Wer sich den Grand Prix von China am Sonntag (23.3.) im Fernsehen anschaute, konnte den Eindruck gewinnen, dass die Stimmung bei Ferrari angespannt ist. Über mehrere Runden diskutierte Renningenieur Riccardo Adami mit Lewis Hamilton darüber, das schnellere Schwesterauto von Charles Leclerc vorbeizulassen. Es kam einem so vor, als wolle der Neuzugang der Scuderia nur widerwillig Platz machen.
"Wir tauschen die Plätze in Kurve 14", forderte Adami seinen Schützling in Runde 20 auf. Die Antwort von Hamilton: "Ja, wenn er näher rankommt." Kurze Zeit später folgte ein weiterer, etwas nachdrücklicherer, Funkspruch vom Kommandostand: "Wir tauschen noch in dieser Runde." Begeistert fiel die Reaktion Hamiltons nicht aus: "Ich sage Euch, wann der Platzwechsel vollzogen wird."
Bei vielen Fans vor den Bildschirmen machte sich der Eindruck breit, dass Hamilton die Stallregie nur ungern umsetzte. Doch dieser Eindruck war falsch. Was der Zuschauer nicht wusste: Es war Hamilton selbst, der den Platztausch zuerst vorgeschlagen hatte, weil Leclerc in seinem Rückspiegel trotz Frontflügelschaden immer mehr Druck machte.

Trotz Frontflügelschaden war Leclerc in China schneller als Hamilton.
Kommunikation unvollständig dargestellt
"Ich überlege, Charles vorbeizulassen, weil ich Probleme habe", meldete Hamilton an den Kommandostand. Doch dieser Funkspruch wurde von der TV-Regie nicht eingespielt. Nur die Diskussionen im Anschluss. Ohne den wichtigen Kontext spekulierten natürlich auch die Kommentatoren darüber, dass der Haussegen schon in Hamiltons zweitem Rennen für die Scuderia schief hängt.
Entsprechend angesäuert reagierte Teamchef Frédéric Vasseur auf die unvollständige Darstellung der Kommunikation durch die FOM (Formula One Management), die für die Weltregie verantwortlich ist. "Das war echt ein Witz von der FOM. Der erste Funkspruch kam von Lewis selbst. Er hat uns gefragt, ob wir wechseln sollen. Aber um der Show willen, wurde die Situation zu einem großen Durcheinander. Das werde ich nochmal mit ihnen diskutieren."
Für Hamilton gab es ein Lob vom Boss: "Es war Lewis, der die Anfrage zum Wechsel gestellt hat. So eine Situation wird man bei den anderen Teams wohl keine zehn Mal in der ganzen Saison sehen. Am Kommandostand haben wir wirklich zu schätzen gewusst, als Lewis uns fragte: ‚Jungs, ich verliere Pace. Ich würde gerne tauschen.‘ Die Zusammenarbeit der beiden ist wirklich mega. Es gibt für mich überhaupt keinen Grund, mich zu beklagen."

Frédéric Vasseur vermutet, dass die Funksprüche bewusst ausgewählt wurden, um die Show anzuheizen.
FOM weist Vorwurf der Manipulation zurück
Schon beim Rennen in Australien war Ferrari nicht begeistert über die Auswahl der Funksprüche. Hier war der Eindruck entstanden, dass Hamilton und sein neuer Renningenieur nicht auf einer Wellenlänge funken. Der Pilot hatte immer wieder genervt auf die Anweisungen und Informationen reagiert, die ihm ins Ohr gesendet wurden. Im Nachhinein kritisierten die Beteiligten, dass die Kommunikation in den Medien zu sehr aufgebauscht wurde.
Auf den Streitfall in China reagierten die Formel-1-Verantwortlichen mittlerweile mit einem Statement, das durch einen Sprecher veröffentlicht wurde: "Es gab absolut keine Absicht, eine irreführende Darstellung der Ferrari-Funksprüche zu präsentieren. Wegen anderer Situationen, die sich während des Rennens entwickelt hatten, wurde die erste Nachricht von Lewis nicht eingespielt. Aber das geschah nicht absichtlich."