Es ist ein Phänomen, das diesen Grundeffect-Autos angeboren ist. Bouncing war schon vor 42 Jahren ein Thema, das die Ingenieure in Atem hielt. Der frühere Brabham-Teammanager Herbie Blash erinnert sich an einen Test 1980 in Rio, als das Schaukeln des Autos plötzlich auftrat. "Wir haben immer mehr Abtrieb gefunden und sind immer härtere Federn gefahren. Das hat den Effekt ausgelöst. Wir haben eine Woche lang herumprobiert. Erst als wir zufällig Löcher in die Flügelprofile unter dem Auto geschnitten haben, war es weg."
Löcher im Unterboden helfen auch heute noch. Doch sie kosten massiv Rundenzeit. "Schlimmer als wenn du die Bodenfreiheit erhöhst", erklärt Aston Martin-Technikchef Andy Green. "Löcher allein sind keine Lösung", heißt es auch bei Mercedes. Beide Teams stecken tief in der Bouncing Falle. Da wieder rauszukommen ist ein Geduldspiel. Nach Meinung von Mercedes ist es hauptsächlich ein Aerodynamikproblem.

Hatten Byrne und Newey eine Vorahnung?
Obwohl alle von der Intensität des Phänomens überrascht wurden, fragt man sich im Fahrerlager, ob Ferrari und Red Bull nicht wenigstens eine Vorahnung hatten, dass so etwas passieren könnte. "Ferrari hat mit Rory Byrne einen Ingenieur in ihren Reihen, der in der ersten Groundeffect-Ära schon dabei war, Red Bull mit Adrian Newey", so der Verdacht.
Die Lösung liegt nicht gleich um die Ecke. Haas-Teamchef Guenther Steiner glaubt: "So richtig versteht das Problem keiner. Wir dachten, wir hätten es einigermaßen im Griff. Dann machst du eine Änderung am Unterboden, und es kehrt wieder zurück. Manchmal hilft nur probieren."
Das fürchten auch die Mercedes-Ingenieure: "Wir haben über 100 Experimente gemacht, ohne den Ansatz einer Lösung. Wir haben vorne und hinten das Auto angehoben, die Flapanstellung vorne geändert, den Flügeltyp hinten. Wir können es stoppen, sind dann aber langsam." Um mehr zu lernen wurde der Unterboden von Lewis Hamiltons Auto in Melbourne mit Messgeräten bestückt. Aus dem Lager des Konstrukteurs-Weltmeisters heißt es: "Erwartet nicht gleich beim nächsten Rennen eine Lösung."

Schaukeln wie in Zeitlupe
Jedes Auto scheint anders von dem Phänomen betroffen zu sein. Trotzdem lässt sich das Feld in drei Bouncing-Familien einteilen. Mercedes und Aston Martin zeigen ab einer bestimmten Geschwindigkeit und Fahrzeughöhe ein hochfrequentes Flattern. Der Ferrari und Alpine schwingen eher in Zeitlupe, so als hätten sie einen Massedämpfer an Bord, der natürlich längst verboten ist. Red Bull und McLaren scheinen das Schaukeln gar nicht oder nur ganz gering zu haben.
Die goldene Formel gibt es offenbar nicht. Ferrari und Red Bull kommen auf unterschiedlichen Wegen zum Ziel. Mehr Bodenfreiheit hilft, reduziert aber den Abtrieb und erhöht den Luftwiderstand. Man kann aber auch tief fahren, ohne davon betroffen zu sein. "Kein Auto schlägt so viele Funken wie der Red Bull", fällt Ferrari-Teamchef Mattia Binotto auf. Schlussfolgerung: "Die fahren hinten mit wenig Bodenfreiheit." Mercedes-Ingenieure haben entdeckt, dass der Red Bull im Stand hinten relativ hoch liegt und sich erst während der Fahrt absenkt.
Das Geheimnis des Ferrari ist aus Sicht von Mercedes dessen aerodynamische Stabilität. Während das eigene Auto nur in einem kleinen Fenster von Bodenfreiheiten den gewünschten Abtrieb liefert, bleibt der Ferrari über eine größere Bandbreite von Fahrzeughöhen stabil. Der Alpine fällt in das gleiche Raster. Deshalb macht den Fahrern das Schaukeln auch weniger aus. "Wenn die Ferrari-Piloten in eine Kurve einlenken, setzt sich das Auto ab und das Wackeln hört auf", staunen die Spione. Charles Leclerc gibt zu, dass er wegen des Bouncings keine Rundenzeit verliert, dass es für den Fahrkomfort aber besser wäre, wenn es verschwinden würde. Ferrari will daran arbeiten. Aus einer Position der Stärke heraus fällt das natürlich leichter als wenn man unter Zugzwang Rundenzeit finden muss.

