Der Ferrari-Doppelsieg in Austin ist durch den Streit um die Strafe gegen Lando Norris fast ein wenig in den Hintergrund getreten. Es ging praktisch unter, wie sehr Charles Leclerc und Carlos Sainz von den Startplätzen drei und vier das Texas-Rennen dominierten. Auch ohne das Geschenk in der ersten Kurve wären die roten Raketen nur schwer zu schlagen gewesen.
Der Doppelsieg sorgte im Scuderia-Lager für spürbare Erleichterung. Nach dem Upgrade beim Heimspiel in Monza lief es schon in den letzten Rennen deutlich besser als noch in der Schwächephase zur Saisonmitte. "Wir haben auf Austin gewartet, weil es der richtige Test für unsere Upgrades ist. Dass sie hier gut funktioniert haben, ist ein gutes Zeichen für die Zukunft. Es zeigt, dass wir in die richtige Richtung arbeiten", freute sich Leclerc.

Ferrari entschied sich bewusst, etwas Quali-Pace zu opfern, um im Rennen zu glänzen. Das funktioniert aber nicht auf jeder Strecke.
Rennpace wichtiger als Quali-Pace
Das Bouncing ist aktuell gar kein Thema mehr. Die Basis des SF-24 ist so stabil, dass die Ingenieure beim Setup viele Freiheiten haben. Dabei hilft auch die sich auf den Geraden absenkende Hinterachse mit – besonders auf einer Strecke wie in Austin. Und auch bei der gewollten Verbiegung der Flügel gelang Ferrari ein Schritt nach vorne, was sich vor allem bei der Balance in den schnellen Kurven bemerkbar macht.
Der Joker in Austin, der im Rennen den Ausschlag gab, war der geringe Reifenverschleiß. Laut Vasseur hat man das Auto in Richtung des kurvigen letzten Sektors abgestimmt, wo die Belastung auf den Gummi besonders hoch ist. "Die anderen sind im Laufe des Wochenendes ein bisschen in unsere Richtung gegangen. Aber wir haben uns beim Reifenverschleiß immer noch einen Vorteil erhalten", freute sich der Franzose.
Für das gute Reifenmanagement über die Grand-Prix-Distanz opferte Ferrari in Austin etwas Pace im Qualifying. Sowohl in der Sprint-Quali am Freitag als auch in der Renn-Quali am Samstag fehlten den Piloten ein paar Zehntel für den Sprung in die erste Startreihe. "In Austin ist es kein Drama, wenn man etwas weiter hinten startet, weil man hier überholen kann", erklärte Vasseur. "Das trifft aber nicht auf alle verbleibenden Strecken zu. Da müssen wir das Setup dann entsprechend anpassen."

Am Ferrari-Kommandostand kam in Austin keine Hektik auf.
Arbeit für Strategen einfacher
Auch bei der Strategie hat Ferrari Fortschritte gemacht. In Austin wurden beide Autos souverän an die Spitze gelotst. "Wir haben den Plan während des Rennens angepasst", verrät Leclerc. "Schon in Runde 15 oder 16 war die Lücke nach hinten relativ groß. Wir konnten also einfach auf das reagieren, was Max gemacht hat." Bei Sainz war die Sache etwas komplizierter. Hier ging es nur per Undercut an Verstappen vorbei. Der frühe Stopp in Runde 21 erschien riskant, doch am Ende brachte der Spanier den zweiten Platz ohne Mühe ins Ziel.
Leclerc nutzte nach dem Rennen die Gelegenheit für lobende Worte an Chefstratege Ravin Jain: "Ich habe viel Vertrauen in Ravin. Er ist noch ziemlich jung für diese Position, aber er ist immer komplett ruhig und hat seine Emotionen im Griff. Das ist das, was man braucht. Die Strategie war in der Vergangenheit eine unserer Schwächen. Das hat sich mit Ravin grundlegend geändert. Wir haben momentan ein starkes Einsatzteam an der Strecke."
Sainz fügte jedoch an, dass die Arbeit den Ingenieuren aktuell leicht gemacht wird: "Ein gutes Auto über die Renndistanz hilft, dass die Strategie funktioniert. In Austin bin ich als Erster an die Box gegangen und konnte trotz des langen Stints eine starke Pace auf den harten Reifen fahren. In Singapur bin ich schon in Runde 14 reingekommen. Das wäre in der Vergangenheit nicht möglich gewesen. Da hätten solche mutigen Strategien verrückt ausgesehen. Das gute Auto gibt uns mehr Flexibilität und mehr Möglichkeiten."

