WM-Traum lebt: Ferrari spielt den Party-Crasher

WM-Traum lebt weiter
Ferrari spielt den Party-Crasher

GP Mexiko 2024

Ferrari ist das Team der Stunde. Seit der neue WM-Zweite in Monza sein letztes großes Upgrade ans Auto brachte, haben Carlos Sainz und Charles Leclerc 167 Punkte auf das Team-Konto geschaufelt. Mehr als McLaren (162), Mercedes (90) und das Einmann-Team Red Bull (78). Drei der letzten fünf Siege gingen an Ferrari.

In Austin und Mexiko kontrollierten die Ferrari-Fahrer Tempo und Gegner von der Spitze weg. Nachdem Sainz in der neunten Runde in Führung gegangen war, verschwand er am Horizont. Im zweiten Stint hätte der Spanier gerne den Speed etwas gedrosselt, doch das Team konnte ihm den Gefallen nicht tun. "Charles stand unter Druck von Norris. Er musste ans Limit", richtete Teamchef Frédéric Vasseur seinem Sieger aus.

Charles Leclerc - GP Mexiko 2024
Motorsport Images

Vasseur klagte Nachzügler an

Leclerc stand das ganze Wochenende im Schatten seines Teamkollegen. Wie in Austin profitierte der Vierte der Startaufstellung vom WM-Duell Max Verstappen gegen Lando Norris. Als sich die beiden WM-Gegner auf und neben der Strecke eine Privatschlacht lieferten, sagte Leclerc Danke und zog vorbei auf Platz zwei hinter Sainz.

Er konnte die Lücke nicht schließen. Auf den Medium-Gummis kämpfte Leclerc mit zu hohen Reifentemperaturen. Auch die Motortemperaturen kletterten an ihr Limit. Trotz gewaltiger Zusatz-Kiemen in der Motorverkleidung lechzte der V6-Turbo aus Maranello nach Frischluft. Im Gegensatz zur Konkurrenz mit Mercedes-Motoren hatte Ferrari darauf verzichtet, das Volumen der Motorverkleidung für mehr Luftdurchsatz zu vergrößern. Das half der Aerodynamik.

Im zweiten Stint musste sich Leclerc schnell nach hinten orientieren. Als Verstappen in der 26. Runde an die Box abbog und Norris endlich freie Fahrt hatte, betrug das Polster noch 6,8 Sekunden. Doch je älter die Reifen, desto mehr drehte der McLaren auf. "Landos Tempo war atemberaubend", gab Leclerc zu. 36 Runden später tauchte Norris im DRS-Bereich des Ferrari mit der Startnummer 16 auf. Vasseur gab den Nachzüglern die Schuld. "Sie haben Charles drei Sekunden gekostet."

Zak Brown - GP Mexiko 2024
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Großer Schreck in der Zielkurve

Leclerc war am Ende froh, dass er überhaupt die Zielflagge sah. Im Duell gegen Norris wäre er in der Zielkurve um ein Haar in die Absperrungen geflogen. "Ich wollte Lando so lange wie möglich hinter mir halten, in der Hoffnung, dass bei ihm die Motorentemperaturen hochgehen. Um ihn abzuwehren, brauchte ich einen guten Ausgang aus der letzten Kurve. Dabei brach mir das Heck aus. Plötzlich war mir Lando völlig egal. Es ging nur noch darum, das Auto auf der Straße zu halten. Ich kam ein Mal quer und korrigierte. Dann ging das Auto in die andere Richtung quer, und ich sagte nur: Gott im Himmel, lass mich auf der Strecke bleiben."

Obwohl Ferrari am Ende mit 41 Punkten wieder groß absahnte, fiel der Sieg trotz 4,7 Sekunden Vorsprung nicht ganz so überlegen aus wie in Austin. Wäre Norris früher an Verstappen vorbeigekommen, hätte der McLaren-Pilot Leclerc auch eher unter Druck setzen und damit auch Sainz in Gefahr bringen können. "Wir haben sicher davon profitiert, dass sich Max und Lando wieder in die Haare gekriegt haben, aber mir soll es Recht sein", grinste ein zufriedener Vasseur.

