Leuten, die da sind. Deshalb ist es wichtig, ihnen die besten Arbeitsbedingungen zu bieten, damit sie ihre Leistung abrufen können. Veränderungen sind erst nötig, wenn es nicht funktioniert."
Immerhin ist Ferrari keine komplette Unbekannte für Vasseur. Als Motorenkunde hatte er bei Sauber regelmäßig mit Maranello zu tun. Natürlich ist dort alles größer, moderner, hochgestochener und auch deutlich emotionaler.
Trotzdem muss der neue Mann nicht total umdenken. "Die Kultur ist eine andere, aber der Geist ist bei jedem Team gleich. Wir alle wollen gewinnen." Tipps von außen nimmt er gerne an. "Mattia war so fair, mich auf darauf vorzubereiten, was mich erwartet. Und ich werde mich in den nächsten Wochen auch mit Jean Todt treffen, um von seinen Erfahrungen zu lernen."

An Strategie-Flops nie nur eine Person schuld
Vasseur kann auf 32 Jahre Motorsport-Erfahrung zurückgreifen. Deshalb weiß er, dass es nichts bringt, in blinden Aktionismus zu verfallen. Ja, Ferrari hat in der vergangenen Saison Probleme mit der Zuverlässigkeit seiner Motoren gehabt, aber deshalb muss man den Motor nicht gleich in Frage stellen. "Von der Leistung her war der Motor gut. So wie mir berichtet wurde, sind die Probleme mit der Standfestigkeit gelöst. Jetzt muss die Rennstrecke zeigen, ob das stimmt."
Ein wunder Punkt war die Strategie. Falsche Reifenwahl, schlecht getimte Boxenstopps, Mechaniker, die nach Reifen suchen, haben Ferrari manchmal zur Lachnummer gemacht. Vasseur macht das aber nicht an einer Person fest. "Man darf nicht immer nur auf die Spitze der Pyramide schauen. Es ist nie nur der Mann an der Boxenmauer, sondern die Struktur. Der Fehler liegt entweder in der Kommunikation, den Prozessen oder der Zahl der Leute, die in Entscheidungen involviert sind. Es ist jetzt unsere Aufgabe, die Fehler zu finden und sie abzustellen."
In seinem Bereich kann Vasseur autark arbeiten. Zwei bis drei Mal die Woche berichtet er an seinen Chef. "Das musste ich bei Sauber auch." Seine Nebengeschäfte hat er eingestellt: "Ferrari ist kein Teilzeitjob. Da sind 100 Prozent Einsatz schon zu wenig. Ich habe noch Anteile an meinen Firmen, aber keine operativen Aufgaben mehr."
Der größte Kulturwandel wird sein, seiner neuen Truppe den Mut einzuimpfen, Fehler machen zu dürfen, statt Verantwortung weiterzureichen. Vasseur glaubt, dass er da mit gutem Beispiel vorangehen kann: "Wenn es Fehler gibt, bin ich der Erste, der sie zugibt. Und wenn es notwendig ist zu handeln, bin ich der Erste, der das anschiebt."