Taktikcheck GP Australien 2022: Das Albon-Wunder

Taktikcheck GP Australien 2022
Das Albon-Wunder

GP Australien 2022

Der GP Australien war eines jener Rennen, das schon am Samstag bei der Wahl der Fahrzeugabstimmung vorbestimmt wurde. Es war allen klar, dass der linke Vorderreifen der Medium-Mischung Probleme machen würde. Nach zehn Runden drohte der Reifen großflächig zu körnen. Der Fachjargon spricht dann nicht mehr von "graining", sondern von "tearing". Andererseits brauchte der harte Reifen ewig, um auf Temperatur zu kommen. Obwohl der Asphalt am Sonntag um zehn Grad wärmer war als am Samstag.

Trotz der vorhersehbaren Reifenproblematik war die Wahl des Setups ein Balanceakt. Bei kühleren Temperaturen wollte selbst der Soft-Reifen nicht sofort in sein Arbeitsfenster kommen. Da lag die Versuchung nahe, dem Startplatz zuliebe das Auto etwas aggressiver abzustimmen und darauf zu hoffen, dass die härteren Mischungen die Reifen nicht ganz so schnell verschleißen lassen.

Ferrari konnte tun und lassen, was man wollte. Das Auto zündet seine Reifen schnell an und schont sie trotzdem. Charles Leclerc hielt den linken Vorderreifen ohne Probleme bei Laune und er legte nach den Re-Starts immer schnell einen Sicherheitsabstand zwischen sich und seine Verfolger. Die Red-Bull-Piloten verloren auf den Medium-Reifen massiv Zeit. Links vorne zog es dem Reifen Gummi von der Lauffläche. Leclerc eilte Max Verstappen in kurzer Zeit um 8,3 Sekunden davon. Und im Rückspiegel von Sergio Perez wurde der Mercedes von Lewis Hamilton, den er längst abgeschüttelt glaubte, wieder gefährlich groß.

Verstappen vs. Leclerc - GP Australien 2022
Motorsport Images

Der Schlüssel war eine gute Balance

Mercedes hatte seine Autos konsequent für das Rennen abgestimmt und deshalb wie Leclerc keine Probleme mit den Reifen. Wer seine Hausaufgaben schlecht gemacht hat, verlor in der Phase des Körnens eine Sekunde pro Runde. "Wir haben uns schwer getan, unser Reifenfenster zu treffen. Deshalb war Mercedes zeitweise sogar schneller als wir", klagte Red-Bull-Sportchef Helmut Marko.

Für Ferrari-Teamchef Mattia Binotto lag der Schlüssel in einer "guten Fahrzeugbalance". Red Bull schützte nach den Erfahrungen am Freitag die falschen Reifen. Da waren noch die Hinterreifen das schwache Glied in der Kette. "Unsere Balance passte nicht für die höheren Temperaturen am Sonntag", sah Teamchef Christian Horner ein.

So wurde an der Spitze schnell für klare Verhältnisse gesorgt. Leclerc kam nur nach dem zweiten Re-Start einmal kurz in Bedrängnis. Der Ferrari-Pilot brauchte drei Kurven, dann war der Grip auf den harten Reifen wieder da. Das zeigte wie stark der Ferrari auch in dieser Disziplin war. Sergio Perez verlor beim Boxenstopp kurzfristig eine Position an Lewis Hamilton durch einen Overcut. Hamilton fuhr mit alten Medium-Reifen schneller als Perez auf frischen harten Gummis. Die wollten nur zögerlich auf Temperatur kommen.

Fernando Alonso - Alpine - GP Australien 2022 - Melbourne
xpb

Die Opfer des Safety-Cars

Im Verfolgerfeld bestimmte der Zeitpunkt des Safety-Cars über Sieg und Niederlage. Es kam nach Sebastian Vettels Unfall in der 23. Runde. Perfekt für George Russell und Lance Stroll, die sich über einen Gratis-Boxenstopp freuten. Es sprach nicht gerade für den Rennüberblick von Hamilton, dass er sich darüber wunderte, Teamkollege Russell plötzlich vor sich zu sehen. Es sollte ihm eigentlich klar sein, dass ein Boxenstopp unter Renntempo mehr Zeit kostet als einer mit einem Safety-Car an der Spitze des Feldes.

Wie Hamilton gab es viele Fahrer, die mit dem Timing der Neutralisation haderten. Auch Valtteri Bottas kam eine Runde zu früh an die Box. Sergio Perez, Pierre Gasly und Guanyu Zhou fühlten sich ebenfalls um bessere Positionen betrogen. Am härtesten aber traf das Safety-Car zwei Piloten, die antizyklisch mit harten Reifen gestartet waren. Für Fernando Alonso und Kevin Magnussen kam das Geschenk zu früh. Die Medium-Reifen hätten die Restdistanz von 32 Runden nie und nimmer durchgestanden. Sie hätten ein Safety-Car ab Runde 35 gebraucht. "Ab da war mein Rennen gelaufen", gab Alonso zu.

