Sie sagen, dass diese Saison eine Ihrer besten war. Mit welchen Jahren können Sie 2022 vergleichen?
Alonso: Ich vergleiche sie mit 2012 und 2018.
Mit 2018?
Alonso: Ja, 2018 fühlte sich gut an. Mein letztes Jahr bei McLaren. Es gibt so Jahre, da hast du die Situation und dein Auto unter Kontrolle. Und andere, da musst du deinen Fahrstil anpassen, und es läuft nicht so rund.
Was sind für Sie die Kriterien einer guten Saison?
Alonso: Wenn ich an meiner Leistungsgrenze fahren kann und mein Instinkt mir sagt, dass alles zusammenpasst: Die Qualifikationsrunden, das Rennen, wenn ich alle Faktoren unter Kontrolle habe und in einen Rhythmus komme, in dem ich mich wohl fühle. Dieses Jahr zählt dazu, auch im Vergleich zu meinem Teamkollegen, der ja mein einziger Anhaltspunkt ist. Letztes Jahr gab es noch zu viele Baustellen, die ich aufräumen musste.
Von außen sah Ihre erste Saison nach zwei Jahren Pause aber nicht so schlecht aus?
Alonso: Letztes Jahr war ich nur bei 80 Prozent. Da sind viele Dinge noch nicht so automatisch abgelaufen. Wenn du zwei Jahre weg warst, brauchst du eine Saison, bis du wieder voll zurück bist. Jetzt bin ich wieder 100 Prozent im Sport drin.
Hat es Sie überrascht, dass trotz Kostendeckel und einem technischen Neustart das alte Kräfteverhältnis erhalten blieb und das Mittelfeld weiter eine Sekunde zurückliegt?
Alonso: Die neuen Regeln waren einer der Gründe, warum ich zurückgekommen bin. Ursprünglich sollten sie ja schon 2021 eingeführt werden. So war ich ein Jahr früher da. Und ja, es war ein bisschen enttäuschend für alle, erkennen zu müssen, dass sich die Dinge nicht dramatisch verändert haben. Es gibt höchstens zwei Teams, die Rennen gewinnen können, so wie das in den letzten Jahren auch war. Und die Lücke zwischen den zwei, drei Topteams und dem Mittelfeld ist immer noch zu groß. In 50 Prozent der Rennen liegen wir eine Runde hinter dem Sieger. Deshalb haben wir noch nicht das Resultat erzielt, das die Formel 1 mit dem Neustart der Regeln beabsichtigt hatte.

Wann glauben Sie, dass die Regeln eine Wirkung zeigen?
Alonso: Ich glaube nicht, dass der Budgetdeckel einen großen Einfluss haben wird. Eher die Regeln. Sie sind sehr restriktiv. Da gibt es nicht mehr viel zu erfinden. Die Topteams sind schon ziemlich nah am Limit, und die anderen werden aufschließen.
Was war für Sie in diesem Jahr ein persönlicher Sieg?
Alonso: Ich erinnere mich nicht so sehr an einzelne Rennen. Das Gesamtbild hat gepasst. Wir waren fast überall konkurrenzfähig. Unsere Schwachstelle war die Zuverlässigkeit. Sie hat mich viele Punkte gekostet. Wenn du nicht um den Titel oder um Siege fahren kannst, ist es egal, ob du Zweiter, Fünfter oder Elfter wirst. Die größte Motivation war der vierte Platz in der Konstrukteurs-WM. Das ist aber auch nicht super aufregend.
Sticht kein Rennen heraus?
Alonso: Sicher, ein paar schon. Mexiko war trotz des Ausfalls vielleicht mein bestes Rennen in diesem Jahr. Weil wir es von A bis Z perfekt exekutiert haben. Oder der zweite Startplatz im Regen in Kanada. Das Rennen war dann eher enttäuschend, weil wir wieder technische Probleme hatten. Also habe ich es wieder vergessen.
Und Brasilien, als Sie in den letzten zehn Runden den Speed von Leclerc halten und Verstappen abwehren konnten?
Alonso: In diesen letzten zehn Runden hatte ich das Auto dazu. Da gehe ich davon aus, dass ich so schnell bin wie jeder andere. Das gibt mir nichts. Meine Befriedigung sind Rennen, wo ich vom Kopf her den Unterschied machen kann. Weil ich mir das Rennen besser einteile und im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen treffe.
