Die ersten fünf Rennen kann Ferrari als Erfolg verbuchen: drei Pole Positions, zwei Siege. Die Scuderia liegt seit Saisonbeginn in beiden Weltmeisterschaften vorn. Nach dem GP Miami hat Charles Leclerc 104 Punkte auf dem Konto. Sein erster Verfolger, Max Verstappen, liegt 19 Zähler zurück. In der Team-WM hat Ferrari mit 157 zu 151 die lange Nasenspitze des F1-75 vorn.
Bis jetzt hat der Ferrari mit den charakteristischen Seitenkästen auf allen Rennstrecken funktioniert. Egal, wie das Wetter war. Egal, mit welchen Reifen gefahren wurde. Auf eine Runde in der Qualifikation und im Renntrimm. Teamchef Mattia Binotto rief nach dem GP Miami seine Worte vor dem Saisonstart in Erinnerung. "Ich habe immer gesagt, wir müssen fünf Rennen abwarten, bevor wir eine Bestandsaufnahme machen können." Das kann der Capo jetzt machen. Ferrari ist konkurrenzfähig.
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Trend pro Red Bull
Doch der Trend der letzten beiden Rennen spricht gegen den Rennstall aus Maranello und für Red Bull. "Vielleicht waren sie ein paar Zehntel schneller als wir", gibt Binotto zu. Diverse Modifikationen am letzten Testtag von Bahrain und in den ersten Rennen haben Red Bull nach vorne gebracht. In Miami kam zwar nichts Neues an den RB18, die Ereignisse von Imola wiederholten sich aber. Max Verstappen überholte Leclerc auf den Mediumreifen auf der Rennstrecke. Diesmal im Hauptrennen und nicht im Sprint.
Der Monegasse wurde auch ein bisschen von der Strecke überrascht. "In den Trainings war es auf der Innenspur der ersten Kurve ein Desaster. Da gab es kaum Grip. Ich hatte deshalb nicht erwartet, dass Max dort so viel Haftung findet. Ich wollte auf der sauberen Rennlinie bleiben und meinen Bremspunkt optimieren. Das hat geklappt. Vorne bleiben konnte ich trotzdem nicht."
Ferrari nur in Sektor eins besser
Dass der Red Bull geradeaus mehrere km/h schneller ist, war nichts Neues. Das Team hat den RB18 in der Entwicklung daraufhin ausgerichtet. Zum zweiten Mal pflegte der Red Bull die Reifen besser, obwohl Ferrari ein Setup für mehr Anpressdruck wählte. Das sollte in der Theorie besser für die Reifen sein, weil das Auto durch mehr Abtrieb in den Kurven weniger rutscht. Der größere Heckflügel nutzte Ferrari im Rennen aber nur im ersten Streckenabschnitt mit den schnellen Kurven. In den Mickey-Mouse-Ecken im zweiten Teil der Runde kam der Red Bull plötzlich auf Augenhöhe. Eigentlich sind langsame Ecken das Revier des F1-75.
"In den Kurven 5,6 und 7 haben wir auf Red Bull gewonnen", referiert Binotto. "In der langsamen Sektion nicht mehr wie am Samstag. Red Bull war da so schnell wie wir. Das müssen wir analysieren. Sicher hat das mit den Upgrades zu tun, die sie in den letzten Wochen gebracht haben." Es könnte auch sein, dass die Reifen, speziell der Medium, am Ferrari in den langsamen Passagen etwas überhitzt hat. Leclerc meldete am Ende des ersten Stints auf den gelbmarkierten Pirellis: "Das Auto ist so schwierig zu fahren."
Ferrari muss nachlegen
Auf den harten Reifen fühlten sich die Ferrari-Fahrer wohler. Nach dem Safety Car zündete Leclerc die C2-Mischung schneller an und hing Verstappen im Kreuz. Der schnellere Aufwärmprozess lässt darauf schließen, dass die Ingenieure ihr Auto einen Tick mehr für die Qualifikation ausgerichtet hatten. Ferrari musste mit seinem größeren Heckflügel unbedingt vorne stehen. Überholen war in Miami wegen des rutschigen Belags abseits der Ideallinie keine einfache Aufgabe. Ferrari fehlte der Topspeed dazu. Verstappen konnte sich selbst erfolgreich wehren, obwohl Leclerc hinter ihm den Flügel aufklappen konnte.
