Der Stachel saß tief. 2020 war für Ferrari die viertschlechteste Saison nach 1980, 1973 und 1969. Die ruhmreiche Scuderia beendete das Vorjahr mit 131 WM-Punkten als Sechster. Ganze 50 Zähler hinter dem fünften Platz. Es fehlte an allem. Am Abtrieb, Motorleistung, Zuverlässigkeit, Reifenmanagement, Rennstrategie, Boxenstopps. Damit war das Ziel für diese Saison gesteckt. Ferrari musste eine starke Reaktion zeigen und sich in allen Bereichen verbessern.
Teamchef Mattia Binotto nordete seine Mannschaft schon vor Saisonbeginn ein. Der dritte Platz ist kein Muss, aber ein Ziel, um das man wenigstens kämpfen will. 22 Rennen später steht Ferrari genau dort, wo es sein Capo haben wollte. Der älteste Rennstall der Formel 1 führt die Liga hinter den beiden WM-Kandidaten Mercedes und Red Bull an. Nach langem Kampf mit McLaren hat man sich im Schlussspurt dann doch deutlich von dem anderen Dinosaurier im Feld abgesetzt. Der Vorsprung auf Platz 4 betrug 48,5 Punkte.

Zahlen unterstreichen Kehrtwende
Mattia Binotto präsentierte in seiner Weihnachtsansprache stolz die Zahlen einer Saison, in der Ferrari die Kehrtwende geschafft hat. Ganz offensichtlich wird es bei den WM-Punkten. 2020 haben Charles Leclerc und Sebastian Vettel 7,7 Zähler pro Grand Prix auf das Ferrari-Konto geschaufelt. In diesem Jahr waren es 14,7 Punkte. Also praktisch doppelt so viel.
Die Lücke zu den Topteams sollte geschlossen werden. Man konnte aber in einer Saison, in der weite Teile des Autos homologiert waren, nicht erwarten, dass Ferrari sofort auf dem Niveau von Mercedes oder Red Bull fährt. Beim Vergleich der Rundenzeiten sollte aber wenigstens die Richtung stimmen. Und sie stimmte. In der Qualifikation verkürzte Ferrari das Delta zu Mercedes von durchschnittlich 1,34 auf 0,64 Sekunden. Im Rennen fällt die Verbesserung zu 2020 geringer aus. Von 1,07 auf 0,8 Sekunden pro Runde. "Das ist ein schöner Trend, aber der Abstand ist immer noch groß. Es wäre eine Illusion gewesen, die Lücke komplett zu schließen", mahnt Binotto.
Hätte Ferrari die Entwicklung seines SF21 nicht nach Baku eingestellt und in Silverstone das letzte Upgrade gebracht, wäre es vielleicht möglich gewesen, der Spitze noch etwas näherzukommen. Die Eigenheiten einer Saison, in der zum ersten Mal ein Kostendeckel Grenzen setzte und in der viele Teams schon früh aus dem Wettrüsten ausgestiegen sind, um sich auf 2022 vorzubereiten, zeigt sich auch im Verlauf der Abstände zu den beiden Topteams. Zunächst lag das Delta bei vier Zehntel, stieg dann auf das Doppelte an, weil die Entwicklung eingeschlafen war, und verkürzte sich mit Einführung des neuen Hybridsystems wieder auf sechs Zehntel.
Nur zwei Ausfälle bei 44 Starts
Die Fleißaufgabe, ab dem GP Russland eine Neukonstruktion des elektrischen Teils des Antriebs zu bringen, zahlte sich für Ferrari voll aus. Das war der Moment, ab dem man sich vom direkten Gegner McLaren entfernte. Weil die Fahrer nicht mehr so verwundbar auf den Geraden waren, weil genau das Freiheiten bei der Fahrzeugabstimmung schaffte und weil man dank mehr Leistung und einer schnelleren Rekuperation rund 0,15 Sekunden pro Runde gewann. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Abstand zu McLaren auf eine Runde mit 0,05 Sekunden minimal ausfiel. GPS-Messungen zufolge wurde das Leistungsdefizit von 50 PS im Jahr 2020 auf 20 PS im letzten Saisondrittel 2021 verkürzt.
