Spa war ein Ausreißer für Ferrari nach unten. In Belgien hatte Red Bull die roten Autos auf eine Runde stehen lassen. Der Kurs in den Ardennen war wie maßgeschneidert für den effizientesten Rennwagen im Feld. Doch schon in Zandvoort eine Woche später meldete sich Ferrari zurück. Charles Leclerc wäre dort ohne Fehler auf Pole Position gefahren. Eine weitere Woche später holte der Monegasse nach, was er in Max Verstappens Wohnzimmer verpasst hatte.
Besser hätte er den Zeitpunkt nicht wählen können. Ausgerechnet in Ferraris großem Heimspiel in Monza raste der WM-Zweite allen davon. "Wir hatten nach Spa nicht erwartet, dass wir hier auf Pole Position fahren können", sagte ein strahlender Leclerc. "Wir haben uns selbst überrascht. Natürlich geht immer ein bisschen mehr. Doch mit meiner letzten Runde war ich wirklich glücklich. Da habe ich alles zusammenbekommen."

Ferrari auf Geraden schneller
So distanzierte Leclerc seinen ersten Verfolger um 0,145 Sekunden. Und hätte Carlos Sainz im Finale in Q3 einen Windschatten erwischt, dann wäre wohl auch das zweite rote Auto schneller gewesen als der Red Bull mit der Startnummer 1. "Meine Outlap war ein bisschen chaotisch. Ich hatte gehofft, dass Lando mich ziehen könnte. Doch das hat nicht geklappt." Schlussendlich war es der Spanier, der den McLaren hinter sich mitschleppte. Lando Norris spendete wiederum Leclerc Windschatten.
"Ich konnte mich im Vergleich zum ersten Q3-Run in den Kurven steigern, habe aber ohne Vordermann zu viel auf den Geraden verloren. Angesichts dessen ist eine Rundenzeit von 1:20.4 Minuten respektabel." Sainz hinkte dem Teamkollegen um 0,268 Sekunden hinterher. Richtig traurig war er nicht. Eine Startplatzstrafe wirft ihn für den Rennsonntag ohnehin zurück.
Dieses Mal drehten sich die Verhältnisse um. Nicht Red Bull war auf den Geraden schneller, sondern Ferrari. Die italienischen Ingenieure trimmten ihr Auto auf Höchstgeschwindigkeit, während sich die WM-Führenden für einen etwas größeren Heckflügel entschieden. Das geht zulasten von Topspeed, bringt aber mehr Anpressdruck in den elf Ecken. Folglich war Red Bull in den Kurven schneller. Allerdings ging zu viel Zeit auf den Geraden verloren. Drei bis vier Zehntel zu Ferrari, rechnete Red Bull vor.

