Nach dreieinhalb Monaten Winterpause und unzähligen Testrunden in Barcelona geht es nun endlich wieder richtig los mit der Formel-1-Action. Melbourne ist nun schon zum zehnten Mal in Folge Austragungsort für das erste Rennen des Jahres. Aus dem europäischen Winter-Schmuddelwetter geht es für den F1-Zirkus direkt in den australischen Spätsommer.
Doch dieses Jahr könnte es mit Urlaubsfeeling schnell vorbei sein. Und das nicht nur wegen der ständigen Diskussionen über das Corona-Virus. Die Meteorologen sagen für das Rennwochenende einen deutlich spürbaren Wetterumschwung voraus. Von aktuell noch knapp 30°C rutscht das Quecksilber ab auf frische 18°C. Dazu sollen am Freitag und Samstag Schauer über die Südostküste Australiens ziehen.
Bis auf die Zuschauer vor Ort haben die meisten Formel-1-Fans wohl nichts dagegen, wenn Regen das Geschehen auf der Piste noch etwas würzt. Bei konstant trockenen Bedingungen wäre Mercedes wohl nur schwer beizukommen. Das Weltmeisterteam hat im Albert Park vier der letzten sechs Rennen gewonnen und hinterließ auch bei den Wintertestfahrten den stärksten Eindruck.
Dass eine gute Vorstellung beim Probelauf in Barcelona aber noch nicht allzu viel heißen muss, zeigte sich erst im vergangenen Jahr. 2019 reiste Ferrari als großer Favorit zum Saisonauftakt. Am Ende verpassten die Scuderia-Piloten komplett das Podium. Auch Red Bull dürfte mit gemischten Gefühlen anreisen. Der letzte Sieg in Melbourne liegt bereits neun Jahre zurück. 2011 ließ Sebastian Vettel die Red Bull-Fans im Albert Park zum ersten und bisher einzigen Mal jubeln.
Die Strecke: Albert Park Circuit
Auch ohne den zusätzlichen Reiz des Starts in eine neue Saison ist die eckige Strecke im Albert Park immer ein Garant für gute Unterhaltung. Obwohl es sich nicht um einen Straßenkurs im eigentlichen Sinne handelt, werden Fehler hier stets hart bestraft. Die Kiesbetten sind tief, die Mauern stehen gefährlich nahe. Safety-Car-Einsätze sind eher die Regel als die Ausnahme. Die Wahrscheinlichkeit, dass es mindestens ein Mal zur Neutralisation kommt, lag in den letzten fünf Jahren bei 60 Prozent.
Überholen gehört in Melbourne zu den schwereren Übungen. Im Vorjahr lag das Minimum-Delta bei 1,8 Sekunden. Deshalb richtete die FIA eine dritte DRS-Zone ein. Auch 2019 dürfen die Piloten im Rennen dreimal den Heckflügel-Flap umklappen, sollten sie innerhalb einer Sekunde zum Vordermann liegen: auf der Zielgerade, zwischen Kurve zwei und drei sowie zwischen Kurve 12 und 13.
Die Spalte zwischen Flap und Hauptblatt wächst durch die Regeländerungen von 6,5 auf 8,5 Zentimeter. Das senkt den Luftwiderstand und führt zu höherem Top-Speed. Es muss sich aber erst zeigen, ob Überholen dadurch einfacher wird. Die Regelhüter hoffen es. Es wurde deshalb auch am Frontflügel abgerüstet, um einem anderen Auto leichter folgen zu können.
Im Rennen dürfen die Autos 110 statt 105 Kilogramm Benzin verbrauchen. In der Theorie müssen die Fahrer also weniger auf den Spritverbrauch achtgeben. Wegen der Stop-&-Go-Charakteristik sind die Bremsen übermäßigen Belastungen ausgesetzt. Nicht selten startet die Saison im Albert Park mit einer Ausfallorgie.
