Die erste Saisonhälfte war kein Ruhmesblatt für Ferrari. Red Bull fährt einsam an der Spitze, und dahinter muss sich Ferrari in einem Pulk mit Mercedes, Aston Martin, McLaren und manchmal Alpine behaupten. Weil Red Bulls Verfolger oft nur zwei Zehntel trennen, war die erste Saisonhälfte für die meisten Teams in dieser Gruppe ein ständiges Auf und Ab.
Ferrari steht nach zwölf Rennen auf Platz 4. Teamchef Frédéric Vasseur gibt zu: "Wir haben gerade am Anfang der Saison viele Chancen verpasst." Und dafür bezahlt Ferrari jetzt. Der Abstand zu Mercedes beträgt 56 Punkte. Deshalb ruft Vasseur auch kein explizites Saisonziel aus. "Wir wollen in allen Bereichen besser werden. Und das jedes Wochenende aufs Neue."
Mit dieser Einstellung soll Ferrari den Weg zurück an die Spitze finden. Es ist deshalb nicht entscheidend, in der Endabrechnung vor Mercedes und den anderen Rivalen zu stehen, sondern in der zweiten Saisonhälfte ein schnelleres Auto als Mercedes und der Rest zu haben. "Wir sind besser in der Qualifikation, sie im Rennen. Wir wollen sie auch regelmäßig im Rennen schlagen können."

Nur äußerst selten (kurz) vor Red Bull: Ferrari erfüllte in der ersten Saisonhälfte nicht die Erwartungen an sich selbst.
Alles neu bei Ferrari 2024
In die ersten beiden Rennen nach der Sommerpause wird Ferrari zunächst einmal ohne größere Upgrades gehen. Dazu sind Zandvoort und Monza zu unterschiedlich, um mit neuen Teilen beiden Streckentypen gerecht zu werden. "Es wird im Saisonverlauf aber noch Upgrades geben", verspricht Vasseur. Viel wichtiger ist es, so der Franzose, die Rennwochenenden fehlerlos abzuwickeln. Das schließt Setup, Reifenwahl, Strategie mit ein.
Die Neuentwicklungen sind nach Vasseurs Worten hauptsächlich dazu gedacht, den aktuellen SF-23 zu verbessern und weniger ein Vorgriff auf das 2024er Auto. Nächstes Jahr soll kein Stein auf dem anderen bleiben. Vasseur schließt weder ein neues Chassis noch ein neues Getriebe aus. Er weigert sich aber von einem "neuen Konzept" zu sprechen. "Wir müssen in jedem Bereich einen Schritt vorwärtsmachen."
Vasseur glaubt nicht, dass sich der Siegeszug von Red Bull auf einem genialen Trick oder einem überlegenen Konzept begründet. "Die sind einfach in jeder Disziplin perfekt, egal ob Chassis, Aerodynamik, Motor, Fahrer oder Strategie. Und das macht dann den Unterschied."
Neue Leute, lange Arbeitssperren
Um Ferrari wieder siegfähig zu machen braucht es in Maranello neue Strukturen, eine neue Denkweise und neue Leute. An den ersten beiden Punkten hat Vasseur bereits erfolgreich gearbeitet. "Die Stimmung im Team ist gut. Wir haben nach jeder Niederlage zurückgeschlagen."
Vasseur traut seinem Team auch zu, ein konkurrenzfähiges Auto für 2024 auf die Räder zu stellen. "Wichtig dabei ist zu verstehen, was am aktuellen Auto falsch und was richtig ist." Offenbar haben die Ingenieure unter Enrico Cardile und Enrico Gualtieri die richtigen Schlüsse gezogen.
Trotzdem entdeckte Vasseur in gewissen Bereichen des Konstruktionsbüros Defizite, denn im Verlauf der nächsten 18 Monate wird in Maranello eine Reihe neuer hochrangiger Techniker andocken. "Die einen dürfen Anfang 2024 mit der Arbeit beginnen, die anderen Mitte 2024 und wieder andere erst Anfang 2025. Das ist ein bisschen frustrierend, weil man so weit vorausplanen muss. Und es ist nicht einfach, die Leute im Rahmen des Kostendeckels zu integrieren."

Ferrari will sich mit beiden Fahrern noch 2023 zusammensetzen, um die Zukunft zu regeln.
Fahrerverträge haben Zeit
Vasseur will keine Namen nennen, doch es gilt als gesichert, dass bei Red Bull und Mercedes gewildert wurde. Mercedes-Fahrwerkschef Loic Serra soll einer der Neuzugänge sein. Auch der Name von Red-Bull-Technikchef Pierre Waché fiel immer wieder, doch nach Aussage von Red Bull bleibt ihr Kronjuwel dem Team erhalten.
Serra hätte allerdings eine Arbeitssperre bis 2025. Vasseur sieht in der Auffrischung seiner Technikabteilung kein Misstrauensvotum gegenüber denen, die schon da sind. "Es gibt kein vorher und kein nachher. Ferrari muss nicht auf die Neuzugänge warten, um wieder in die Erfolgsspur zu kommen. Das wäre die falsche Message. Ich vertraue der Truppe, die wir haben."
Bei den Fahrern lässt sich Vasseur weiter Zeit. Für 2024 sind beide noch unter Vertrag. Carlos Sainz hat es mit der Unterschrift angeblich eilig, während Charles Leclerc eher auf Abwarten spielt. Vasseur beteuert weiterhin, dass die Fahrer nicht sein drängendstes Problem sind, er will aber mit einer klaren Perspektive in die Saison 2024 gehen. "Deshalb werden wir uns mit Carlos noch vor Ende der Saison zusammensetzen."