Die neue Formel 1 ist leicht durchschaubar und schwer zu erklären. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Das Kräfteverhältnis ist für den Moment ziemlich deutlich. Ferrari und Red Bull fahren sechs bis acht Zehntel vor dem Rest des Feldes. Dann folgt ein einsamer Mercedes. Weitere drei bis vier Zehntel dahinter ein kompaktes Mittelfeld mit Alpine, Haas, Alfa Romeo, Alpha Tauri und McLaren. Am Ende etwas abgeschlagen Aston Martin und Williams.
Doch warum ist das so? Rein äußerlich lässt sich die Aufteilung in vier Gruppen nicht erklären. Mit Ferrari liegt ein Auto mit langen, hohen und breiten Seitenkästen an der Spitze. Mit Aston Martin ein Vertreter des gleichen Konzepts am Ende. Red Bull gewinnt Rennen mit Seitenkästen, die die Strömung in Form einer Rampe auf den Diffusor und die hinteren Bremsbelüftungen lenken.
Alpine und Alpha Tauri verlieren mit der vergleichbaren Idee acht Zehntel bis eine Sekunde. Mercedes ist mit schlanken Seitenkästen dritte Kraft. Nicht gut genug für Mercedes, aber immer noch deutlich besser als McLaren und Williams, die mit einer ähnlichen Bauart nur schwer oder gar nicht auf die Füße kommen.

Die erste Frage: Wie viel Fahrzeughöhe?
Aston-Martin-Technikchef Andy Green rät beim Auflösen des Rätsels nicht zu sehr auf die Äußerlichkeiten zu schauen. Viel entscheidender ist ein ganz anderer Punkt. Nämlich die Frage, für wie viel Bodenfreiheit die einzelnen Autos konzipiert wurden. Da keinerlei Erfahrungswerte oder Vergleiche mit anderen Autos vorlagen, legten sich die Konstrukteure rein Daten basiert auf ein bestimmtes Konzept fest.
Green erklärt: "Es war nicht möglich, im Detail in alle Richtungen zu schießen. Stattdessen probierst du in der Anfangsphase verschiedene Wege aus und schaust, wie sie sich entwickeln. Dazu hast du dir ein Ziel gesetzt, wo du mit dem Strömungsfeld und der Rundenzeit gerne landen willst. Dort wo die Sprünge am größten sind und es aus deiner Sicht am wahrscheinlichsten ist, am Ziel zu landen, bleibst du. Das gibt dir die Geometrie deines Autos vor. Wenn du dich am Anfang für ein anderes Strömungsfeld entscheidest als ein Mitbewerber, wirst du am Ende zwei unterschiedliche Autos haben."
Mit dem neuen Reglement mit dem dreidimensionalen Unterboden, der bis zu 40 Prozent zum Gesamtabtrieb beisteuert, lag es auf der Hand, dass die Ingenieure darauf bedacht waren, eben diesen Unterboden so gut wie möglich zu nutzen. "Dafür legst du für dich eine Fahrzeughöhe fest, von der du glaubst, dass sie dir die größte Performance bringt. Daraus entwickelt sich dann die Form des Autos. Wir sind den Weg niedrig und hart gegangen. Wir konnten das Ziel sehen, deshalb erschien es uns der richtige Weg. Keine unserer Simulationen hat uns angedeutet, dass wir damit ein Problem mit der Instabilität des Autos bekommen könnten."

Hoch und weich gegen tief und hart
Erst bei den Testfahrten kam plötzlich das Bouncing. Also jener Effekt, der die Autos auf den Geraden auf- und abschwingen lässt, wenn eine bestimmte Geschwindigkeit und ein bestimmter Bodenabstand erreicht sind. Das ist Physik, der sich keiner entziehen kann. Und doch kommen einige Teams besser damit zurecht als andere. Der Grund dafür hört sich simpel an. Sie haben sich in ihrer Konzeptphase auf eine größere Fahrzeughöhe festgelegt und ihre Aerodynamik daraufhin optimiert. Und zwar ganz unabhängig von der Form der Flügel oder Verkleidung. Oder sie haben ihren Unterboden so gestaltet, dass die gestaute Luft in kritischen Phasen nach außen gedrückt wird. Obwohl sie wie der Red Bull relativ tief fahren.
So lassen sich die Autos grob in drei Gruppen einteilen: Die einen, die mit mehr Bodenfreiheit und viel Federweg schnell sind, weil sie dafür konstruiert wurden. Also Ferrari und bis zu einem gewissen Maß auch Alpine, Haas und Alfa Romeo. Sie haben Bouncing, sind aber dagegen relativ unempfindlich. Und die anderen, die wenig Fahrzeughöhe und ein hartes Fahrwerk zwingend brauchen, um schnell zu sein. Also Mercedes, Aston Martin und Williams.