Fast Facts zum GP Australien
- Streckenlänge: 5,303 km
- Rundenanzahl: 58
- Renndistanz: 307,574 km
- Rundenrekord (Rennen): 1:24,125 s (Michael Schumacher, 2004)
- Pole-Position 2019 (absoluter Rundenrekord): 1:20.486 min. (Lewis Hamilton, Q3)
- Anzahl Kurven: 16 (6 links/10 rechts)
- Distanz Pole zum Bremspunkt für T1: 260,5 Meter
- Länge Boxengasse: 280,6 m
- DRS-Zonen: T2-T3 / T12-T13 / T16-T1
- Zeit bei Tempolimit 60 km/h in der Boxengasse: 16,8 Sekunden
- Reifensorten: C2 (Hard), C3 (Medium), C4 (Soft)
- Safety-Car-Wahrscheinlichkeit: 60 % (letzte 5 Jahre)
Set-Up:
Wegen der vielen engen Kurven und den harten Beschleunigungsphasen aus langsamen Ecken sind in Melbourne vor allem Traktion und Bremsstabilität gefragt – was auf dem rutschigen Asphalt der öffentlichen Straßen gar nicht so einfach ist. Gefahren wird mit einer relativ weichen Federung und viel Bodenfreiheit. Das Setup muss wegen des stark steigenden Grips über das Wochenende immer angepasst werden.
Seit der Regelreform 2017 wird im Albert Park nicht mehr ganz mit vollem Abtrieb gefahren. Im Gegensatz zu Barcelona zum Beispiel. Grip ist vor allem auf der Vorderachse gefragt. In den langsamen Ecken muss das Auto dorthin fahren, wo der Pilot hinlenkt. Untersteuern kostet wertvolle Zehntelsekunden. Auch eine gute Bremsstabilität ist wichtig. Hat der Fahrer Vertrauen und einen guten Rhythmus, spiegelt sich das direkt in der Rundenzeit wider.
Die Reifen werden in Melbourne eher wenig belastet. Im Vorjahr war eine Einstoppstrategie die beste Wahl. Es ist nicht zu erwarten, dass sich daran 2020 etwas ändert. Die niedrigen Temperaturen könnten eher Probleme mit Graining als mit Überhitzung verursachen. Pirelli bringt wie schon im Vorjahr die drei mittleren Mischungen C2, C3 und C4 mit in den Albert Park.

Technik-Updates:
Die meisten Teams haben ihr Pulver schon bei den Testfahrten verschossen. Größere Updates erwarten wir in Melbourne nicht. Einzig Renault hat für den Saisonstart noch ein umfangreicheres Paket angekündigt. Mercedes muss an den hinteren Bremshutzen Modifikationen vornehmen, nachdem die FIA in einer technischen Direktive kurz vor dem Saisonstart noch einmal die Regeln präzisiert hat.
Auch das „DAS“-System könnte für Ärger mit den Schiedsrichtern sorgen. Red Bull hat bereits angekündigt, dass man den Weltverband noch eimal um eine Überprüfung bitten will. Gut möglich, dass Mercedes freiwillig darauf verzichtet, um Diskussionen nach dem Rennen zu vermeiden.
Von außen nicht zu sehen sind die Upgrades in Sachen Motoren. Bei den Testfahrten konnte man einige Unzuverlässigkeiten an den Power Units erkennen – vor allem an den Mercedes-Triebwerken. Für Melbourne haben alle Hersteller noch einmal die aktuellste Spezifikation aus der Entwicklungsabteilung geordert.
Favoriten:
Bei keinem anderen Rennen ist die Favoritenfrage so schwer zu beantworten wie beim Allerersten. Die Testfahrten haben uns einige Anhaltspunkte gegeben, aber wie uns die Erfahrung des Melbourne-Rennens vor 12 Monaten gelehrt hat, sollte man nicht zu viel darauf setzen. Die Karten werden am Qualifying-Samstag das erste Mal aufgedeckt. Um endlich Klarheit über die Leistungsstärke zu gewinnen, hoffen Experten auf trockene Bedingungen.
