Es brechen ungemütliche Zeiten für Ferrari an. Ausgerechnet in der Saison, in der die ruhmreiche Scuderia ihren 1.000. GP-Start feierte. Doch die Stimmung bei der großen Jubiläumsparty letzten Samstag in Florenz war getrübt. Ferrari leidet unter schlechten Resultaten und mit dem Rennstall auch seine Fans. Das Team, das in den letzten drei Jahren noch vom WM-Titel träumen durfte, war zu Saisonbeginn im Mittelfeld angekommen. Jetzt fährt man noch nicht einmal dort mit. Ferrari ist ins Hinterfeld abgestürzt und schlägt sich mit Alfa Romeo, Haas und Williams herum.
Nach zwei Pleiten mit null Punkten in Spa und Monza sollte Mugello wieder alles besser werden. Wenigstens die Rückkehr zum Normalzustand stand auf dem Plan. In Wirklichkeit erlebte Ferrari auf seiner Hausstrecke eine Fortsetzung seiner Misere. Gemessen an den Umständen könnte man sogar von einer Steigerung der Demütigung sprechen.
Ferrari staubte bei einem Rennen, bei dem nur zwölf Fahrer die Zielflagge sahen, nur fünf WM-Punkte ab. Dabei brachte der Vize-Weltmeister des Vorjahres als einziges Team neben Mercedes noch beide Autos über die Runden. Red Bull, Renault, McLaren, Racing Point und Alpha Tauri fuhren mit jeweils einem Auto mehr Ausbeute ein.
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Nicht mehr viele Autos langsamer
Noch erschreckender war der Speed der beiden im historischen Dunkelrot lackierten Autos. Ein stark beschädigter Alfa Romeo war schneller. Ein Williams gleich schnell. Nur ein Haas, der mit einem bis zum Chassis eingerissenen Unterboden und einem fehlenden linken Seitenflügel rund 40 Punkte Abtrieb eingebüßt hatte, war ein leichtes Opfer.
Man stelle sich vor, Romain Grosjean wäre in einem intakten Auto gesessen. "Wir wären wir vor Vettel ins Ziel gekommen", ist Haas-Teamchef Guenther Steiner überzeugt. Sebastian Vettel drückte es so aus: "Heute waren nicht mehr viele Autos langsamer als wir."
Auch bei Charles Leclerc fährt bereits der Galgenhumor mit. Als ihm sein Renningenieur Plan C vorschlägt, antwortet der Fahrer matt: "Ist mir egal. Wir haben sowieso nichts mehr zu verlieren. Wir sind zu langsam." Der dritte Platz, den Leclerc eisern bis zur 17. Runde hielt, war im Rückblick nur ein Strohfeuer. Dann wurde der Ferrari mit der Startnummer 16 von einem nach dem anderen aufgefressen.
Leclerc war aus zwei Gründen wehrlos. Dem Ferrari fehlt es an Top-Speed, was ihn zu einem leichten Opfer machte, wenn der Gegner DRS und Windschatten einsetzen konnte. Und der SF1000 fraß seine Reifen im Zeitraffer. Leclerc vollzog den einzig echten Reifenwechsel im Rennen zwischen sechs und elf Runden früher als alle anderen. Aus dem gleichen Grund warum Leclerc nach hinten durchgereicht wurde, kam Vettel nicht nach vorne.
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Silverstone-Trick funktioniert nicht in Mugello
Die Erklärung, dass der Ferrari auf den schnellen Strecken von Spa und Monza unter seinen Defiziten am meisten leide, zählt nicht mehr. Nach Mugello muss man sagen: Der SF1000 ist auf keiner Strecke mehr ein Kandidat für das Mittelfeld. Weder für minimalen Abtrieb (Monza), noch für mittleren (Spa), noch für hohen (Mugello).
Selbst wenn man selbstkritisch anführte, dass die Autos in Mugello nicht konsequent genug auf maximalen Anpressdruck hin getrimmt wurden, wie es beispielsweise Mercedes praktiziert hat, erklärt das noch nicht die schlechten Rundenzeiten. Ferrari war auch mit weniger Abtrieb das langsamste Auto auf der Gerade. Das wäre mit mehr Flügel noch schlimmer ausgefallen.
Mehr als der fünfte Startplatz wäre auch mit mehr Abtrieb nicht drin gewesen. Dafür hätte man im Rennen noch mehr gelitten. Das unerklärliche Delta zwischen Qualifikation und Rennen bringt uns auf den Punkt. Der Ferrari SF1000 hat so viele Schwachstellen, dass er einen Tod immer stirbt. Es gibt keinen Kompromiss, der alles zukleistert.
Nehmen wir Mugello. Ferrari wollte ganz offensichtlich mit dem Silverstone-Trick wieder zurück in die Normalität. Bei den beiden britischen Grand Prix hatte eine Abstimmung mit etwas weniger Abtrieb immerhin die Plätze drei und vier gebracht. Da hat Ferrari die Konkurrenz im ersten Rennen mit seinem mutigen Setup auf dem falschen Fuß erwischt und im zweiten von Pirellis abnormal hohen Reifendrücken profitiert. Der schadete den schnellen Autos mehr als den langsamen.