Sonderfall Red Bull und McLaren
Red Bull und McLaren könnten Sonderfälle sein. Red Bull wurde sein Bouncing mit dem großen Upgrade am letzten Testtag in Bahrain los. Unterboden und Seitenkästen waren neu. Da sich Red Bull mit dem Zeitgewinn von einer Dreiviertel-Sekunde selbst überraschte, geht man bei der Konkurrenz davon aus, dass die Truppe von Adrian Newey damit eher zufällig den Weg aus der Bouncing-Falle fand. Im Stand liegt der Red Bull hinten relativ hoch, doch der starke Funkenflug verrät, dass sich das Auto mit zunehmender Geschwindigkeit absenkt, ohne dabei ins Schaukeln zu kommen.
McLaren hatte von Anfang an kein Problem mit dem Pumpen auf den Geraden. In Barcelona hat das noch gut funktioniert, weil die meisten anderen Teams von dem Schütteln überrascht wurden und erst einmal schnelle Lösungen finden mussten. Als die gefunden waren, rutschte McLaren ab. Lando Norris fürchtet: "Vielleicht haben wir kein Bouncing, weil wir zu wenig Abtrieb haben."

Mehr Fahrzeughöhe, mehr Luftwiderstand
Die Notlösungen reichen jedoch noch lange nicht aus, es mit den beiden Spitzenteams aufzunehmen. "Einige Teams spüren das Bouncing nur nicht so stark, weil das Strömungsfeld ihrer Autos mit mehr Bodenfreiheit funktioniert", erklärt Green. "Andere, die unseren Weg gegangen sind, haben jetzt große Probleme, weil unsere Autos massiv Rundenzeit verlieren, wenn sie aus diesem Fenster der Fahrzeughöhe fallen, für das sie konstruiert wurden."
Die angesprochenen Autos fahren teilweise bis zu 40 Millimeter höher als in den Planungen vorgesehen. Das kostet bis zu 40 Punkte Abtrieb. Umgerechnet ist das mehr als eine Sekunde. Und mehr Fahrzeughöhe und größere Flügel als Kompensation erhöhen dramatisch den Luftwiderstand. Damit erklärt sich auch warum Mercedes, McLaren und Aston Martin doppelt gestraft und auf den Geraden so langsam sind. Es ist nur ein Zufall, dass alle den Mercedes-Motor im Heck haben.
Die betroffenen Teams haben das Problem erst erkannt, als die Autos in Barcelona zum ersten Mal auf die Strecke gegangen sind. Die Liste der Kompromisse, die Mercedes, Aston Martin und McLaren in Bezug auf die Fahrzeugabstimmung eingehen, ist riesig. Jetzt versuchen sie alle im Rückwärtsgang aus der Falle herauszukommen. "Das ist keine Arbeit, die sich über Nacht erledigt, sondern ein komplexer Prozess, weil du dein Entwicklungskonzept verlassen und einen anderen Weg gehen musst", bedauert Green.

Es gibt keine schnelle Lösung
Bekäme man das Bouncing in den Griff würden die Opfer des Phänomens mit einem Schlag einen riesigen Schritt machen. Einfach nur Löcher in den Boden schneiden, um beim Aufsetzen des Autos gestaute Luft abzulassen, ist ein Schuss, der nach hinten losgehen kann. "Du kannst immer genug Löcher anbringen, um das Bouncing zu verhindern. Das ist dann aber noch langsamer als wenn du hoch fährst", verrät ein Konstrukteur.
Die Preisfrage lautet jetzt, ob es zur Lösung des Problems ausreicht, das An- und Absaugen über konstruktive Maßnahmen ohne Zeitverlust in den Griff zu bekommen, oder ob die Fraktion die gerne tief und hart fahren würde auf hoch und weich umschwenken muss. Das wäre ein Konzepteingriff und würde unter Umständen lange dauern. "Deshalb ist es eminent wichtig, das Problem des Bouncings voll und ganz zu verstehen", betont Green.
Das erfordert Geduld, auch wenn die Ergebnisse im Moment schmerzen. Der Aston-Martin-Technikchef ist optimistisch: "Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem wir zuversichtlich sind, eine Lösung zu finden. Das kostet natürlich viele Ressourcen. Es macht keinen Sinn, sich jetzt zu überlegen, wie wir das Auto das wir haben, auf anderem Weg schneller machen können. Zuerst muss dieses Problem gelöst werden. Wir wissen, dass dieses Auto viel mehr kann. Wir müssen uns nur in die Lage versetzen, dieses Potenzial abzurufen."
In unserer Technik-Galerie zeigen wir Ihnen ein Überblick über die Unterböden der Autos beim Rennen in Melbourne.