Binotto ist auch stolz auf die Standfestigkeit. Ferrari beklagte in der ganzen Saison nur zwei Ausfälle. Im letzten Jahr waren es bei fünf Rennen weniger sechs. Carlos Sainz kam immer ins Ziel, 20 Mal davon in den Punkterängen. Charles Leclerc schaffte es in Monte Carlo nicht einmal bis zum Start, was besonders bitter war, weil er auf der Pole Position gestanden hätte. In Ungarn war der Monegasse unschuldiges Opfer einer Startkollision. "Beide Vorfälle haben Charles 40 Punkte gekostet", rechnet sein Teamchef vor.
Die Nullrunde in Monte Carlo war genau genommen kein Defekt, sondern ein Unfallschaden, den man laut Binotto im weitesten Sinne als operativen Fehler werten konnte. Weil man vielleicht die dem Einschlag abgewandte Seite des Autos noch genauer untersuchen hätte können. Daran, dass bei einem Leitplankenkontakt mit der rechten Seite links hinten die Radnabe brechen könnte, hat keiner gedacht.

Ferrari mit besseren Stopps
Prinzipiell hat Ferrari auf der operativen Seite einen großen Schritt gemacht. "Wir haben uns in der Rennvorbereitung verbessert, der Strategie und den Boxenstopps." Um das zu unterstreichen, präsentierte der Mann mit der Harry Potter-Frisur Charts, die genau das belegen. Der Graph, der den Punktestand bei den einzelnen Rennen darstellt, ist bei Ferrari praktisch eine Gerade. Alle anderen Teams, inklusive Mercedes und Red Bull zeigen hier und da Schwankungen.
Einen sichtbaren Fortschritt verbucht Binotto bei den Boxenstopps. Ferrari hat zwar keine neuen Rekorde gebrochen, war aber bis auf Ausreißer in Italien, Russland und der Türkei relativ konstant. Relevant für die Teams sind Boxenstopps unter drei Sekunden. Unter diesem Wert verliert man keine Positionen. Ein Reifenwechsel unter zwei Sekunden gewinnt dagegen kein Rennen.
Über die 22 Rennen blieb Ferrari bei 73 Prozent aller Boxenstopps unter der magischen Grenze. 2020 war das nur bei 48 Prozent aller Reifenwechsel der Fall. Damit sprangen die Italiener von Platz 9 auf Rang 3. Die durchschnittliche Standzeit sank von 2,72 auf 2,55 Sekunden. Obwohl man nach den strengeren Boxenvorschriften ab Spa bei jedem Stopp zwei Zehntel draufrechnen musste.
Präsentation des 2022er Ferrari
Jetzt geht es darum, dieses Fundament im nächsten Jahr wieder in Siege umzumünzen. Der letzte datiert vom GP Singapur 2019. Zu lange her aus Sicht der Tifosi. Und auch nach dem Geschmack des Rennleiters. "Wir blicken zuversichtlich auf das nächste Jahr, aber wir können nicht versprechen, dass wir um den WM-Titel fahren werden. Keiner kann das, weil wir mit den neuen Autos keine Referenz haben. Mercedes und Red Bull werden auch in der neuen Ära sehr starke Gegner bleiben. Aber unser Anspruch sollte schon sein, uns weiter zu steigern und um Siege zu fahren."
Binotto glaubt, dass auch die 2022er Autos trotz des restriktiven Reglements genug Freiräume bieten werden, sich vom Gegner abzusetzen. Vielleicht nicht mehr hauptsächlich in der Aerodynamik, dafür aber in völlig neuen Bereichen. "Der Schlüssel im nächsten Jahr könnte in der Architektur der Antriebseinheit, im Fahrwerk und der Integration der Komponenten unter der Verkleidung stecken." Und natürlich im Motor selbst, der bei der E10-Anpassung rund 20 PS verlieren wird. Binotto kündigte an: "Es wir eine völlig neue Verbrennungsmaschine. Auf der elektrischen Seite werden wir Anpassungen vornehmen. Deshalb war es für uns wichtig, diesen Part schon in diesem Jahr im Rennbetrieb auszuprobieren."
Ferraris erster Mann verspricht innovative Lösungen. Ein Pfeiler, Ferrari wieder zu einem Siegerteam zu machen, war auch das Schaffen eines neuen Teamgeistes. "Und dazu zählt, über den Tellerrand zu schauen, unkonventionell zu denken, sich zu trauen, einen neuen Weg zu gehen." Ferrari liegt mit seinem neuen Auto im Plan. In den nächsten Tagen wird auch das Präsentationsdatum feststehen. "Es wird zwischen dem 16. und dem 18. Februar liegen", verspricht Binotto.