Alonso und Magnussen blieben auf der Strecke und konnten nur hoffen, dass es später noch einmal zu einem Zwischenfall kommt. Tatsächlich löste Max Verstappens Ausfall in der 38. Runde eine VSC-Phase aus. Man verliert durch einen Boxenstopp bei gedrosseltem Rennspeed acht Sekunden weniger als normal, doch das reichte nicht aus. Das Feld lag noch zu dicht zusammen, um davon so richtig zu profitieren. Alonso stürzte von Platz 6 auf Rang 13 ab, Magnussen von Rang 9 auf Platz 17.

Alexander Albon - Williams - GP Australien 2022 - Melbourne
Motorsport Images

DRS-Zug killt die Medium-Reifen

Damit steckten beide in einem DRS-Zug hinter der Lokomotive Lance Stroll fest. Der Kanadier hielt alle auf, wehrte sich aber mit allen Tricks gegen Pierre Gasly, weil es da noch um den letzten WM-Punkt ging. Im Verkehr wandelte sich der Gripvorteil der Medium-Reifen für Alonso und Magnussen schnell in einen Nachteil um. Pünktlich nach zehn Runden stellte sich an der Vorderachse schweres Körnen ein. Damit war die Nummer gelaufen.

Alexander Albon gehörte eigentlich auch zu dieser Gruppe. Der Thailänder war wie seine Leidensgenossen auf harten Reifen gestartet, wurde genauso vom Safety-Car betrogen und hätte auch das VSC-Präsent wahrnehmen können. Hat er aber nicht. Albon wäre auf den letzten Platz gefallen, und von dort fährt man mit einem Williams nicht mehr nach vorne.

Stattdessen ließ Williams seinen Fahrer auf der Strecke und hoffte auf ein Wunder. Albon rückte damit auf den siebten Platz und war mit seinen uralten harten Reifen auch noch richtig schnell. Esteban Ocon fand keinen Weg vorbei. Das Wunder in Form eines weiteren Safety-Cars trat aber nicht ein. Dafür half ein direkter Konkurrent im Kampf um den letzten WM-Punkt fleißig mit. Lance Stroll hielt die Partie hinter ihm so nachdrücklich auf, dass die Lücke zu Albon immer größer wurde. Nur Valtteri Bottas und Pierre Gasly konnten sich schließlich befreien.

Fernando Alonso - Alpine - GP Australien 2022 - Melbourne
xpb

Alpine war zu gierig

In der 56. Runde war Albons Vorsprung auf Zhou auf 19,4 Sekunden angewachsen. Gerade genug, um vor dem Alfa-Sauber wieder auf die Strecke zu kommen. Williams war selbst überrascht, dass es reichte. Chefingenieur Dave Robson sah den Schlüssel zum ersten Saisonpunkt für Williams im starken Reifenabbau der anderen Autos und der Schwierigkeit zu überholen. "Das gab uns eine kleine Chance, bis zur vorletzten Runde einen Vorsprung aufzubauen, der gerade so gereicht hat." Albon gab zu: "Ich bin 25 Qualifikationsrunden am Stück gefahren."

Alpine musste sich die Frage gefallen lassen, warum man mit Alonso nicht den gleichen Weg gegangen ist. "Hätten wir es so wie Williams gemacht, hätte Fernando den zehnten Platz geholt", gab Teamchef Otmar Szafnauer zu. "Aber wir hatten so viel Speed im Auto, dass wir mehr wollten. Deshalb mussten wir die VSC-Chance ergreifen. Wir hatten gehofft, dass sich Fernando mit den Medium-Reifen wieder nach vorne kämpfen kann. Dann ist er aber in dem DRS-Zug festgesteckt, der seine Reifen ruiniert hat." Was möglich gewesen wäre, zeigte Alonso in der letzten Runde. Seine Zeit von 1.20,846 Minuten war die zweitschnellste Runde des Rennens.

Alonso fand es trotz der Enttäuschung die richtige Idee, auf harten Reifen zu starten. Wahrscheinlich war es seine Entscheidung. Mercedes und McLaren sahen aus gutem Grund davon ab, die Strategie ihrer Fahrer zu splitten. "In Melbourne muss man mit einer hohen Safety-Car-Wahrscheinlichkeit rechnen. Die nimmt aber ab, je weniger Autos auf der Strecke sind. Ein frühes Safety-Car macht dir das Rennen kaputt. Außerdem riskierst du mit dem harten Reifen am Start Plätze zu verlieren. Siehe Sainz", hieß es bei Mercedes.