Charles Leclerc spricht schon vom Titel. Sein Teamchef ist da etwas zurückhaltender.
Gute Chance auf die Teamwertung
Mit der starken Vorstellung wachsen bei Ferrari die Ambitionen. In der Teamwertung fehlen jetzt nur noch acht Punkte auf Red Bull. Zu Spitzenreiter McLaren sind es 48 Zähler. Wenn man, wie in Austin, auch in den nächsten Rennen 27 Punkte gutmachen kann, dann ist der Rückstand an den letzten fünf Wochenenden schnell eingedampft.
"Wir müssen das Ziel haben, die Teamwertung zu gewinnen. Wenn bei uns alles perfekt läuft, haben wir eine gute Chance. Am Ende der Saison wird abgerechnet und dann haben wir hoffentlich den Konstrukteurspokal", spornte Leclerc sein Team an. "Bei der Fahrerwertung ist das etwas anders. Selbst wenn alles perfekt läuft, sind wir hier noch auf Glück angewiesen. Es sieht eher unwahrscheinlich aus. Ich werde aber weiter daran glauben, bis es mathematisch nicht mehr möglich ist."
Teamchef Vasseur will lieber noch nicht vom Titel sprechen. Aktuell interessiert den Capo nur das nächste Rennen in Mexiko. "Vier Teams kämpfen aktuell auf Augenhöhe. Alles kann sich schnell ändern, auch innerhalb eines Wochenendes. Man hat es in Austin gesehen: Da war Lewis am Freitag im Qualifying superschnell unterwegs und dann ist seine Pace im Laufe des Wochenendes etwas verschwunden. Ich erinnere mich auch noch gut an Spa. Da war Red Bull im ersten Training sechs Zehntel vorne, dann kam McLaren stark auf, wir sind von der Pole-Position losgefahren und am Ende hat Mercedes gewonnen. Jedes Wochenende ist anders."

Kann Ferrari mit neuen Teilen noch einmal einen Performance-Sprung hinlegen?
Ferrari kündigt Upgrades an
Das Zünglein an der Waage könnte sein, was die Teams für den Endspurt noch im Upgrade-Köcher haben. Im Gegensatz zu McLaren, Mercedes und Red Bull meldete Ferrari für Austin keine neuen Teile an. Das bedeutet aber nicht, dass der SF-24 nicht aufgerüstet wurde. "Die Performance kommt ja nicht nur durch die äußere Form des Autos", grinste Vasseur vielsagend. Nicht angemeldet werden müssen zum Beispiel mechanische Upgrades. Auch Teile, die sich nicht in der Form, aber in der Biegsamkeit oder dem Gewicht ändern, werden in der FIA-Liste nicht aufgeführt.
Der Teamchef bestätigte, dass in den nächsten Rennen noch weitere Performance nachgelegt werden soll. "Zu diesem späten Zeitpunkt der Saison bringen die Upgrades keine großen Schritte mehr. Aber bei so einem engen Kampf helfen auch kleine Schritte von einer oder anderthalb Zehnteln weiter." Am Ende kommt es auch darauf an, wie gut die Autos mit dem abwechslungsreichen Restprogramm zurechtkommen. Hier ist ein Allrounder gefragt. "Mexiko und Las Vergas sollten uns besonders gut liegen, wenn man sich das letzte Jahr anschaut", analysiert Sainz. "Katar ist eher eine Angstrecke für uns. Was ist in Abu Dhabi passiert, lässt sich nicht sagen."
Einen Sieger gibt es jetzt schon – die Fans! So spannend und eng war es in der Königsklasse lange nicht. Seit Juni hat kein Fahrer mehr zwei Rennen in Folge gewonnen. Einen Hattrick gab es dieses Jahr noch gar nicht. Schon in Mexiko kann sich das Bild wieder ändern. Die Einsätze sind hoch. Fehler darf sich nun keiner mehr erlauben.