Silverstone unterschied sich in noch zwei anderen Punkten von Mugello. Der englische Traditionskurs hat eine viel kürzere Gerade und DRS-Zone. Man war damit im Rennen weniger verwundbar gegen Angriffe von hinten als auf der hauseigenen Teststrecke in der Toskana.
Und Silverstone hat einen anderen Asphalt. Wer auf dem glatten Belag ein bisschen herumgerutscht ist, hat seinen Reifen nicht so geschadet wie in Mugello. In Silverstone hielt man die Reifen in den Kurven am Leben, wenn man etwas weniger Anpressdruck generierte. In Mugello war Rutschen tödlich. Dann kamen zum normalen Verschleiß auch noch zu hohe Temperaturen auf der Lauffläche. Das hat den Reifen zusätzlich geschadet.
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Neue Motor-Regel schadet Ferrari
Mugello hat auch gezeigt, dass Qualifikation und Rennen für Ferrari zwei unterschiedliche paar Schuhe sind. Im Verkehr und bei starkem Wind verliert das Auto schlagartig an Balance. Haas stellt das gleiche fest. Kein Wunder. Die Gene sind ja die gleichen. Der Verlust ist größer als bei allen anderen Teams. In Silverstone hatte Leclerc das Glück, dass er die meiste Zeit allein unterwegs war. Beim zweiten Platz von Spielberg halfen die Gegner mit Fehlern nach. Ferrari belohnte sich beim Saisonauftakt damit, alles richtig gemacht zu haben.
Ferraris Rechnung mit der neuen Motor-Regel ist auch nicht aufgegangen. Die Beschränkung auf einen Modus hat Mercedes entweder gar nicht oder nur marginal zurückgeworfen. Aber Mercedes war sowieso nicht der Gegner von Ferrari. Die bittere Wahrheit ist: Er hat Renault und Honda im Vergleich zu Ferrari geholfen. Und das waren mal die Rivalen von Leclerc und Vettel.
Ferrari beklagte in dieser Saison bereits so viele Schäden an den eigenen Motoren und denen der Kunden, dass da offensichtlich viel weniger Spielraum vorhanden war als bei der Konkurrenz. Wer die Rechnung aufgemacht hat, dass einfach der Power-Modus aus der Qualifikation verschwindet, ist jetzt böse auf die Nase gefallen. Was da an Luft nach oben war, konnte in den Rennmodus investiert werden.
Und wer steht unter dieser Prämisse am schlechtesten da? Der Hersteller, der den schwächsten Motor hat. Also Ferrari. Auch Vettel merkte in seiner Manöverkritik nach dem Rennen an, dass die Hoffnung auf eine Verbesserung der Motorsituation trügerisch und das Ergebnis daraus ernüchternd war. Auch das ist ein Grund, warum Ferrari seit drei Rennen nur noch im hinteren Drittel des Feldes herumgurkt.
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1980 wurde Ferrari nur Zehnter
In der Punktetabelle steckt Ferrari noch mittendrin in der Gruppe, die um den dritten Platz in der Konstrukteurs-WM kämpft. Doch nur noch unverbesserliche Optimisten glauben, dass Ferrari tatsächlich für diese Position noch in Frage kommt. Tatsächlich wäre es besser, sich nach hinten zu orientieren.
Alpha Tauri liegt nur noch 13 Punkte zurück. Zieht Red Bulls B-Team auch noch vorbei, wäre Ferrari schon Siebter. Wenigstens ist man vor Alfa Romeo, Haas und Williams sicher. Ferrari blüht das zweitschlechteste Resultat der Firmengeschichte. Schlimmer war nur noch die Saison 1980, als Ferrari mit acht WM-Punkten auf Platz zehn landete.
Der Absturz erfolgte übrigens ein Jahr nach Jody Scheckters WM-Titel. Aus ähnlichen Gründen wie heute. Ferrari ließ sich durch den Titel blenden. Er war hauptsächlich das Resultat überlegener Motorleistung und der besten Zuverlässigkeit. Das Chassiskonzept war längst veraltet. Mit dem breit bauenden 180-Grad-Zwölfzylinder ließ sich kein kompromissloses Groundeffect-Auto bauen.
Auch dieses Jahr büßt man für die Fehler der Vergangenheit. Ferrari baute sein ganzes Konzept auf überragender Motorleistung auf. Die ist verschwunden, seit die FIA sämtliche Schlupflöcher und Tricksereien zugemauert hat. Als Ferrari klar wurde, dass man nicht mehr mit der alten Technik fahren kann, war es bereits zu spät. Im November lenkt keiner mehr einen fehlgeleiteten Tanker auf einen anderen Kurs.