Ferrari fuhr als Favorit nach Las Vegas. Das Streckenlayout schien perfekt für die roten Autos. Lange Geraden, fünf harte Bremspunkte, langsame Kurven. Da erwarten die Fahrer viel Performance von ihrem Auto. Der Ferrari SF-24 gibt Charles Leclerc und Carlos Sainz in diesem Jahr das Vertrauen für diesen Typ Rennstrecke.
Fahrer und Ingenieure hatten nur vor den tiefen Temperaturen Angst. Die sind in der Qualifikation für ein Auto, das seine Reifen streichelt, Gift. Doch als Sainz und Leclerc am Freitagabend bei 15 Grad Asphalttemperatur auf die Startplätze zwei und vier fuhren, entspannten sich die Gesichter im Ferrari-Camp. Zumal für die Nacht des Rennens auch noch etwas höhere Temperaturen gemeldet wurden.
Die Zeichen standen auf Sieg. Doch dann ging das Rennen schon im ersten Stint verloren. Charles Leclerc meldete nach sechs Runden starkes Körnen der Reifen, Carlos Sainz zwei Runden später. Bei Leclerc gab es eine Erklärung. Er wollte in der vierten Runde zu ungestüm an George Russell vorbei. "Da habe ich mir wahrscheinlich die Reifen hingerichtet. Ein Mal zu aggressiv, und dann hast du wie mit einem Schalter das Körnen am Hals."
Sainz hielt sich an den Fahrplan, den Medium-Reifen nicht zu überfordern. Und trotzdem passierte es. "Es war ein kleiner Schock, weil ich mir speziell auf dem Medium-Gummi einiges ausgerechnet hatte." In der Phase verloren die Ferrari-Piloten bis zu zwei Sekunden pro Runde auf die Konkurrenz und schenkten durch das Timing der Boxenstopp zunächst einmal jeweils zwei Positionen her.

Carlos Sainz wickelte den letzten Boxenstopp erst im zweiten Anlauf ab.
Ferrari bei Sainz-Boxenstopp nicht bereit
Sainz kritisierte nach dem Rennen, dass man ihn im ersten Stint eine Runde und im zweiten zwei Runden zu spät an die Box geholt hätte und dabei auf den körnenden Reifen zu viel Zeit verloren ging. Leclerc beschwerte sich, weil ihn der Kommandostand am Ende des zweiten Stints zu spät an Sainz vorbeigelotst hat, was Lewis Hamilton die Chance gab aufzuschließen.
Sainz hatte kein Problem Platz zu machen. Er wollte sowieso an die Box, durfte aber nicht, weil er sonst unglücklich in einen Pulk von Fahrzeugen gefallen wäre. Als der zweifache Saisonsieger dann endlich in die Boxengasse abbog, war die Reifenwechsel-Crew nicht bereit.
Sainz war schon in der Boxeneinfahrt und schaffte es gerade noch so mit einem Schlenker zurück auf die Zielgerade. Die Aktion kostete 3,7 Sekunden. Wegen einer Runde mehr auf körnendem Reifen sogar noch mehr. "Ohne das hätte ich vielleicht mit Lewis um Platz zwei kämpfen können."

In der Anfangsphase ließ Leclerc den Teamkollegen freiwillig passieren. Sainz revanchierte sich später aber nicht.
Leclerc sauer auf Teamkollege
Auch Leclerc war nicht zufrieden mit der Strategie und der Kommunikation mit dem Kommandostand. Der Monegasse kam nach dem Overcut beim zweiten Boxenstopp kurz an Teamkollege Sainz vorbei. Um die Reifen durch einen internen Zweikampf in der Outlap nicht gleich wieder zu überlasten, bekam der Monegasse den Funkspruch: "Wir haben Carlos gesagt, dass er nicht überholen soll. Er wurde angewiesen, Dich nicht unter Druck zu setzen. Also achte bitte auf Deine Reifen."
Doch dann startete Sainz auf der Gegengeraden direkt die Attacke und zog an seinem Teamkollegen vorbei. Leclerc schimpfte am Funk: "Vielleicht solltet Ihr es ihm mal auf Spanisch sagen!" Die Kommunikation mit Sainz war in der Tat etwas zweideutig. Der Madrilene bekam nur die Anweisung: "Setz ihn nicht unter Druck!" Von Überholen wurden nichts gesagt. So zog Sainz das Manöver ohne große Gegenwehr durch.
In der Auslaufrunde nach dem Rennen schimpfte Leclerc über das verpasste Podium: "Ich habe meinen Job erledigt. Aber wenn ich nett bin, bin ich jedes verdammte Mal am Ende der Dumme. Es geht noch nicht einmal darum, nett zu sein, sondern um einen respektvollen Umgang. Ich weiß, dass ich das nicht sagen sollte, aber es ist jedes Mal das Gleiche."

Ferrari holte zwar auf McLaren auf. Die Strecke in Katar sollte den Papaya-Rennern aber wieder besser liegen.
Ferrari findet spät den Speed
Teamchef Frédéric Vasseur räumte ein, dass die Exekution nicht ganz glücklich war. Aber auch die Fahrer hätten ihren Teil zu den Reifenproblemen beigesteuert. Der Franzose gab sich aber auch keiner Illusion hin: "Egal, was wir gemacht hätten, wir wären heute nicht besser als Dritter und Vierter geworden. Die Mercedes waren einfach zu schnell für uns."
Das führt zu der Frage, warum Ferrari ausgerechnet im Rennen Federn lassen musste. Die Erklärung fällt ähnlich aus wie bei McLaren. Der Ferrari braucht Grip von der Rennstrecke und höhere Temperaturen, damit die Aerodynamik des SF-24 ihre Wirkung entfalten kann. Im Gegensatz zu Mercedes ist das Überhitzen der Reifen selten ein Problem. Diese Qualität spielte in der kühlen Nacht in Las Vegas aber keine Rolle.
Erst als mit mehr Gummi auch mehr Grip auf die Strecke kam, zeigten die Ferrari ihre Normalform. Im letzten Stint waren sie die schnellsten Autos im Feld. Sainz verkürzte seinen Rückstand auf George Russell nach dem zweiten Boxenstopp von 16,6 auf 11,9 Sekunden. Der Spanier holte auch auf Hamilton eine knappe Sekunde auf. Leclerc segelte im Zweieinhalb-Sekunden Abstand im gleichen Tempo mit.
Ferrari hätte gerne mehr als nur zwölf Punkte auf McLaren aufgeholt. Weil jetzt mit Katar und Abu Dhabi zwei Prüfungen folgen, bei denen man McLaren stärker einschätzen muss. Die Erfahrung der letzten Rennen lehrt jedoch, dass Prognosen aufgrund der Papierform nicht viel wert sind.
In Losail erwarten die Ferrari viele schnelle Kurven, in denen die McLaren besser sind. Aber das führt auch zu größerer Reifenabnutzung, was für Ferrari ein Vorteil sein kann. So oder so: Ferrari darf den Vorsprung von McLaren vor Abu Dhabi nicht mehr als auf 43 Punkte anwachsen lassen. Das sollte möglich sein.