Red Bull Favorit? Großer Fortschritt dank Upgrade

Red Bull plötzlich Favorit?
Upgrade bringt mehr als halbe Sekunde

Es dauerte, bis sich Red Bull aus seinem Versteck wagte. Fünf Testtage in Barcelona und Bahrain verbrachte der Rennstall von Weltmeister Max Verstappen damit, Daten zu sammeln, ein Verständnis über die neuen Reifen und die Aerodynamik aufzubauen, das Bouncing auf den Geraden in den Griff zu bekommen, mit sehr viel Benzin herumzufahren und das leidige Untersteuern loszuwerden. In die langsamen und mittelschnellen Ecken wollte der RB18 nicht so abbiegen, wie sich das Fahrer und Ingenieure vorstellen.

Das Team hatte auch die Reifen im Verdacht. "Der Vorderreifen ist im Verhältnis zum hinteren schwach." Man griff sich aber vor allem selbst an die Nase. "Wir müssen das Problem lösen. Wir haben auf der Hinterachse richtig viel Abtrieb. Vorne müssen wir mehr finden." Der RB18 musste in Balance gebracht werden. Dann sei er sofort mehrere Zehntel schneller. Gesagt, getan.

Sergio Perez - Red Bull - Formel 1 - Test Bahrain - Tag 3 - 12. März 2022
xpb

Red Bull vor Ferrari und Mercedes

Am letzten Testtag packte Red Bull seine neuen Teile aus und beendete das Versteckspiel. Selbst Laien erkannten auf den ersten Blick, dass die Form des Seitenkastens eine ganz andere war als zuvor. Auch darunter soll sich etwas getan haben. Die Kühlung soll angepasst worden sein. Dazu schraubte Red Bull einen neuen Unterboden ans Auto. Der Fortschritt war sofort spürbar. Sergio Perez ging raus und setzte direkt die Bestzeit. Die Teamführung grinste.

Max Verstappen brannte in der Schlussphase die Bestzeit der Testwoche in den Asphalt. Das veranlasste die Konkurrenz, ihr Urteil zu revidieren. Bei Mercedes und McLaren war man sich einig. Nicht Ferrari geht als Favorit in das erste Rennwochenende der Saison an gleicher Stelle, sondern Red Bull.

Ein Mercedes-Ingenieur fasste zusammen. "Red Bull vor Ferrari, wir liegen nach unserer Rechnung eine halbe Sekunde dahinter." Mercedes hat mit seinen brandneuen Seitenkästen im Gegensatz zum Erzrivalen nicht direkt den Nagel auf den Kopf getroffen. Red Bulls Sportchef Helmut Marko lobte seine Mannschaft. "Das Upgrade hat uns mehr als eine halbe Sekunde gebracht." Man muss das alles noch mit Vorsicht genießen. Eine Woche bis zum Saisonstart ist zwar nicht viel, doch in dieser Zeit können sich Dinge verändern. Zum Beispiel, wenn Mercedes das Bouncing auf den Geraden besser löst als bei den Testfahrten.

Neues Paket übertrifft Erwartungen

Red Bull schlug sich mit diesem Phänomen weniger herum. Dafür hatte man lange mit Untersteuern zu kämpfen. Mit den neuen Teilen ist es den Ingenieuren gelungen, eine bessere Abstimmung zu finden, um die Vorderachse zu stärken. "Wir konnten das Untersteuern überproportional lindern", konstatierte Marko. Die Befürchtung, dass der Abgang des einen Problems das andere, das Hoppeln, hervorrufen könnte, bewahrheitete sich nicht.

Das Team des Weltmeisters überraschte sich selbst. Red Bull hatte erhofft, einen größeren Schritt zu machen, war sich dessen allerdings nicht sicher. "Vielleicht ist es mit dieser komplizierten Aerodynamik zunächst ein Rückschritt", meinte Marko am Freitag noch. Bei diesen komplexen Autos, die noch so jung sind in ihrer Entwicklungsphase, weiß man nie. Vor allem nicht, wenn man ins Blaue hinein entwickelt, ohne einen Abgleich mit der Rennstrecke zu haben. Umso mehr freute man sich über das Ergebnis. "Die Korrelation zwischen Windkanal und Rennstrecke ist besser als erwartet."

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - Test Bahrain - Tag 3 - 12. März 2022
Motorsport Images

Volle Leistung, aber wie viel im Tank?

Am Samstagvormittag hörte man zwischendrin noch pessimistische Stimmen, die Ferrari trotz allem drei bis vier Zehntel vorne sahen. Je länger der letzte Testtag andauerte, desto mehr entfesselte sich der halbneue Red Bull. Sportchef Marko erklärte, dass seine Mannschaft nicht mehr zurückgehalten habe. Wenig Benzin und volle Leistung. Chefpilot Verstappen bremste am Samstagabend. "Noch gibt niemand alles im Qualifikations-Trim." Bei Mercedes hielt man fest: "Red Bull hatte den Motor voll aufgedreht. Wir glauben aber, dass da noch mehr kommt, weil sie noch Benzin im Tank hatten."

Der Konstrukteurs-Weltmeister selbst soll seinen Motor nur in gewissen Phasen aufgedreht haben, nicht aber in den schnellsten Runden. Ferrari soll seine Topzeiten ebenfalls mit gedrosselter Leistung gefahren sein. Und, da sind sich sowohl Mercedes als auch Red Bull einig, Ferrari hat sich seine Rundenzeiten bei den diesjährigen Testfahrten nicht mit wenig Benzin erkauft.

RB18 weit über Mindestgewicht

Red Bull überzeugte nicht nur auf eine Runde, sondern auch im Longrun. "Die waren von Max sehr stark", berichtete Marko. In jedem Fall konnte man feststellen, dass der RB18 die Reifen über die Distanz weniger hart herannimmt als der Mercedes W13. Das könnte aber mit dem starken Aufschlagen des Unterbodens zusammenhängen. Dort liegt wahrscheinlich auch der Schlüssel zum ersten Rennen. Wer es schafft, tief zu fahren, und gleichzeitig das Auto schont, sollte die besten Karten haben. Ein paar Millimeter weniger machen einen großen Unterschied bei der Performance. Da der Ferrari nie stark aufzusetzen schien, könnte die Scuderia hier noch etwas in der Hinterhand haben.

Ein Thema wird Red Bull noch Wochen verfolgen. Das Auto soll deutlich übergewichtig sein. Gerüchte im Fahrerlager besagen, Teamchef Christian Horner habe sogar um eine Anhebung des Mindestgewichts um 20 Kilogramm geworben. Im Team wird das bestritten. "So viel sind wir nicht drüber", sagt Marko. Jedenfalls wird der RB18 innerhalb einer Woche weiter abmagern. Mit ein paar Leichtbauteilen soll das Auto an Gewicht verlieren. Red Bull ist nicht allein im Boot. Der Grazer Doktor glaubt: "Sieben von zehn Teams werden zum Saisonstart mal mindestens übergewichtig sein."

Ziemlich sicher ist, dass der RB18 mehr auf den Rippen hat als der Mercedes W13 und Ferrari F1-75. Jedes Kilo kostet Rundenzeit. So gesehen kann Red Bull hier noch mehr an Performance zulegen als die Konkurrenz. Und wenn sich tatsächlich herausstellt, dass der RB18 das schnellste Auto ist, hat Red Bull ganze Arbeit geleistet. Kein Team hatte 2021 so lange am alten Auto gearbeitet. Eine solch erfolgreiche Parallelentwicklung spräche für die Qualitäten der Ingenieure in Milton Keynes.