F1 Unterboden-Tricks? Ferrari & Red Bull im Visier

Tricks mit dem Unterboden?
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Ferrari und Red Bull im Visier

Charles Leclerc - Ferrari - GP Österreich 2022 - Spielberg © Wilhelm 24 Bilder

Tricksen manche Teams mit biegsamen Unterböden, um sich einen Performance-Vorteil zu verschaffen? Es geht um unterteilte Skid Blocks und zu elastische Planken. Die Beschuldigten sind in erster Linie Red Bull und Ferrari.

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Der Unterboden ist die größte Spielwiese der Ingenieure. Rund 40 Prozent des Anpressdrucks erzielen die 2022er Autos über die Kanäle unter dem Auto. Der Ground Effect sorgt nicht nur für viel sondern auch für effizienten Abtrieb. Das Verhältnis aus Downforce und Luftwiderstand ist ein gesundes. Bei Frontflügel und Heckflügel, den anderen großen Anpressdruck-Spendern, ist das anders. Steiler angestellte Flaps vorn und größere Luftleitwerke hinten erhöhen gleichzeitig überproportional den Luftwiderstand.

Wer also den Ground Effect bestens ausnutzt, erzielt hohe Abtriebswerte und kann gleichzeitig mit kleineren Flügeln fahren. Siehe Red Bull. Und inzwischen auch Ferrari. Der F1-75 hat mit ein paar Upgrades an Effizienz zugelegt. Genau diese beiden Teams sind es, die im Zuge der Technischen Direktive TD039 in den Fokus geraten sind. Es ist die Natur der Sache im Sport: Die Schnellsten erregen die meiste Aufmerksamkeit. Sie sind es, auf die die Konkurrenz argwöhnisch blickt. Sie sind es, die zuerst unter Generalverdacht gestellt werden, wenn es zu Ungereimtheiten kommt.

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Schnelle Autos, Fragen der Konkurrenz: Sowohl Ferrari als auch Red Bull werden verdächtigt.

F1-Autos hüpfen weniger

Mit der TD039 will die FIA die hüpfenden Autos zügeln, und zu hohe vertikale Kräfte auf die Fahrer verhindern. Dafür wird eine komplizierte Metrik entworfen. Gemessen wird über einen Beschleunigungssensor, der ab Belgien an einer einheitlichen Stelle in den Autos sitzen muss.

Die Klagen der Fahrer waren nach dem GP Aserbaidschan zu laut geworden. Über Rücken- und Hüftprobleme sowie eine malträtierte Muskulatur. Seither sind die Rennen in Kanada, Silverstone und Österreich vergangen. Seither gehen die Debatten um Bouncing und Bottoming eigentlich zurück. Weil praktisch alle Teams das Phänomen gelöst haben. Sogar Mercedes, das am schwersten betroffen war. Deshalb gibt es nicht wenige im Fahrerlager, die meinen, dass die neue TD gar nicht mehr nötig ist.

Die FIA ist da anderer Meinung. Sie hält fest, dass das Bouncing von Strecke zu Strecke unterschiedlich ausfalle. Man habe erwartet, dass es in den letzten Rennen zurückgehe, und geht davon aus, dass es manche Strecken in den kommenden Monaten wieder stark hervorrufen könnten. Deshalb drückt man die TD als Sicherheitsmaßnahme durch.

Um es noch einmal kurz zu umreißen: Bouncing umschreibt ein aerodynamisches Phänomen. Engänder nennen das unkontrollierte An- und Absaugen des Autos bei höheren Geschwindigkeiten auch "Porpoising". Es handelt sich hierbei um ein ständiges Auf- und Abwippen des Autos mit niedriger oder hoher Frequenz. Bottoming umschreibt das brutale Aufsetzen der Autos auf Bodenwellen und Randsteinen. Die 2022er Rennwagen liegen tiefer und sind deutlich straffer gefedert als ihre Vorgänger – um den Ground Effect voll auszunutzen.

