In Maranello ist Druck auf dem Kessel. Schon lange nicht mehr war die Scuderia so schlecht in eine Saison gestartet. Vor dem GP Österreich standen eine Pole Position und ein Podestplatz auf der Habenseite. Dafür rangierte Ferrari nur auf Platz 4 in der Konstrukteurs-WM. Das musste sich ändern.
Ferrari hat seinen SF-23 innerhalb von drei Rennen zwei Mal massiv umgebaut. In Barcelona Seitenkästen, Unterboden, Motorabdeckung und Heckflügel. Am Red Bull-Ring Unterboden und Frontflügel. Der Entwicklungsschritt für Spielberg war eigentlich für Budapest geplant. Teamleitung und Fahrer bedankten sich nicht ohne Grund brav bei der Basis in Italien für die Überstunden.
Auf dem Papier hat Ferrari das beste Rennen des Jahres abgeliefert. Charles Leclerc fuhr zum zweiten Mal auf das Podium, verfehlte die Pole Position nur knapp und durfte zehn Runden lang das Feld anführen. Carlos Sainz wurde Dritter im Sprint.

Es fehlt die Konstanz
Der Ferrari SF-23 war mit vielen Schwachstellen in die Saison gestartet. Grob gesagt war das Arbeitsfenster des Autos zu klein. Es funktionierte im Windkanal, nicht aber auf der Rennstrecke. Das zeigen die Ergebnisse. Ein ständiges Auf und Ab, je nach Layout, Asphaltbeschaffenheit, Reifenoptionen, Temperaturen, Windrichtung. Dieses Manko teilt Ferrari mit Mercedes und Aston Martin, nur waren die roten Autos stärker davon betroffen.
Es fehlte Konstanz. An allen Ecken und Enden. Selbst von Runde zu Runde, von Kurve zu Kurve. Die Fahrer klagten darüber, dass sich die Fahrzeugbalance in den Kurven von Eingang bis Ausgang verschob. Wurde es wärmer oder kälter, blies der Wind stärker oder schwächer, war der Tank voller oder leerer, die Reifen jünger oder älter: Das Auto verhielt sich unberechenbar. Die Fahrer verloren Vertrauen.
Über die Distanz litten die Reifen. Der Rückstand auf Red Bull im Rennen zeigt am besten, auf welchen Strecken das am meisten und am wenigsten ins Gewicht fiel. In Bahrain waren es 0,60 Sekunden pro Runde, in Jeddah 0,72, in Melbourne 0,39, in Baku 0,41, in Miami 0,66, in Monte Carlo 0,79, in Barcelona 0,69, in Montreal 0,27 und in Spielberg 0,35 Sekunden. Je flüssiger die Kurven, desto größer das Problem. Monte Carlo mit dem Regenchaos mal ausgenommen.

Das Leben ist kein Windkanal
Wäre das wirkliche Leben ein Windkanal, dann könnte es der Ferrari SF-23 mit dem Red Bull RB19 aufnehmen. Das zeigen die knappen Abstände in der Qualifikation. In Spielberg fehlten 0,048 Sekunden auf die Pole Position. Doch die Realität bietet Windkanalverhältnisse nur für eine Runde. Der Extra-Grip frischer, weicher Reifen überdeckt fast alle Defizite, die Ferrari so zu schaffen machen. Ab der zweiten Runde entfernen sich die Verhältnisse vom Idealzustand.
Teamchef Frédéric Vasseur mahnte immer wieder an, dass in einem ersten Schritt Konstanz wichtiger sei als Rundenzeit. Genau diese Schwäche sollten die beiden jüngsten Entwicklungsschritte beseitigen. "Das Ziel war ein größeres Fenster", bestätigt Ingenieur Jock Clear. "Das Auto muss berechenbarer werden. Leider kann man diese Qualität im Windkanal nicht messen. Dazu braucht man die Erfahrungen auf der Strecke."
Barcelona war trotz der Pleite eine gute Erfahrung. "Da haben wir gesehen, welche Schwächen das Paket hat. Die Daten dort haben unserem Verständnis viel geholfen." Schon in Montreal präsentierte sich das gleiche Paket deutlich besser. Weil es in Barcelona mangels Erfahrung nicht optimal abgestimmt war, und weil Montreal den roten Autos von der Streckencharakteristik entgegenkam. Reifenverschleiß ist dort generell nur ein Randthema.
Auch der Red-Bull-Ring passt eher in das Profil des Ferrari, was die starke Vorstellung in der Qualifikation zeigt. Die Reifen aber werden deutlich stärker strapaziert als in Montreal. Und genau das zeigte sich im Rennen. Charles Leclerc verlor bis zum ersten Boxenstopp über zehn fliegende Runden 6,6 Sekunden auf Max Verstappen. Beide mit Medium-Reifen.

Im Rennen weit von Red Bull weg
Im zweiten Stint ging die Schere auf 12,2 Sekunden auf. Leclerc war wieder mit Medium-Gummis unterwegs, Verstappen dagegen auf den harten Sohlen. Der Vorteil, den Leclerc zunächst mit frischen Mediums gegen alte harte Sohlen hatte, glich sich im zweiten Teil mit den genau umgekehrten Vorzeichen wieder aus. Im letzten Abschnitt nahm der Holländer dem Ferrari mit dem Vorteil weicherer Reifen bis zu seinem dritten Stopp 23,7 Sekunden ab.
Leclerc führte den Einbruch der Hinterreifen auch auf das Fahrzeug-Setup zurück. "An Sprint-Wochenenden hast du nur wenig Zeit, das Auto abzustimmen. Unser Paket war dazu noch neu. Wir haben das Setup vielleicht nicht optimal getroffen. Das Heck ist ausgebrochen, und das stresst natürlich die Hinterreifen."
Die Fahrer waren trotz Ferraris bester Leistung in dieser Saison ehrlich: "Wir haben Fortschritte gemacht. Aber für Red Bull reicht es noch nicht. Das Problem mit der Reifenabnutzung ist immer noch da, auch wenn es uns in Spielberg weniger hart getroffen hat", urteilte Sainz. Leclerc stellte fest: "Das Gefühl für das Auto ist besser geworden. Aber der Weg zu Red Bull ist noch weit."
Zwei Rennen im Aufwind machen noch keinen Sommer. Der wahre Test für Ferrari findet in Silverstone statt. Einer Strecke wie Barcelona, wo man vor vier Wochen noch total im Wald stand. Das sieht auch Leclerc so: "In Silverstone gibt es viele schnelle Kurven, und nach meinem Eindruck, war das eine unserer Schwächen. Erst nach Silverstone können wir uns ein besseres Urteil über die Upgrades erlauben."