Red Bull hofft auf Renn-Pace
Wenig Flügel plus stärkster Motor: Das brachte Ferrari in Summe an die Spitze. Die Power Unit aus Maranello hat den meisten Dampf, wenngleich die Unterschiede zwischen den Herstellern gering sind. Es heißt, Ferrari mobilisiere drei bis vier Kilowatt mehr als der Honda-Antrieb. Das sind in der alten Währung vier bis fünf PS. Zu Mercedes soll Ferrari fünf Kilowatt gewinnen. Das wären sieben PS. Und auch Renault ist mit seiner Power Unit voll dabei.
Red Bulls Ingenieure entschieden sich für die eingeschlagene Setup-Richtung mit Blick auf das Rennen. Man wusste ja, dass Verstappen wegen der Motorenstrafe ohnehin ein paar Plätze nach hinten purzeln würde. Der fünfte Motor der Saison kostet ihn in der Theorie fünf Startplätze. "Mein Runde war anständig. Doch wir waren im ersten Sektor zu langsam. Da kostet uns die erste Schikane und die Gerade bis Kurve drei", erklärt Verstappen.
Durch den größeren Flügel fällt der DRS-Effekt etwas größer aus. Obendrein hofft Red Bull, dass Verstappen mit mehr Haftung im Heck die Reifen wird besser konservieren können. Man spekuliert über die Distanz auf weniger Abnutzung als bei der Konkurrenz. "Die Longruns am Freitag haben sich sehr gut angefühlt", frohlockt Verstappen. Doch sein Konkurrent macht sich keine allzu großen Sorgen.
Ferrari findet zurück auf Kurs
Leclerc fühlt sich nach der zweiten Monza-Pole auch auf Kurs zum zweiten Sieg im Autodromo. "Ich hatte am Freitag ein gutes Gefühl im Auto. Unsere Rennpace sollte stark sein." Ferrari hat die Trainings genutzt und viel experimentiert, damit sich Spa nicht beim Heimspiel in Monza wiederholt. "Carlos und ich haben verschiedene Sachen getestet. Wir haben damit in die richtige Richtung gearbeitet, und unsere Pace verbessert."
Die Bodenwollen erfordern auch in Monza, das Auto höher zu stellen, um ein zu starkes Aufsetzen des Unterbodens zu verhindern. Bei Mercedes hat die erhöhte Bodenfreiheit dazu geführt, dass der Abtrieb sinkt und der Luftwiderstand steigt. Man ist wieder aus dem Fenster gefallen. Ferrari hat aus dem Spa-Debakel die richtigen Schlüsse gezogen. Der F1-75 kehrte wieder in seinen Wohlfühlbereich zurück. "Natürlich bricht das Heck mal an der einen oder anderen Stelle aus. Aber das Auto ist mit diesem Abtriebslevel berechenbar", schildert Leclerc.
Das Problem, dass die Reifen im Dauerlauf zu schnell überhitzen wie in Spa und Zandvoort, verfolgte Ferrari in den Trainings nicht. Auch hier ist man besser unterwegs als zuletzt. Vielleicht hilft die Streckencharakteristik. Monza belastet die Reifen nicht zu stark. Die Hinterreifen werden aus den Schikanen am meisten gefordert. Dass sie im Verhältnis stärker beansprucht werden, war zuletzt in Österreich und Kanada der Fall. Zwei Strecken, auf denen Ferrari gut aufgestellt war.

Sainz erwartet hektisches Rennen
Der Heimsieg ist in greifbarer Nähe für Ferrari. Den erreicht man aber nur mit einem fehlerfreien Rennen. Nach den vielen Pannen der letzten Wochen hatte die Teamführung vor dem wichtigsten Rennwochenende der Saison die Devise ausgegeben, Ruhe ins System zu bringen und nicht mehr so stark ins Risiko zu gehen. Nichts ist für Ferrari wichtiger als ein reibungsloser Ablauf. Das ist in der Qualifikation bereits gelungen.
Was die Strategen schon mal etwas beruhigen wird: Ein Einstopprennen ist bei normalem Rennverlauf praktisch gesetzt. Da kann man perse schon mal weniger falsch machen. Mercedes sollte angesichts der bisherigen Vorstellungen kein Gegner sein. Und Verstappen steht nicht in unmittelbarer Nähe. Selbst wenn der Weltmeister hinter dem roten Auto auftaucht, sollte sich Leclerc dank des kleineren Flügels wehren können.
Red Bull hofft auf den geringeren Reifenverschleiß – und noch einen weiteren kleinen Vorteil in der Hinterhand zu haben. Kein Auto kann so lange boosten wie der RB18. Die Elektro-Power hält dank Honda am längsten vor. "Das sollte uns im Rennen helfen." Doch Ferrari träumt vom großen Coup. "Wir müssen es morgen zu Ende bringen, sonst bringt uns die Pole nichts", fordert Leclerc.
Auf Teamkollege Sainz wartet von Startplatz 18 eine schwierige Aufgabe. Er muss sich durch das Feld wühlen. Das Auto dazu hat er, weil die Höchstgeschwindigkeit stimmt. Er darf nur nicht in einen DRS-Zug geraten. "Ich erwarte ein gemischtes Rennen mit vielen Zweikämpfen, weil viele Fahrer von Positionen starten, auf denen sie normalerweise nicht stehen. Besonders die ersten 20 Runden sollten hektisch werden." Bis zu den ersten Boxenstopps.