Hat Red Bull Bouncing gelöst?
Bei Mercedes drückt sich das Bouncing als Schütteln mit kleinen Amplituden aus. Je nachdem, ob sich das Auto gerade oben oder unten befindet, schwankt auch der Anpressdruck. Das raubt den Fahrern das Vertrauen. "Wir verlieren unsere ganze Zeit in den schnellen Kurven. Wir tragen das Bouncing mit in die Kurve hinein. Ferrari nicht", schüttelte Teamchef Toto Wolff den Kopf.
Red Bull und McLaren haben praktisch kein Bouncing, scheinen aber nicht genau zu wissen warum. "Bei uns war es auf einen Schlag mit dem Upgrade weg, das wir am letzten Testtag in Bahrain gebracht haben", erzählt Sportdirektor Helmut Marko. Die Ingenieure überraschten sich dabei offenbar selbst. Sie hatten mit einer halben Sekunde Zeitgewinn gerechnet. Tatsächlich waren es acht Zehntel. Vermutung der Konkurrenz: "Die haben das Problem eher zufällig gelöst. Es war zwischen dem Barcelona-Test und Bahrain gar keine Zeit, auf das Problem schnell zu reagieren."
Da Red Bull bei der Ausbaustufe nur die Aerodynamik angefasst hat, muss der Schlüssel hauptsächlich dort liegen, vermuten die Mercedes-Ingenieure. Sie konzentrieren sich jetzt bei der Suche nach einer Lösung deshalb auf die Änderungen, die Red Bull am Unterboden vorgenommen hat. "Das Auto fährt extrem tief, bleibt aber komplett ruhig." Das ist eine Art Hoffnungsschimmer.
McLaren ist ein Sonderfall. Das Auto hat vermutlich zu wenig Abtrieb, um in einen Bereich zu gelangen, in dem das An- und Absaugen beginnt. "Dieser Prozess ist eine Funktion von Geschwindigkeit und Fahrzeughöhe. Ist die Geschwindigkeit genügend hoch und die Bodenfreiheit genügend tief, geht es los", erklärt Aston-Martin-Technikchef Andy Green. Daraus lässt sich schließen, dass der McLaren auch mit relativ viel Bodenfreiheit gefahren wird. Das kostet aber Abtrieb und treibt den Luftwiderstand nach oben.

Mercedes bangt und hofft
Für die größten Bouncing-Opfer Mercedes und Aston Martin stellt sich die Frage, ob man aus der Nummer wieder rauskommt, ohne grundlegende Eingriffe an dem Konzept vorzunehmen, das darauf ausgelegt ist, tief und hart zu fahren. Binotto warnt aus eigener Erfahrung: "Die Formel, dass man einfach nur das Bouncing wegbringen muss und damit eine Sekunde gewinnt, ist zu einfach. Und man ist auch nicht automatisch schnell, nur weil man tief fahren kann."
Das sieht auch Kollege Toto Wolff so: "Es gibt sicher kein Patentrezept für uns, dass alle Probleme auf einmal löst. Wir haben auch noch andere Baustellen, die wir lösen müssen wie das hohe Gewicht. Für uns stellt sich die Frage, ob wir unser Auto ohne Kompromisse in sein Fenster bringen oder das Konzept umbauen müssen. Das aber würde zwölf Wochen dauern."
Und der Budgetdeckel würde denen, die komplett umbauen müssten, Grenzen setzen. George Russell fürchtet: "Es gibt im Moment nichts, was über Nacht die Lücke schließt. Das nächste Upgrade muss funktionieren. Du kannst nicht mehr einfach nur neue Teile ans Auto bringen in der Hoffnung, dass sie helfen."