Formel 1 (2022): Rückblick auf die Rekord-Saison

Rückblick auf die Formel-1-Saison 2022
Das Jahr der Rekorde

Der Krimi aus dem letzten Jahr war schwer zu überbieten. Eine Weltmeisterschaft, die erst in der letzten Runde entschieden wird, kommt nur alle Jubeljahre vor. 2022 lag der Fokus von Anfang an auf den neuen Autos. Erst dann kamen die Fahrer.

Der Ground-Effect kehrte zurück. Und mit ihm die Fehler in seiner DNA. Da der Gesamtabtrieb in einem sehr viel größeren Maß vom Venturi-Effekt unter dem Auto abhängig ist als früher, verstärken sich auch die positiven und negativen Effekte. Wer der Versuchung erlag, zu viel Anpressdruck aus dem Unterboden zu holen, wurde mit Instabilität bestraft. Und die triggert das Bouncing.

Max Verstappen - Formel 1 - GP Frankreich 2022
Red Bull

Red Bulls Masterplan

Red Bulls erfolgreichste Entwicklungsstufen in Imola und Paul Ricard brachten nicht mehr Abtrieb, sondern stabilisierten den vorhandenen auf einem höheren Niveau. Ferrari und Mercedes produzierten mehr Anpressdruck, aber nur in einem kleinen Arbeitsfenster.

In den ersten drei Rennen trennten den Ersten vom Letzten im Q1 zwischen 2,1 und 2,6 Sekunden. Das ist nicht viel bei einem völlig neuen Reglement. Am Saisonende fiel das Delta selbst auf selektiven Strecken wie Suzuka, Austin und Abu Dhabi zwischen 1,3 und 2,0 Sekunden. Trotzdem hatte man das Gefühl, dass sich das Feld weiter zersplittert hat. Red Bull allein in Front, gefolgt von vier Duellen: Mercedes gegen Ferrari, Alpine gegen McLaren, Aston Martin gegen Alfa-Sauber, Haas gegen Alpha Tauri, mit Williams in Blickweite hinten dran.

Das große Mittelfeld zerfiel in vier kleine Gruppen. Auf die Spitze fehlten weiter acht Zehntel bis eine Sekunde. Mercedes-Teamchef Toto Wolff ist der Meinung, dass die Abstände schrumpfen werden: "Der Kostendeckel und die Windkanalbeschränkungen in Abhängigkeit von der WM-Platzierung werden uns Gegner bringen, die heute noch nicht unsere Gegner sind. Ich glaube nicht, dass noch einmal acht Titel in Serie möglich sein werden."

Spannung nur bis Halbzeit

Das Titelrennen war nur bis zur Sommerpause spannend. Dann marschierte Max Verstappen auf und davon. Ferrari verlor an Boden, und Mercedes brauchte zu lange, um die Lücke zu schließen. Im zweiten Teil der Saison gab sich Red Bull nur eine Blöße. Ausgerechnet auf der Rennstrecke, die Mercedes auf dem Papier die besten Chancen gab, verwachste Red Bull mit der Fahrzeugabstimmung. Da war auch ein Max Verstappen machtlos.

Die erste Saison der neuen Zeitrechnung hatte mit Red Bull einen klaren Dominator. 17 Siege bei 22 Starts sind ein großes Wort. Das war bei großen Regelreformen meistens der Fall. 1989 beim Comeback der Saugmotoren reüssierte McLaren-Honda mit zehn Siegen in 16 Rennen. 1994 nach dem Verbot der elektronischen Fahrhilfen waren Benetton und Michael Schumacher das Maß aller Dinge. Sie gewannen die Hälfte aller Rennen.

1998 mit den schmaleren Autos und Rillenreifen startete McLaren-Mercedes am besten in die neue Ära. Neun der 16 Siege gingen nach Woking. 2009 überrumpelte Brawn-GP die Konkurrenz mit dem Doppeldiffusor-Trick als Antwort auf eine kastrierte Aerodynamik. Acht Siege in 17 Rennen reichten zum Titel. Bei der Einführung des Hybridantriebs 2014 holte Mercedes das meiste aus dem Reglement. Die Ausbeute von 16 Siegen aus 19 Rennen blamierte die Konkurrenz.

