Eine alte Formel-1-Weisheit besagt: Auf Stadtkursen kann der Pilot noch einen echten Unterschied machen. Die Mauern stehen stets nahe an der Ideallinie. Auslaufzonen gibt es oft nur an wenigen Stellen. Es sind Präzision, Mut und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gefragt. Fehler verzeihen die engen Rennstrecken nicht.
In den letzten Jahren wurde der Rennkalender immer weiter aufgeblasen. Die Formel-1-Verantwortlichen setzten dabei vor allem auf Strecken, die über öffentliche Straßen führen. Bestand der Stadtkurs-Anteil früher gerade mal aus den drei Klassikern Montreal, Melbourne und Monaco, so sind mit Las Vegas, Jeddah, Miami, Aserbaidschan und Singapur in den letzten 15 Jahren gleich fünf neue Stadtkurse dazu gekommen.

Sergio Perez gilt eigentlich als Stadtkurs-Spezialist. 2024 konnte der Mexikaner auf öffentlichen Straßen allerdings nicht besonders glänzen.
Spezielle Reifen für Stadtkurse
Ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. Wenn Madrid in der Saison 2026 das Rennen in Barcelona ersetzt, steigt der Anteil noch weiter nach oben. Auch Pirelli ist diese Entwicklung nicht verborgen geblieben. Ab 2025 wird der Reifenhersteller einen extraweichen C6-Gummi homologieren, der auf den Stadtkursen mehr Grip bieten soll. Die Kombination aus rutschigem Asphalt und wenigen schnellen Kurven verlangt nach speziellen Mischungen.
Die Autos machen heutzutage keinen großen Unterschied mehr aus. Die Groundeffect-Generation verlangt wenig Bodenfreiheit und brettharte Federn. Früher hatte Red Bull mit seinem hoch angestellten Heck und einer weicheren Dämpfung noch Vorteile beim mechanischen Grip und der Traktion. Heute sind die Unterschiede beim Setup minimal. Dass ausgerechnet Red Bull letztes Jahr mit Problemen auf Bodenwellen und Randsteinen auf dem falschen Fuß erwischt wurde, überraschte auch die Experten.
Abgesehen von solchen speziellen Ausreißern hat die eingangs aufgestellte These aber immer noch ihre Gültigkeit. Wenn sich die Performance der Autos angleicht, bekommt das fahrerische Talent mehr Gewicht. Überholen ist auf den engen Pisten schwierig. Also sind Qualifying-Spezialisten traditionell auch Stadtkurs-Spezialisten. Hier kommt den meisten Formel-1-Fans natürlich sofort der Name von Ayrton Senna in den Sinn.

Lando Norris, Max Verstappen und Charles Leclerc waren 2024 die erfolgreichsten Fahrer auf den Stadtkursen. In Miami feierte das Trio gemeinsam auf dem Podium.
Dreikampf um die Stadtkurs-Krone
So ganz stimmt die Gleichung heute aber nicht mehr. Moderne Stadtkurse wie in Baku oder Las Vegas bieten dank langer Geraden durchaus Überholmöglichkeiten. Sergio Perez ist ein gutes Gegenbeispiel. Der Mexikaner war im Qualifying nie besonders stark. Trotzdem feierte der Mexikaner fünf seiner sechs Grand-Prix-Siege auf Stadtkursen. Zuletzt schwächelte Perez aber auch auf öffentlichen Straßen. In der speziellen Stadtkurs-Wertung der Saison 2024 (siehe Tabelle) lag der Ex-Red-Bull-Pilot nur auf Rang acht.
Ein eindeutiger "König der Straße" kristallisierte sich im Vorjahr nicht heraus. Zählt man die Resultate auf den acht Stadtkursen in Jeddah, Melbourne, Miami, Monaco, Montreal, Baku, Singapur und Las Vegas zusammen, liegen drei Fahrer vorne praktisch auf einem Niveau. Den Spitzenplatz teilen sich Max Verstappen und Charles Leclerc mit jeweils 122 Punkten. Direkt dahinter folgt Lando Norris mit 121 Zählern. Auch Oscar Piastri kommt mit 101 Punkten noch in den dreistelligen Bereich.
Ein echtes Muster lässt sich aus den Ergebnissen aber nicht herauslesen. Bei den erwähnten acht Stadtkurs-Rennen standen in der Vorsaison sechs verschiedene Piloten ganz oben auf dem Podium. Nur Verstappen und Norris konnten je zwei dieser Grands Prix gewinnen. Das Ergebnis unserer Auswertung kommt aber auch nicht komplett überraschend. Eine weitere Formel-1-Weisheit besagt: Stadtkurse sind unberechenbar!