In Zeiten von Budget-Limits und Entwicklungsrestriktionen kamen die Technikfreunde unter den Formel-1-Fans dieses Jahr nicht ganz auf ihre Kosten. Strukturelle Bauteile mussten schon vor der Saison homologiert werden. Sie blieben aus Kostengründen das ganze Jahr unverändert. Aber auch an den erlaubten Bauteilen stellten die Ingenieure die Arbeit frühzeitig ein, weil die komplett neuen Autos des Jahrgangs 2022 viele Ressourcen fressen.
Eigentlich galt der Entwicklungsstopp auch für das Boxenstopp-Equipment. So durfte Mercedes zum Beispiel nicht die Radmuttern umdesignen, obwohl sich bei Valtteri Bottas in Monaco das Rad nicht löste. Ein Mechaniker hatte den Schlagschrauber im Rennen etwas zu schief aufgesetzt, wodurch die Kanten der Mutter abgeschliffen wurden. Der Aufsatz fand keinen Halt mehr. Erst mit Spezialwerkzeug in der Fabrik ließ sich das widerspenstige Rad schließlich von der Nabe lösen.
Mit Einführung einer neuen Technik-Direktive, die nach der Sommerpause beim Rennen in Spa-Francorchamps erstmals Anwendung fand, waren dann aber doch ein paar Anpassungen am Equipment notwendig. Einige Teams hatten zuvor clevere Systeme entwickelt, die automatisch erkannten, sobald ein Radwechsel vollzogen war. Die Ampel für den Fahrer wurde ohne manuellen Input auf Grün geschaltet, sobald die Sensoren meldeten, dass alle Muttern festgezurrt sind.

Manuelle Freigabe der Mechaniker
Das ist neuerdings verboten. Jetzt müssen die Mechaniker einen Knopf am Schlagschrauber betätigen, um dem System Vollzug zu melden. Prompt gingen zuletzt einige Boxenstopps richtig in die Hose. Ob bei Max Verstappen in Monza, bei Daniel Ricciardo in Sotschi oder bei Carlos Sainz in Istanbul – immer kam das Signal zur Freigabe nicht an der Ampel an, was die Abfahrt zum Teil erheblich verzögerte.
"Es ist doch gut, dass es wieder mehr Fehler bei den Boxenstopps gibt", freute sich McLaren-Teamchef Andreas Seidl, obwohl seine Mannschaft auch schon unter den Leidtragenden war. Dem Bayer war es lange ein Dorn im Auge, dass einige Teams mit vollautomatischen Systemen Rekorde auf Kosten der Sicherheit aufgestellt hatten. "Obwohl wir viel Arbeit in unsere Boxenstopps gesteckt haben, konnten wir einfach nicht mit den anderen mithalten. Das war sehr frustrierend für die Jungs. Jetzt gelten endlich die gleichen Voraussetzungen für alle."
In den vergangenen Jahren haben die Teams viel Geld in die Ausrüstung gesteckt. Red Bull ist und war auf diesem Gebiet seit langem der Marktführer. 2019 hatten die Schrauber bei einem Radwechsel am Auto von Max Verstappen in Brasilien den bisherigen Rekord aufgestellt. Die Standzeit betrug damals lediglich 1,82 Sekunden, bis alle vier Räder ausgetauscht waren.
Diesen Rekord wird man mit den neuen Regeln wohl nicht mehr unterbieten können. Die Technische Direktive gibt vor, dass zwischen dem Abschluss des Radwechsels und der Freigabe mindestens 0,2 Sekunden liegen müssen. Trotzdem konnte sich Red Bull in Istanbul schon wieder den schnellsten Boxenstopp an die Fahnen heften. Verstappen wurde in 2,15 Sekunden abgefertigt.

Schlagschrauber vollgepackt mit Sensoren
Um das Boxen-Equipment wird ein fast so großes Geheimnis gemacht wie um die Technik der Autos. Die Schlagschrauber verschwinden nach dem Gebrauch immer sofort in schwarzen Taschen. Das soll die Hightech-Ausrüstung nicht nur vor neugierigen Blicken schützen, sondern auch vor Verschmutzung. Beim Funktionstest am Donnerstag in Istanbul konnten wir aber dennoch ein paar gute Fotos schießen, auf denen man einige interessante Details erkennen konnte.
So befinden sich vorne am Metall-Aufsatz kleine rote Punkte, die mit optischen Sensoren erfasst werden. Dadurch erkennt der Schlagschrauber, ob die notwendigen Umdrehungen erreicht sind. Dazu ist auch noch ein Drehmoment-Sensor integriert, der erkennt, ob die Radmutter richtig fest sitzt und nicht verkantet ist. Das Gehäuse ist natürlich aus Karbon gefertigt, um Gewicht zu sparen. Alles ist auf maximale Performance ausgelegt.
Viele Formel-1-Teams beziehen ihre Schlagschrauber vom italienischen Spezialisten "Dino Paoli". Für ein Exemplar der Hightech-Werkzeuge ruft der Zulieferer schnell mal eine fünfstellige Summe auf. Allerdings werden die Paoli Wheel Guns zumeist noch nachträglich von den Teams modifiziert, um die Geschwindigkeit zu erhöhen oder sie an das eigene Kommunikationssystem anzupassen.
Insgesamt acht Druckluft-Schlagschrauber liegen bei jedem Boxenstopp parat, um im Falle eines Ausfalls zum Ersatzgerät greifen zu können. Auf die Frage, wie viel die Entwicklung des Equipments kostet, bekommt man leider keine konkreten Aussagen. Ein Ingenieur grinste auf Anfrage von auto motor und sport nur: "Jeder Schlagschrauber hat den Wert eines Kleinwagens."
In der Galerie zeigen wir Ihnen das Hightech-Equipment im Detail.