Wer mit dem Ziel von GP-Siegen in die neue Saison gegangen ist und nach drei Rennen ohne einen Podestplatz nur auf dem 4. Platz der WM steht, der ist automatisch in die Defensive gedrängt. Trotzdem antwortet Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur auf die Nullrunde von Melbourne mit der mutigen Erkenntnis: "Wir haben Fortschritte gemacht."
Wie schon bei den beiden Rennen davor gelang es Ferrari aber erneut nicht, das Potenzial seines SF-23 voll auszuschöpfen. "Wir haben in der Qualifikation am Samstag keinen guten Job gemacht und wurden unter Wert geschlagen", gibt Vasseur zu. Der Ferrari ist besser als die Startplätze 5 und 7.
Die Gründe für die Enttäuschung am Samstag liegen wieder einmal im operativen Bereich. Charles Leclerc wich in letzter Sekunde von der vereinbarten Vorbereitungstaktik für die Reifen ab und ging nach nur einer Aufwärmrunde mit zu kalten Reifen in die schnelle Runde. Carlos Sainz geriet in seinen zwei Vorbereitungsrunden in Verkehr und machte beim Anbremsen der ersten Kurve einen Fehler, der ihn zwei Zehntel kostete.

Klare Steigerung zu Jeddah
Mit dem Rennen war Vasseur umso zufriedener. Vor allem, weil der Dauerlauf bis dahin eher die Schwäche des Ferrari war. Doch diesmal hielt Sainz beide Reifenmischungen über die Distanz gut in Schuss, obwohl er gezwungen war, auf Angriff zu fahren. Er musste einen Boxenstopp aufholen, der den Gegnern mit der ersten roten Flagge geschenkt wurde.
Der Spanier arbeitete sich in nur 15 Runden von Platz 11 auf Rang 4 vor und lag kurz vor dem zweiten Abbruch lediglich 3,7 Sekunden hinter dem Duell um den zweiten Platz zwischen Lewis Hamilton und Fernando Alonso. "Wir konnten den Speed der beiden mitgehen", stellte der Spanier nach dem Rennen fest.
Vasseur erkannte darin eine klare Steigerung zu Jeddah, wo Ferrari viel Zeit auf den harten Reifen verlor: "Wir haben in Melbourne eine andere Entwicklungsrichtung genommen, die die Balance des Autos und damit die Reifennutzung verbessert hat." Was genau Ferrari verändert hat, blieb geheim. Da die Ingenieure keine neuen Aerodynamikteile angemeldet hatten, muss es sich um Fahrwerksentwicklungen, Gewichtsverteilung oder eine andere Setup-Richtung handeln.
Wichtiges Baku-Rennen für Ferrari
Da Ferrari weiter Red Bull als Zielscheibe sieht, ist Vasseur klar, dass der SF-23 deutliche Entwicklungsschritte braucht, um die Lücke zu schließen. "Auf eine Runde sind wir nicht so weit weg, wenn es uns mal gelänge, das absolute Maximum aus dem Auto herauszuholen", glaubt Vasseur, gibt aber zu: "Im Rennen ist uns Red Bull klar überlegen."
Seine Erklärung: Der Ferrari kann mit dem Extra-Grip frischer Reifen seine Defizite überspielen. Das geht aber nicht auf Dauer im Rennen. "Der Red Bull ist einfacher zu fahren. Wenn dein Auto zu spitz ausgelegt ist, geht die Schere mit jeder Runde weiter auf, weil die Fahrer das nicht permanent kompensieren können." Die verbesserte Balance war laut Vasseur ein erster Schritt in die richtige Richtung: "Das müssen wir jetzt in Baku auf einem anderen Streckentyp noch bestätigen."
Trotz des großen Abstandes zu Red Bull glaubt Ferrari weiter an sein Konzept. Im Gegensatz zu den Ankündigungen in Italien, dass ein Ferrari mit anderen Seitenkästen schon in der Produktionsschleife für ein großes Upgrade in Spanien steckt, wird sich am großen Bild des SF-23 nichts ändern.

Weiterentwicklung macht Sinn
Dafür zieht Ferrari das Entwicklungstempo an. In Baku wird das Auto mit streckenspezifischen Änderungen an den Flügeln auflaufen. Auch in Miami werden nur kleinere Modifikationen erwartet. Dafür soll das für Barcelona geplante große Upgrade auf Imola vorgezogen werden.
Die nächsten Ausbaustufen werden auf dem aufbauen, was die Ingenieure kennen. "Sie erkennen immer noch viel Potenzial in diesem Auto. Es macht Sinn, es weiterzuentwickeln", beteuert Vasseur. Erst ab Saisonmitte werde man feststellen können, ob man nicht irgendwann doch in eine Sackgasse gerät und andere Konzepte mehr Spielraum lassen.
Sollte man zu dieser Erkenntnis kommen, wäre es im Rahmen des Budgetdeckels und der Windkanalrestriktionen praktisch unmöglich, noch während der Saison eine technische Kehrtwende zu machen. Die wäre dann eine "Entscheidung für die Zukunft". Daran aber will Vasseur im Moment noch nicht glauben. Er fordert seine Truppe auf, sich auf die eigenen Aufgaben zu konzentrieren und nicht allzu viel nach links und rechts zu schauen. Auch wenn er sich gegen Red Bull die Spitze erlaubt: "Die Strafe für den Kostendeckel-Verstoß war zu gering. Das soll aber keine Entschuldigung sein."