Ferrari fällt ab

All diese Jahre einte auch, dass die zweite Hälfte völlig anders verlief als die erste. Die einen rutschten ab, die anderen holten auf. In diesem Jahr zählten Red Bull, Mercedes, Alpine und Aston Martin zu den Gewinnern der zweiten elf Rennen. Red Bull holte 53 Prozent seiner Punkte und zehn seiner 17 Siege in der Rückrunde. Bei Ferrari war es umgekehrt. Das Team, das mit vier Siegen so stark in das Jahr eingestiegen war, gewann im zweiten Teil der Saison gar nichts mehr. Die Punkte verteilten sich zu 55 und 45 Prozent auf die beiden Saisonhälften.

Ähnlich starke Bewegungen waren auch im Mittelfeld zu beobachten. Nach dem GP Österreich waren McLaren und Alpine noch punktgleich. Am Ende hatte Alpine 14 Zähler mehr auf dem Konto. Trotz vier Defekten. Kontinuierliche Entwicklungsarbeit mit überschaubaren Schritten zahlten sich mehr aus als vier große Aerodynamikpakete bei McLaren. Nur Red Bull verstand sein Auto besser als Alpine. Der A522 funktionierte auf allen Strecken.

Stroll - Bottas - GP Abu Dhabi 2022 - Freitag
Wilhelm

Besser abspecken

Im Wettstreit um den sechsten Platz stand es zwischen Alfa-Sauber und Aston Martin nach 22 Rennen 55:55. Die Schweizer machten 93 Prozent ihrer Punkte dank einem Gewichtsvorteil und einer aggressiven Entwicklungspolitik am Anfang. Die Briten brauchten zwei B-Versionen, um hintenraus 67 Prozent ihres Ertrages zu erwirtschaften.

Auch Haas schwächelte am Ende. Nur drei der 37 Punkte kamen nach der Sommerpause noch dazu. Ein Upgrade war dann doch zu wenig. Teamchef Guenther Steiner gab zu: "Wir hätten besser die acht Kilogramm Übergewicht abgespeckt." Auch Alpha Tauri verzeichnete mit 27:8 Punkten ein massives Ungleichgewicht im Vergleich der beiden Saisonhälften. Fehler der Fahrer und der Strategen verschleierten, wie gut das Auto wirklich war.

Im Stile von Schumacher

Max Verstappen gewann seinen zweiten Titel im Stil von Michael Schumacher oder Lewis Hamilton in ihren besten Jahren. Mit der Rekordzahl von 454 Punkten und 15 Siegen, mit sieben Pole Positions, fünf schnellsten Runden und 3.166 Führungskilometern. Alle anderen Spitzenreiter dieser Saison führten zusammen nur 3.349 Kilometer das Rennen an. Die Fehlerquote ging gegen null.

Zu Beginn des Jahres hatte Verstappen mit Charles Leclerc noch einen gleichwertigen Gegner. Die direkten Duelle auf der Rennstrecke gingen unentschieden aus. Trotzdem legte Verstappen den Grundstein für seinen Titel bereits da: "Ferrari hat uns mit vielen Fehlern einen Gefallen getan."

Nach der Sommerpause ging die Post ab. Beim GP Belgien zerstörte der 25-jährige Niederländer die Konkurrenz. Verstappen gewann auch Rennen, die man nicht gewinnen kann. Von den Startplätzen 8, 10 oder 14. Seine beiden Niederlagen waren das Resultat von Fehlern, die seinem Team unterliefen.

In Singapur musste er seinen letzten Qualifikationsversuch abbrechen, weil das Team den Tankinhalt falsch berechnet hatte. Das warf den Champion in der Startaufstellung weit zurück. In Brasilien schafften es die Ingenieure nicht, das Untersteuern zu eliminieren, das Verstappen so hasst. Dazu wählte man die falschen Reifen.