Wo verliert Alpine eine Sekunde auf den Red Bull?
Alonso: Überall ein bisschen. Die Sekunde setzt sich aus der Summe vieler kleiner Vorteile zusammen. Mehr Abtrieb, weniger Luftwiderstand, mehr Power, besseres Reifenmanagement, Boxenstopps, die Exekution der Rennabläufe. Sie sind auf den Geraden und in den Kurven schneller, was in dieser Kombination sehr schwer zu erzielen ist. Das holt man nicht in einem Jahr auf. Ich habe aber die Hoffnung, dass ein oder zwei Teams in zwei oder drei Jahren so weit sind.
Die Groundeffect-Autos sind zurück. Wie anders sind diese Autos zu fahren?
Alonso: Sie sind schon sehr einzigartig. In den langsamen Kurven sind die Autos sehr träge. Wegen des hohen Gewichts fühlen sich die Autos jetzt immer so an als hättest du 100 Liter Sprit an Bord. In den schnellen Kurven erwachen sie zum Leben. Und je höher die Geschwindigkeit, umso mehr Grip ist da. Das war in einem gewissen Maße schon früher so, doch der Ansaugeffekt in Abhängigkeit der Geschwindigkeit ist mit diesen Autos viel größer.
Können Sie als Fahrer mit diesen Autos einen größeren Unterschied machen?
Alonso: Ich glaube nicht. In der Anpassungsphase vielleicht. Aber irgendwann werden wir alle uns an das Auto gewöhnt haben, was uns hingestellt wird. Das war bei früheren Regeln schon so. Und das ist auch so, wenn du andere Rennkategorien fährst. Ich habe auch in Le Mans und Indy Zeit gebraucht, um mich an diese Autos zu gewöhnen. Wenn du mal das Limit gefunden hast, kannst du vielleicht noch ein Zehntel auf andere gutmachen.
Im Vergleich zu Ihrem Teamkollegen Esteban Ocon waren Sie in diesem Jahr fast immer von der ersten Runde an schnell, während es bei ihm oft bis ins Q3 gedauert hat, bis er auf Ihrem Niveau war. Wie erklären Sie das?
Alonso: Letztes Jahr war ich mit dem Auto noch nicht so vertraut. Jetzt bin ich es. Ich habe das Auto von der ersten Runde an gespürt. Dann gibt es da so wunderbare Werkzeuge wie Daten, Telemetrie, die dir helfen, dich mit deinem Teamkollegen zu vergleichen. Das bügelt dann die Unterschiede aus. Auch ich habe schon davon profitiert.

Ist es auch ein Vorteil der Erfahrung?
Alonso: Natürlich. Ich bin auf jeder Rennstrecke im Kalender schon 17 Mal gefahren. Einige meiner Kollegen vielleicht nur zwei Mal. Da reicht die Trainingszeit nicht, diesen Vorteil zu kompensieren.
Das Alter hat also nicht nur Nachteile?
Alonso: Wenn dich ein junger Fahrer bei einem physisch anstrengenden Rennen in der letzten Runde überholen würde, weil er ein bisschen fitter ist, dann wäre das Alter ein Nachteil. Aber das passiert eigentlich nie. Ansonsten bringt das Alter nur Vorteile. Ich kann aus einer riesigen Datenbank von Erfahrungen schöpfen. In Montreal sind wir vor der Qualifikation nur ein paar Runden im Regen gefahren. Ich kenne die Strecke im Regen aus der Vergangenheit, bin dort bestimmt schon fünf oder sechs Mal auf nasser Strecke gefahren. Das kommt mir dann entgegen?
In welchen Bereichen ist der Alonso von 2022 besser als der von 2006?
Alonso: In vielen. Ich kann heute ein Rennen besser lesen. Ich weiß, wann ich attackieren muss, wann nicht. 2006 spielte Reifenmanagement kaum eine Rolle. Heute schon. Bei den Boxenstopps kommt es heute darauf an, dass du zentimetergenau parkst. Mit den Tankstopps von damals war es egal. Du bist wegen des Tankens sowieso zehn Sekunden rumgestanden. Wenn ich gegen den Alonso von 2006 fahren müsste, dann würde ich ihn genau in diesen Details schlagen.