Carlos Sainz - GP Mexiko 2024
xpb

Gegen Max nur mit Überraschungsangriff

Carlos Sainz lieferte bei seinem vierten GP-Sieg fast das perfekte Wochenende ab. Nur beim Start wurde er von Verstappen überrumpelt. "Auf Strecken mit wenig Grip starten die Red Bull immer extrem gut."

Die beiden Fahrer aus der ersten Reihe lenkten zwar gleichzeitig in die erste Kurve ein, doch Sainz konnte sich nur durch Abkürzen der zweiten Kurve in Position halten. Um einer Strafe zu entgehen, gab der Spanier den Platz gleich wieder her. Vasseur lobte: "Das war clever von Carlos und hat gleichzeitig sein Selbstvertrauen demonstriert. Er wusste, dass er seine zweite Chance bekommen würde."

Sie kam neun Runden später. Sainz packte dabei den Trick aus, gegen den auch Verstappen kein Gegenmittel weiß: "Ich war ein bisschen sauer auf mich, dass ich am Start den Platz verloren hatte. Deshalb wollte ich es so schnell wie möglich wiedergutmachen. Gegen Max geht das nur mit einem Überraschungsangriff. Ich war eigentlich noch weit weg, doch 100 Meter vor der Kurve habe ich plötzlich meine Chance gesehen, innen reinzustechen. Ich hatte das Vertrauen in mein Auto auf der Bremse, dass ich dabei auf der Strecke bleiben kann."

Carlos Sainz - GP Mexiko 2024
Motorsport Images

Sieg für die Seele

Der WM-Fünfte gab zu, wie wichtig ihm dieser Triumph war. "Ich brauchte diesen Sieg für mich. Bevor ich Ferrari verlasse, wollte ich noch einmal gewinnen, und ich spürte von der ersten Runde am Freitag an, dass es mein Wochenende werden könnte." Sainz weiß genau: Bei Williams werden die Ansprüche geringer werden.

Leclerc gab zu, dass er chancenlos war. "Ich fand nie richtig Tritt an diesem Wochenende. Das erste Training musste ich auslassen, und im zweiten gab es wegen des Pirelli-Tests keine Setup-Möglichkeit. Davon habe ich mich nie erholt." Verstappen, Norris und Hamilton standen vor dem gleichen Problem. Sainz dagegen betrieb im ersten Training 25 Runden lang Setup-Arbeit, was sicher ein Vorteil war. Aber man muss ihn auch zu nutzen wissen.

Vorteil Ferrari im Titelrennen

Spätestens jetzt nimmt Ferrari jeder ernst. In der Konstrukteurs-WM fehlen dem neuen WM-Zweiten nur noch 29 Punkte auf Spitzenreiter McLaren. Von Red Bull spricht schon keiner mehr. Vasseur will trotzdem noch nicht zu viel vom Titel reden. "Statt uns Gedanken über die anderen zu machen, müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, dass wir jedes Wochenende perfekt exekutieren. Das ist uns in Baku und Singapur nicht gelungen, und den Punkten trauern wir heute nach."

Es ist ein Vorteil für Ferrari, dass man aus der Tiefe kam und auch jetzt erst einmal nur Richtung Konstrukteurs-Titel arbeiten muss. "Wir führen eine Schlacht an zwei Fronten, weil wir Lando noch im Feuer haben. Das ist komplizierter", gibt McLaren-Teamchef Andrea Stella zu bedenken. Red Bull ist praktisch ein Einmann-Team, für das es nur eine Priorität gibt: Verstappen muss Weltmeister werden, egal wie. "Die Konstellation kann uns in die Karten spielen", glaubt Leclerc.

Der WM-Dritte stuft die Titelchancen von Ferrari als "realistisch" ein. "Es liegt jetzt mehr an uns, es möglich zu machen, als daran, dass den anderen Fehler unterlaufen." Bei ihm selbst ist es umgekehrt. Mit 71 Punkten Rückstand in der Fahrer-WM braucht Leclerc ein paar Wunder. "Selbst, wenn ich jetzt noch vier Rennen gewinne, müsste Max ein paar armselige Wochenenden abliefern. Auf das kann ich mich nicht verlassen. Deshalb denke ich nicht an den Fahrer-Titel."