Das könnte Red Bull und McLaren noch zum Verhängnis werden. Die beiden WM-Gegner sind so auf sich selbst fokussiert, dass sich in ihrem Windschatten Ferrari heimlich, still und leise anschleichen kann. Nur Ferrari hat in Mexiko beide Fahrer in den ersten Startreihen. Beide können hoch punkten. Bei Red Bull und McLaren flog jeweils einer schon im Q1 aus der Wertung. Oscar Piastri startet von Platz 17, Sergio Perez einen Rang dahinter.
Nach der Qualifikation zum GP Mexiko ist Ferrari Geheimfavorit. Wenn Carlos Sainz und Charles Leclerc den am Freitag in den Longruns gezeigten Speed im Rennen umsetzen können, dann ist ein weiterer Doppelsieg kein utopisches Ziel. Und damit könnte der Rennstall aus Maranello wieder 20 bis 25 Punkte auf die Konkurrenz gutmachen. Bei diesem Szenario hätte Ferrari Titelverteidiger Red Bull überholt und würde dem WM-Spitzenreiter McLaren direkt im Nacken sitzen.
McLaren-Teamchef Andrea Stella widerspricht, dass man sich zu sehr auf Red Bull und zu wenig auf Ferrari konzentriert hat. "Wir schauen nur auf uns. Ferrari war für uns immer ein ernst zu nehmender Gegner, speziell, nachdem sie in Monza ihr Upgrade gebracht haben."
Erste Startreihe in Rot war möglich
Red-Bull-Teamchef Christian Horner gestand trotz des unerwarteten zweiten Platz für Max Verstappen: "Ich fürchte Ferrari mehr als McLaren." Stunden vorher hatte McLaren-Chef Zak Brown die gleiche Einschätzung abgegeben: "Es sieht so aus, als wäre Ferrari gefährlicher als Red Bull."
In Austin lag die Pole-Position für Ferrari außer Reichweite. Dafür fuhren die roten Autos am Sonntag in einer eigenen Klasse. Diesmal steht Carlos Sainz auf dem besten Startplatz, und Charles Leclerc hätte ihm wahrscheinlich in der ersten Reihe Gesellschaft geleistet, wenn er nicht zwei Mal in Kurve 8 fast das Auto verloren hätte.
Teamchef Frédéric Vasseur ist überzeugt: "Das hat Charles mindestens zwei Zehntel gekostet." Tatsächlich büßte Leclerc in diesem zweiten Sektor nur 0,133 Sekunden auf seinen Teamkollegen ein, doch ein Rutscher bei 190 km/h heizt die Reifen derart auf, dass man auch auf dem Rest der Runde bezahlt. Prompt verlor Leclerc im letzten Abschnitt 0,160 Sekunden auf Sainz.

Im Training sah Lando Norris noch wie der erste Kandidat für die Pole-Position aus.
Renntempo nicht für Qualifikation geopfert
Der Austin-Sieger konnte trotz Startplatz 4 sagen: "Das Auto war heute nirgendwo." Er schob es auf die verkürzte Vorbereitungszeit am Freitag zurück. Früher flog Ferrari mit einer nicht perfekten Abstimmung im Q2 raus. Jetzt liegt man damit nur 94 Tausendstel hinter Verstappen und fünf Tausendstel hinter Norris.
Teamchef Vasseur beteuert, dass man in Mexiko nichts an Renntempo aufgegeben habe, nur um in der Startaufstellung besser dazustehen. "Wir haben gar nicht mit der Pole-Position gerechnet. Unsere größte Überraschung war, dass sie Norris nicht geschafft hat." Bis zum Q2 schien der WM-Zweite unschlagbar.
Eigentlich kann Ferrari beruhigt schlafen. Keiner kam am Freitag in den Longruns an die Autos aus Maranello heran. Horner versucht das herunterzuspielen: "Die Rennsimulationen am Freitag haben wenig Aussagekraft, weil wir mit den aktuellen Reifen zu wenig Runden gedreht haben. Und Pirellis Testreifen sind keine Referenz." Vasseur hält dagegen: "Wir haben wenigstens gezeigt, dass wir beim Reifenmanagement wieder gut aufgestellt sind."