Sagen wir es so: Der Red Bull überholte den Ferrari aus eigener Kraft, anders herum ging das nicht. Was auch eine Aussage zum aktuellen Kräfteverhältnis in der Formel 1 ist. Verstappen schaffte es, das DRS zu brechen, und wieder leicht wegzufahren. Was dafür spricht, dass Red Bull auch auf den harten Reifen leichte Vorteile hatte. Sergio Perez hätte Carlos Sainz mit hoher Wahrscheinlichkeit den dritten Platz abgejagt, wären dem zweiten Red Bull nicht wegen eines Sensor-Problems die Flügel auf den Geraden gestutzt worden.
Ferrari weiß, dass man technisch nachlegen muss, um das Blatt wieder zu seinen Gunsten zu wenden. "Es liegt an uns, Gas zu geben", sagt Binotto. "In Barcelona werden wir ein Upgrade haben. Es ist sehr wichtig, dass es funktioniert." Nicht nur, um wieder vor Red Bull zu kommen. Sondern auch aus Budget-Gründen. Unter dem Budget Cap ist jeder Fehlschlag doppelt teuer.
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Leclerc hat Vertrauen
Bei Red Bull hat bis jetzt jede Neuentwicklung voll eingeschlagen. Ferrari muss das erst noch beweisen. Und hoffen, dass ein Zugewinn an Abtrieb nicht zu mehr Bouncing führt, was schädlich für die Rundenzeit wäre. "Wir wissen, dass Red Bull stark in der Entwicklung ist. Aber ich habe Vertrauen in meine Mannschaft. Mit unserem neuen Auto haben wir gezeigt, wie gut wir selbst entwickeln, und dass wir aufholen können. Ich hoffe, das Upgrade hilft uns, wieder an die Spitze zu fahren", sagt Leclerc.
Ferrari hatte sich in den ersten fünf Rennen bewusst zurückgehalten. Weil man sein Auto erst voll verstehen wollte, um es maximal auszuquetschen. Weil man erst weiter gegen das Bouncing arbeiten wollte. Und weil man unter dem Budgetdeckel mit Auge wirtschaften muss. "Wir haben gar nicht das Geld, um jedes Wochenende ein Upgrade zu bringen. Unsere Entwicklung ist darauf ausgerichtet, neue Teile zum richtigen Zeitpunkt zu bringen", erzählt der Teamchef.
In Maranello werden größere Pakete gebündelt, die erst angeschraubt werden, sobald man sich sicher ist, dass sie einen Fortschritt bringen. Die Logik sagt, dass Red Bull in der Frühphase der Saison mehr von seinem Entwicklungsbudget aufgebraucht hat. "So können sie nicht weitermachen. An irgendeinem Punkt werden sie die Entwicklung einstellen müssen."
Neuer Motor für Zuverlässigkeit
Red-Bull-Teamchef Christian Horner kann da nicht widersprechen. "Unter dem Budget Cap ist es schwer, kontinuierliche Updates zu bringen. Vor allem mit der steigenden Inflation, die brutal ist." Hinzu kommen die hohen Transport- und Frachtkosten, die auf den Geldbeutel drücken. Horner rechnet fest damit, dass Ferrari in Barcelona stark sein wird. "In den Highspeedkurven können sie glänzen." Gemeint sind Turn 3 und 9.
Den zweiten Motor der Saison tragen beide roten Autos bereits. Ferrari durfte den V6-Turbo wegen eines Problems mit der Zuverlässigkeit modifizieren. Die ersten Antriebseinheiten sollen nur noch am Freitag ihren Dienst verrichten. Das neue Hybridsystem installiert Ferrari erst mit dem dritten Motor im Auto.