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"Bierbank" als Planke: So sieht der Unterboden von Mercedes aus.

Neun Millimeter dick

Inzwischen kocht ein anderes Thema hoch, das ebenfalls in der TD verankert ist. Die FIA will die Abnutzung der Bodenplatte stärker kontrollieren. Es geht der Verdacht um, dass es manche Teams zu bunt treiben könnten mit der Auslegung der Unterboden-Regeln. Dass sie ihre Autos im vorderen Teil durch spezielle Skid Blocks tiefer fahren können. Dass sie eine biegsame Planke als Schutzschirm gegen Bottoming nutzen. Der Zeitgewinn durch eine schlaue Konstruktion des Unterbodens könnte mehrere Zehntelsekunden betragen. Genau kann es keiner beziffern.

Red Bull und Ferrari vermuten Mercedes hinter der Kampagne, um die Spitzenteams der bisherigen Saison einzubremsen. Im Lager der Silberpfeile verweist man auf eine Sitzung des "Technical Advisory Committee" (nach Kanada), in dem sich die Technikchefs trafen, in der die möglichen Tricksereien mit dem Unterboden von der FIA selbst auf den Tisch gekommen sein sollen. Mercedes-Teamchef Toto Wolff sprach daraufhin von einem "Schock".

Im Visier sind die Planke und die Skid Blocks, welche die Bodenplatte vor einer zu hohen Abnutzung schützen. Die sogenannte Planke ist ein zentrales Holzbrett unter dem Auto. Um es sich besser vorstellen zu können. Es sieht aus, als ob der Unterboden mit einer Bierbank verschraubt wäre. Die Planke ist der tiefste Punkt des Autos, ist also den Schlägen vom Untergrund ausgesetzt. Artikel 3.5.9 e.) des Technik-Reglements schreibt eine Dicke von zehnn Millimetern vor (+/- 0.2 mm). Die Bodenplatte muss im Neuzustand gleichmäßig gebaut sein.

Die FIA erlaubt eine maximale Abnutzung von einem Millimeter. Bei jeder Kontrolle muss die Planke also mindestens neun Millimeter dick sein. Von vorn nach hinten sind in die Planke kleine Löcher gestanzt. Hier können die FIA-Techniker die Dicke der Bodenplatte messen. Die sogenannten "Skid Blocks" aus Titan sind dafür da, die Holzplatte zu schützen. Sie sind für den Zuschauer unsichtbar, und werden doch wiederum sichtbar – durch den Funkenschlag der Autos. Diese entstehen beim Kontakt der Titanblöcke mit dem Asphalt.

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Die Skid Blocks schützen die Löcher in der Planke.

Skid Blocks wie Kuchenstücke

Besonders viele Funken hatte der Red Bull in der Vergangenheit geschlagen. Das lag daran, dass die Autos von Adrian Newey von vorn nach hinten stark angestellt waren, mit der vorderen Kufe des Unterbodens also ständig Bodenkontakt hatten. Auch der diesjährige Red Bull produziert die meisten Funken. Was nahe legt, dass der RB18 tief eingestellt ist. Und trotzdem schlug sich Red Bull im Gegensatz zur Konkurrenz weder groß mit dem aerodynamisch erzeugten Bouncing noch dem mechanischen Bottoming herum.

Ferrari hatte zwar Bouncing, doch das Hüpfen schien dem F1-75 weder auf Geraden noch in den Kurven etwas auszumachen. Die Aerodynamik blieb stabil. Bottoming war für das rote Auto immer ein Fremdwort. Es schluckt Bodenwellen scheinbar mühelos und klettert wie kein zweites über Randsteine.

Der Trick, der Ferrari und Red Bull nachgesagt wird, sich aber nicht auf die beiden Top-Autos beschränken muss: Sie sollen die Skid Blocks clever aufgeteilt haben. Wie in einzelne Kuchenstücke rund um die Löcher. Unter der Fahrt sollen manche dieser Stücke bei Bodenkontakt wie von Wunderhand im Unterboden verschwinden. Im Stand kehren sie in ihre Ausgangsposition zurück.