Melbourne ist aber generell nicht der ideale Gradmesser. Mit dem welligen Asphalt und dem speziellen Layout ist der Australien-Sieger nicht unbedingt auch der Favorit für den Rest der Saison. Müssten wir Geld wetten, würden wir natürlich dennoch auf Mercedes wetten. Lewis Hamilton ist auf dem technisch anspruchsvollen Kurs im Qualifying immer besonders gut unterwegs.
Red Bull zeigte sich bei den Testfahrten deutlich besser aussortiert als noch im Vorjahr. Einige Optimisten im Team sehen den RB16 auf einem Level mit dem Silberpfeil. Max Verstappen will dieses Jahr der jüngste Weltmeister aller Zeiten werden. Den Holländer muss man somit immer auf der Rechnung haben.
Die große Unbekannte ist wieder einmal Ferrari. Über kein anderes Auto wurde bei den Wintertests so viel diskutiert wie über den SF1000. Die Piloten beklagten Probleme mit der Balance. Die GPS-Messungen der Konkurrenz enthüllten Schwächen mit der Motorleistung. Einige vermuteten allerdings, die Italiener haben nur geblufft. In Melbourne gibt es endlich die Antworten.
Das gilt auch für das Mittelfeld. Die Testfahrten haben bereits angedeutet, dass sich das Kräfteverhältnis verschoben hat. Einig sind sich die Ingenieure nur darüber, dass die Abstände nach wie vor sehr eng sind. Eine gute Tagesform kann im Qualifying bereits mehrere Startreihen ausmachen. Besonders gespannt sind die Experten auf die Leistung von Racing Point. Kann sich die Kopie des Vorjahres-Mercedes wirklich direkt beim ersten Rennen an die Spitze des Mittelfelds setzen?

So lief das Rennen im Vorjahr – GP Australien 2019:
Nach starken Testfahrten reiste Ferrari wie schon erwähnt vor einem Jahr als großer Favorit nach Melbourne. Doch schon im Qualifying machte Mercedes kurzen Prozess. Lewis Hamilton sicherte sich knapp vor Teamkollege Valtteri Bottas die Bestzeit. Sebastian Vettel musste sich mit Startplatz drei zufrieden geben – mehr als sieben Zehntel hinter der Pole Position.
Die Entscheidung über den Sieg im Rennen folgte schon auf den ersten Metern. Bottas kam von Rang zwei besser aus den Blöcken als das Schwesterauto und fuhr den Sieg am Ende ungefährdet mit mehr als 20 Sekunden Vorsprung vor Hamilton nach Hause.
Spannender wurde es dahinter beim Kampf um Rang drei. Sebastian Vettel hatte aussichtslos versucht, die Mercedes mit einem sehr frühen Boxenstopp unter Druck zu setzen. Davon profitierte Max Verstappen, der mit frischeren Gummis in Runde 30 relativ einfach am Ferrari vorbei kam. Vettel hätte wohl auch noch Rang vier an Teamkollege Charles Leclerc abgegeben, wenn dieser nicht vom Kommandostand zurückgepfiffen worden wäre.
Auch für die Fans von Lokalmatador Daniel Ricciardo gab es nicht viel zu jubeln. Der Australier geriet bei seinem ersten Auftritt im Renault schon am Start neben die Strecke. Ein Schlagloch in der Wiese riss den Frontflügel ab und beschädigte das Chassis. Nach 28 Runden musste Ricciardo aufgeben. In einem bunt gemischten Mittelfeld brachten Haas, Renault, Alfa Romeo, Racing Point und Toro Rosso jeweils ein Auto in die Punkte.
In der Galerie zeigen wir Ihnen noch einmal die besten Szenen des Australien-GPs 2019.