Max Verstappen startete schlecht in das Wochenende, schaffte aber noch rechtzeitig die Wende.
Red Bull drehte das Bild
Red Bull drehte diesmal mit einer kleinen Abstimmungsänderung das Blatt. Im dritten Training war Verstappen noch eine halbe Sekunde weg vom Schuss. "Diesmal haben wir mit dem Setup nicht überreagiert. Wir haben Max ein Auto mit besserer Balance gegeben, so dass er endlich auch in den langsamen Kurven des dritten Sektors schnell war", erklärte Sportchef Helmut Marko. Horner verrät, dass man den Abtrieb im Heck leicht erhöht hatte.
Doch die jüngere Geschichte von Red Bull zeigt: Setup-Änderungen, die auf eine Runde ihre Wirkung zeigten, haben nicht immer im Rennen funktioniert. In Austin hatte Verstappen auch den Speed für die Pole-Position, klagte im Rennen dann aber über Untersteuern, das sich am Samstag noch nicht angedeutet hatte.
McLaren war mit seinem Auto ab dem dritten Training zufrieden. Die Papaya-gelben Autos demonstrierten vor allem in den langsamen Kurven ihre Stärke. Das hatte auch bis zum Q2 Bestand. Dann konnte sich Norris nur noch um 0,041 Sekunden steigern. Alle um ihn herum fanden mehr Rundenzeit. Sainz 0,569 Sekunden, Verstappen 0,343 und Leclerc 0,376.
Norris schloss daraus: "Ich habe mein Pulver schon zu Beginn der Qualifikation verschossen." Teamchef Stella korrigierte: "Wir haben nach der Pause wegen der roten Flagge vielleicht nicht perfekt auf die geänderten Bedingungen reagiert, und Lando hat das Auto vielleicht ein bisschen überfahren."
Der Italiener warnt seine Gegner: "Unser Renntempo ist hier besser als das auf eine Runde, weil sich unser größtes Problem, beim Reinbremsen in langsame Kurven, unter Rennbedingungen reduziert."

Beim langen Anlauf in Mexiko ist die Pole-Position nicht ideal. Können die Verfolger aus Startreihe zwei attackieren?
Trumpfkarte für Leclerc
Vasseur glaubt, dass im Rennen nicht die Reifenabnutzung, sondern ein ganz anderes Kriterium entscheidend ist: "Du musst mit der Kühlung von Motor und Bremsen im grünen Bereich bleiben." Das heißt: Am besten an der Spitze fahren. Da spielt die Startaufstellung Ferrari ein Problem und einen Joker zu.
Bei 768 Meter Anlauf in die erste Kurve sind die Fahrer aus der ersten Reihe arme Hunde. Der Windschatten hilft ihren Verfolgern hinter Sainz und Verstappen. Also Norris und Leclerc. Bei den letzten sechs Grand Prix von Mexiko gewann der Mann von der Pole-Position nur ein Mal. Und bei der Hälfte aller Gelegenheit ging einer von Platz zwei oder drei in Führung.
Die Ferrari-Piloten halten gegenüber ihren Gegnern beim Start eine Trumpfkarte in der Hand. Verstappen und Norris sind so in ihr eigenes Duell verstrickt, dass alles andere zweitrangig erscheint. Wenn Verstappen keine Punkte auf Norris verliert, ist der Auftrag erfüllt.
Sainz und Leclerc können volles Risiko gehen. Leclerc hat mit seinen 79 Punkten nur noch eine Außenseiterchance, die erst dann real wird, wenn Verstappen und Norris einen Nuller schreiben. Als Vierter steht der WM-Dritte in einer perfekten Position. Er kommt aus der Tiefe. Ihm könnte das gleiche Kunststück gelingen wie in Austin und in Monza: von Startplatz vier an die Spitze.