Max Verstappen - Formel 1 - GP Abu Dhabi 2022
Red Bull

Hamilton gegen Russell

Verstappen weiß, was er wert ist. So wie es auch Senna, Schumacher und Hamilton wussten. Hollands bekanntester Exportartikel lässt sich fürstlich bezahlen und ist der heimliche Chef im Team. Keiner traut sich, Max zu widersprechen. Das sorgte für den ein oder anderen Reibungspunkt, zuletzt die verweigerte Stallregie für Sergio Perez. Red Bull grub sich viele Gruben selbst. Der Budgetdeckel-Verstoß hinterließ Spuren in der heilen Welt der Sieger.

Die Gegner machten es Verstappen auch leicht. Ferrari drehte wegen einer Motorenseuche die Leistung zurück und handelte sich instabilen Abtrieb ein im Versuch, den Topspeed-Vorteil von Red Bull zu egalisieren. Damit geriet die Fahrzeugbalance aus dem Lot. Als Folge verheizten die Ferrari im Rennen die Reifen immer dann, wenn die Piloten gezwungen waren, im Frühstadium der Laufzeit sofort Attacke zu machen. Red Bull ließ ihnen oft keine andere Option.

Mercedes suchte ein Jahr lang den Fehler. Es waren viele. Zu viel Luftwiderstand, zu wenig Federweg, zu wenig Spielraum mit dem Setup. Die Fahrer konnten sich nur selten auf ihr Sportgerät verlassen. Wenn das Auto mal zur Strecke passte, durften Lewis Hamilton und George Russell vom Sieg träumen. Erst beim vorletzten Rennen war es so weit. Es war eine gewisse Tragik im Spiel, dass der einzige Sieg an den Neuling im Team ging.

Russell gewann nach Punkten (275:240) und verlor nach Trainingsduellen (9:13). Interessanterweise sehen die Ingenieure das Kräfteverhältnis genau andersherum: "In der Qualifikation sind beide praktisch ebenbürtig. Im Rennen ist Lewis noch besser. Er holt aus einem Stint mehr raus, egal ob er 15 oder 30 Runden dauert. George muss noch lernen, sich die Reifen in der Perspektive auf die Laufzeit besser einzuteilen. Dafür kann George besser einordnen, wo er im Rennen liegt und wie die Strategie funktioniert. Das ist vielleicht ein Generationsproblem. George macht viel Simulatorarbeit. Das füttert ihn mit Informationen."

Norris die Ausnahme

Einer der Widersprüche dieser Saison zeigt sich in den Podestplätzen und Führungsrunden. Obwohl die Abstände im Feld kleiner wurden, stand mit Lando Norris nur ein Fahrer, der nicht bei den drei Topteams angestellt war, auf dem Podium. Und nur zwei Fahrer anderer Teams machten Führungsarbeit. Sebastian Vettel und Fernando Alonso verdanken es späten Boxenstopps. Das Schicksal der beiden Veteranen war eng verknüpft. Vettel tritt zurück und hofft, dass ihm die Formel 1 nie abgeht. Alonso nimmt seinen Platz bei Aston Martin ein und gibt zu, dass ihm das Leben nach der Karriere Angst macht.

Der größte Gewinner der ersten Post-Covid-Saison ist die Formel 1. Noch nie nahm sie so viel Geld ein. Noch nie waren die Tribünen so voll. Noch nie standen so viele Veranstalter, Sponsoren, VIP-Gäste und Hersteller vor der Tür und bettelten um Einlass. Der Boom lockt neue Fans an. Es ist ein jüngeres, amerikanischeres, wohlhabenderes Publikum, das nach Party verlangt und den Sport erträgt. Manchmal ist nicht mehr so ganz klar, ob man in einer Diskothek oder beim Autorennen ist. Toto Wolff warnt: "Wichtig ist, dass der Unterhaltungswert auf der Rennstrecke hoch bleibt."