Lewis Hamilton bewundert ihre Hartnäckigkeit, dass Sie weitermachen, obwohl Sie im Gegensatz zu ihm nächstes Jahr noch kein Siegerauto erwarten dürfen. Woher kommt Ihre Motivation?
Alonso: Ich liebe, was ich tue. Natürlich hätte ich gerne ein Auto, mit dem ich um den Titel fahren kann. Aber es gibt dort keinen Platz für mich. Von dem, was es auf dem Markt gab, ist Aston Martin eines der Teams, die dieses Ziel in zwei, drei Jahren erreichen kann. Das ist in meinem Alter wichtig. Ich habe nicht ewig Zeit. Solange es nur ein Prozent Chance gibt, den Titel noch einmal zu holen, mache ich weiter. Und wenn es als Fahrer nicht klappt, dann vielleicht in einer Rolle außerhalb des Autos. Wenn wir dann Weltmeister werden, würde mir das auch Befriedigung geben, weil ich dann sagen könnte, dass ich das mit aufgebaut habe. Ich bin happy, in ein neues Projekt einzusteigen und das so bald wie möglich erfolgreich zu machen.
Sie haben jetzt zwei Jahre lang mit Alpine etwas aufgebaut. Fürchten Sie nicht, dass Sie bei Aston Martin wieder bei Null beginnen?
Alonso: Es ist Null. Das ist mir bewusst. Trotzdem hat Aston Martin eine gute Plattform. Sie haben sehr gute Leute und bauen gerade eine neue Fabrik mit neuen Werkzeugen auf. Ich lasse bei Alpine viele gute Dinge zurück, die wir in den letzten zwei Jahren gemeinsam entwickelt haben. Es ist kein Geheimnis, dass ich letztes Jahr Probleme mit dem Feedback der Servolenkung hatte. Jetzt ist sie perfekt. Jeder Fahrer, der seitdem den Alpine gefahren ist, hat das Feedback der Lenkung gelobt. Aber das ist der Vorteil, wenn du Alonso anstellst und der Nachteil, wenn du ihn verlierst.

Wie lange können und wollen Sie noch fahren?
Alonso: Solange ich das Gefühl habe, noch 100 Prozent geben zu können. Also bestimmt noch zwei oder drei Jahre. Ich muss in meinem Alter viele Dinge anders angehen. Das Training, das Reisen, die Veranstaltungen dazwischen. Die Formel 1 nimmt dich immer mehr in Beschlag. Du musst dich gut organisieren, um dich nicht zu verbrennen.
Gab es Momente in Ihrer Karriere, in denen Sie an Rücktritt gedacht haben?
Alonso: Ich bin 2018 zurückgetreten.
Sie sind aber in Le Mans und Indianapolis weiter Rennen gefahren?
Alonso: Komplett aufhören. Daran habe ich nie gedacht.
Irgendwann wird es aber so weit sein. Haben Sie Angst vor dem Leben danach?
Alonso: Ja, das habe ich. Ich habe keinen Plan B. Ich bin mein ganzes Leben lang Rennfahrer gewesen und bin nur gut in dieser Disziplin, weil ich nichts anderes gelernt habe. Mein Leben war immer dem Motorsport gewidmet. Und was ich in diesem Sport am besten kann, ist Fahren. Wenn ich eines Tages mit der Formel 1 aufhören muss, werde ich andere Rennen fahren. Ein Sieg bei der Dakar, das wäre noch eine Herausforderung. Weil es in dieser Kombination noch niemand gemacht hat. Aber zuhause herumsitzen, das macht mir Angst.
Sie könnten mit Ihrer Erfahrung und der Fähigkeit Rennen zu lesen am Kommandostand Karriere machen?
Alonso: Ich will mir jetzt keine Türen zuwerfen, aber im Moment steht das nicht weit oben auf meiner Wunschliste. Unser Job bedeutet ja auch viel Reisen. Das erträgt man, weil du dann einen Job machst, denn du liebst und kannst. Wenn ich reisen müsste, um etwas zu tun, das mir nicht so liegt, dann würde sich meine innere Batterie schnell entladen.