Was damit bezweckt wird? Die Kontrolleure messen die Abnutzung nur an einer Stelle, und nicht um das ganze Loch herum. Eine Praxis, die aus Zeiten stammt, als noch Charlie Whiting Rennleiter der Formel 1 war. Der Clou: Der Teil des Skid Blocks, der während der Fahrt verschwindet, der hintere Abschnitt, wird geschützt. Bei der Kontrolle werden also immer die vorgeschriebenen neun Millimeter erreicht. Ob sich die vorderen Kuchenstücke aus Titan um ein paar Millimeter abgewetzt haben, ist unerheblich.

Flexible Planke gegen Bottoming

Dieser Trick hat den Vorteil, dass man das Auto gerade an der Vorderachse tiefer fahren kann. Jeder Millimeter bringt da einen Zeitgewinn. Um diese Praxis zu unterbinden, weitet die FIA mit der Technischen Direktive ihre Messmethode aus. Die Dicke wird ab dem GP Belgien nicht mehr nur an einer Stelle gemessen, sondern an 75 Prozent der Peripherie. Und man schreibt generell steifere Skids vor.

Die zweite clevere Idee betrifft die Flexibilität der Holzplanke selbst. Erlaubt ist eine Verbiegung von maximal zwei Millimetern. Es könnte allerdings Teams geben, die unter der Fahrt mehr schaffen. Die Rede ist davon, dass die Planke praktisch in den Unterboden "gedrückt" wird. Das würde automatisch die Kanäle im Unterboden vergrößern. Die Luft könnte besser expandieren und beschleunigen. Der Abtrieb stiege. Im Endeffekt würde man mit diesen Tricks ein nach hinten angestelltes Auto simulieren.

Wer tatsächlich etwas Luft zwischen Boden und Chassis hat, um die Planke reinzudrücken, genießt noch einen zweiten Vorteil. Das Bottoming geht zurück, weil das Holzbrett die Schläge besser abfedert. Bei Mercedes hegt man den Verdacht, dass gerade deshalb Ferrari und Red Bull so viel besser mit welligen Strecken umgehen können.

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Red Bull wettert wie im letzten Jahr gegen den Mercedes-Frontflügel.

Red Bulls Gegenschlag

Es wären schlaue Tricks, um die Regeln für die Abnutzung des Unterbodens und für die Steifigkeit zu umgehen. Red-Bull-Teamchef Christian Horner verweist die Theorien ins Reich der Fabeln. Aus dem Team heißt es, man müsse angesichts der neuen Messverfahren ab Belgien nicht wirklich viel am Unterboden ändern. Vielleicht die Anbindung der hinteren Bodenplatte zum Motor stärken. Red Bull verweist darauf, dass man sich im Regelprozess für 2022 selbst dafür eingesetzt hätte, die Planke generell steifer auszulegen. Man hört im Fahrerlager, dass bereits vor 2022 der Verdacht umging, dass manche Teams hier in Grauzonen fischen könnten.

Im Gegenzug geht Red Bull zum Angriff über. Der Frontflügel von Mercedes verbiege sich auf den Geraden viel zu stark nach hinten, was zu einem höheren Topspeed führe. Die Konstrukteurs-Weltmeister sprechen von einem gezielten Ablenkungsmanöver von Red Bull. Mercedes hofft, dass die TD ab Belgien sowohl den Erzrivalen als auch die rote Konkurrenz schwächt.

Ferrari lässt sich wie üblich nicht in die Karten schauen. Teamchef Mattia Binotto erklärte am Österreich-Wochenende, dass ein paar Modifikationen am Unterboden notwendig seien, um der neuen Auslegung nach der Sommerpause gerecht zu werden. Besorgt wirkte der Ferrari-Rennleiter nicht. Erst die Rennen ab Belgien werden zeigen, ob die mehrmals überarbeitete TD039 zu Verschiebungen im Kräfteverhältnis führt.

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