Die neuen Regeln haben die Karten neu gemischt. Und Ferrari zurück an die Spitze der Formel 1 gebracht. Es ist zwar erst eine Qualifikation gefahren, und wir sollten noch das Rennen und weitere Rennstrecken abwarten, doch dieser Ferrari scheint ein gelungener Wurf. Der F1-75 kann sowohl Kurven als auch Geraden. Red-Bull-Sportchef Helmut Marko applaudiert der roten Konkurrenz: "Der Ferrari-Motor geht wie die Sau. Das sieht man an den Kundenteams." Alfa Romeo und Haas gelang mit je einem Auto der Sprung ins Q3.
Die Hauptdarsteller der neuen Formel-1-Show waren am Samstagabend von Bahrain die roten und dunkelblauen Autos. Mercedes wurde von Ferrari und Red Bull zum Nebendarsteller degradiert. "Wir haben gesehen, dass sie in Problemen stecken. Bei Mercedes weißt du aber nie. Ich hatte sie deshalb für die Qualifikation auf der Rechnung", sagte Pole-Setter Charles Leclerc. Erst die drei Durchgänge zeigten, dass Mercedes diesmal tatsächlich nicht mithalten kann.
Max Verstappen will die Silberpfeile nicht zu früh abschreiben. "Sie haben Bouncing. Aber wenn sie das mal aus der Welt geräumt haben, werden sie ein schnelles Auto haben. Wir wissen, wie gut Mercedes ein Auto über die Saison entwickeln kann. Das habe ich im letzten Jahr am eigenen Leib erfahren, als sie zum Saisonende immer schneller wurden. Diese neuen Autos haben noch so viele Bereiche, die keiner erkundet hat." Mit anderen Worten: Wer am meisten Spielraum in der Entwicklung hat, dürfte am Saisonende lachen.

Sainz kämpft um Pole mit
Es war keine reibungslose Qualifikation. Weder für Ferrari noch für Red Bull. Leclerc und Verstappen sahen nach drei Trainings wie die einzigen Anwärter auf Pole Position aus. In der Quali machte Carlos Sainz aus dem Duo ein Trio. So recht wusste der Spanier nicht, wieso. "Das ganze Wochenende war ich langsam. Teilweise fehlte mir auf Charles eine halbe Sekunde", berichtete Sainz, dem das Fahrern nicht leicht von der Hand geht. "Ich muss unheimlich viel im Cockpit nachdenken. In jeder Kurve muss ich verstehen, was das Auto treibt. Das kostet Kapazität."
Der Teamkollege glänzt wie Verstappen mit Naturtalent. Es war bereits bei den Testfahrten zu beobachten, dass Leclerc mit den neuen Ground-Effect-Autos, die den meisten Abtrieb über den Unterboden erzeugen, besser zurechtkommt. Dass es ihm leichter fällt, Runden hinzuknallen – vor allem mit frischen Reifen und weniger Benzin an Bord.
Der Monegasse spazierte dennoch nicht durch die Qualifikation. "Ich hatte mit den Reifen zu kämpfen. Es war schwer, sie ins Fenster zu bekommen und die Runden zusammen zu bringen", sagte der Mann, der zum zehnten Mal in seiner Laufbahn vom ersten Startplatz grüßt. "Ich hatte meine Probleme. Deshalb unterlief mir hier mal ein Fehler, und da mal einer. Im ersten Sektor war ich besonders langsam."
Reifentemperatur fehlt
Das spricht dafür, dass Leclerc die Vorderreifen nicht auf Temperatur brachte. Das ist in diesem Jahr besonders schwer, weil die Heizdecken die Reifen vorn nicht mehr mit 100 Grad, sondern nur noch 70 Grad vorbacken. An der Hinterachse sind es ebenfalls 70 statt 80 Grad. Die Streckentemperatur war ähnlich zum Freitag. Der Asphalt war zu Beginn der Qualifikation sogar zwei Grad wärmer als gestern (26 zu 24).
Dennoch zeigte sich der Ferrari nicht nach Leclercs Geschmack. "Das ganze Wochenende war es für mich kein Problem, die Reifen anzuzünden. Erst im letzten Versuch haben sich die Reifen ein bisschen besser angefühlt. Aber nicht so gut wie in den Trainings. Ich denke, es wäre noch ein bisschen schneller gegangen." Der Monegasse umrundete den Kurs in 1:30.558 Minuten.
Damit verliert Ferrari unter den neuen Regeln im Vergleich zu 2021 im Qualifikations-Trimm gut neun Zehntel. Red Bull und Mercedes fallen dagegen um rund 1,7 Sekunden ab. Ferrari hat sich wieder in eine Position gebracht, um Topresultate zu fahren. "Wir wussten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, weil wir in Maranello sehr hart und sehr gut arbeiten", erläutert Leclerc. "Du hast aber immer Zweifel, bis du den Beweis erbringst." Das tat Ferrari mit den Startpositionen eins und drei.

Verstappen verfehlt Pole
Red Bull sah sich auf Kurs, den Roten im letzten Moment den Spitzenplatz zu entreißen. "Max hat leider in der letzten Kurve eineinhalb Zehntel verloren", bedauert Sportchef Marko. "Auch bei Perez hat die letzte Ecke nicht gepasst." Der Mexikaner landete in der zweiten Reihe neben Sainz. Verstappen erging es ähnlich wie Leclerc. Er erkannte sein Auto nicht wieder, war aber trotzdem schnell. "Mal hab ich einen Treffer gelandet, mal die Kurve verfehlt. In Q2 hatte ich noch ein besseres Gefühl im Auto. Im Q3 bin ich im ersten Run zu sehr gerutscht. Im zweiten Versuch habe ich an einer Stelle gewonnen, an der nächsten verloren."
Die Balance stimmte ihn nicht zufrieden. Was wiederum auf die Reifentemperaturen zurückzuführen ist. Egal, ob Red Bull am Frontflügel nachjustierte. Es passte nicht wie gewünscht. "Entweder waren die Vorderreifen am Anfang der Runde zu kalt oder hinten heraus zu warm", ärgerte sich Marko. "Die fallenden Streckentemperaturen haben uns gekostet." Vielleicht auch die Aufwärmrunden, mit denen Verstappen haderte.
Red Bull hatte zwar das schnellste Auto auf den Geraden, und war an der Messstelle für den Topspeed um etwa sieben km/h flotter als Ferrari. Das hatte aber einen Grund. Das Team entschied sich für einen kleineren Heckflügel. "Das hat uns in Summe mehr Performance gebracht." Verstappen bestimmte den ersten Sektor, war aber im kurvenreichen Mittelabschnitt eine Zehntel langsamer als der Ferrari.
Für das Rennen sieht sich Red Bull gut aufgestellt. Die Longruns zeigten, dass der RB18 pfleglich mit den Pirellis umgeht. "Das stimmt uns optimistisch." Ferrari-Pilot Sainz urteilt: "Mit vollen Tanks scheint Max einen Vorteil zu haben." Deshalb sollte Leclerc besser die Pole in die Führung in der ersten Kurve umsetzen. Ein Fragezeichen schwebt über Sainz. Der Spanier tat sich auch am Freitag im Dauerlauf schwer. "Ich werde erst morgen sehen, ob ich die Steigerung in der Qualifikation auch im Rennen umsetzen kann."