Max Verstappen kennt keine Gnade. Trotzdem verlor er das Rennen in Jeddah, weil Mercedes im Renntrimm eine Spur schneller war als Red Bull. Weil die Risiko-Taktik mit einem langen Stint auf Mediumreifen nach der zweiten Unterbrechung nicht aufging. Und weil er sich mit seinen Manövern ein wenig selbst im Weg stand. Lewis Hamilton krachte in ihn hinein. Beide Autos waren beschädtigt. Der Weltmeister gewann sein achtes Saisonrennen.

Wieso fuhr Hamilton Verstappen ins Heck?
Die Stimmung war aufgeladen. Max Verstappen hatte sich bereits zwei Mal zuvor gegen Lewis Hamilton durchgeboxt. Beim ersten Neustart in der 15. Runde und beim zweiten zwei Umläufe später. In der 37. Runde griff der Weltmeister auf der Außenseite vor der ersten Kurve an. Er hatte mit dem harten Reifen den langlebigeren Gummi drauf als der mit den Mediums bestückte Red Bull. Verstappen verteidigte sich wie üblich knallhart und nahm Hamilton mit durch die Auslaufzone.
Mit diesem Manöver kam er nicht davon. Die Rennleitung kontaktierte Red Bulls Kommandostand. Die Reaktion: Man befahl seinem Piloten in Kurve 21, den Platz herzugeben, um einer möglichen Strafe von fünf Sekunden zu entgehen. Ein bisschen wie in Bahrain zum Saisonauftakt, als Verstappen den Mercedes neben der Strecke überholt hatte und von seinem Team direkt zurückgerufen wurde. Der Holländer gehorchte. Er verlangsamte und schaltete schrittweise vom achten Gang runter in den dritten. Doch sein Verfolger spielte nicht mit. "Ich habe Tempo rausgenommen. In Kurve 23 und 24 wurde ich immer langsamer. Ich habe runtergeschaltet, aber Lewis blieb einfach super nah an mir dran, und machte keine Anstalten, mich zu überholen."
Es kam zum Auffahrunfall in Kurve 26. Hamilton versuchte noch auszuweichen, traf den Red Bull aber mit der rechten Fahrzeugseite im Heck. Mercedes entschuldigte seinen Fahrer. Man habe ihm keine Info zugespielt, weil man selbst erst eine Sekunde vor dem Crash über Red Bulls Willen informiert worden war. "Ich war etwas verwirrt, weil ich nicht wusste, was abgeht. Ich bin glücklich, dass wir deshalb nicht beide rausflogen. Für mich ist es wichtig, die letzten beiden Rennen zu beenden und so Weltmeister zu werden", betonte der Titelverteidiger.
Die Schuldfrage wurde erst nach dem Rennen geklärt. Red Bull beteuerte, dass Verstappen nicht mit der Bremse herumgespielt habe, um den Mercedes auflaufen zu lassen. Sportchef Helmut Marko: "Er hat nichts falsch gemacht. Ich weiß, von der Optik sieht es ungünstig aus. Und Max ist bestimmt kein Kind von Traurigkeit. Natürlich spielt er nicht den Gentlemen. Aber ich denke, Hamilton hat sich verschätzt."
Die Stewards hörten sich beide Fahrer an, checkten Videos und studierten die Telemetrie. Dort stellten sie fest, dass Verstappen plötzlich mit einem Bremsdruck von 69 bar verzögert habe. Die Entschleunigung lag bei 2,4g. Verstappen sei hauptsächlich schuld, weshalb er zehn Sekunden auf die Rennzeit addiert bekommt. Trotzdem hält er den zweiten Platz. Sie merkten auch an, dass beide Fahrer nicht vor dem Messpunkt für das DRS vor Kurve 27 vorne sein wollten. Sonst hätte der Gegner auf der Zielgerade vom Klappflügel profitiert. Bei Verstappen stimmt das, weil Red Bull ihn angewiesen hatte, seine Position "strategisch günstig abzutreten". Doch Hamilton wusste ja gar nicht, warum sein Vordermann langsam machte. Es hätte ja auch ein technisches Problem vorliegen können. Irgendwie komisch, diese Begründung der Schiedsrichter.

Fährt Verstappen schmutzig?
Der 24-Jährige fährt auf jeden Fall ohne Rücksicht auf Verluste. Das hat man bereits mehrfach in dieser Saison gesehen. Er steckt nicht zurück. Zieht auf der Außenseite mit. Sticht innen gnadenlos rein. Gerät neben die Streckenbegrenzungen. Verteidigt sich mit so späten Bremsmanövern, dass er in die Auslaufzone muss, und Hamilton gleich mit – wie in Runde 37.
Dafür brummten ihm die Stewards noch während des Rennens fünf Sekunden auf, weil Verstappen seinen Platz mit zu großer Verspätung abtrat. "Das war ein bisschen wie in Brasilien. Er kam mit Schwung von hinten an. Wir bremsen spät. Ich habe einen heiklen Moment, als mir das Heck ausbricht. Wir verpassen beide die Kurve. Ich finde die Strafe nicht gerechtfertigt. Ohnehin gehe ich mit vielen Entscheidungen nicht d‘accord. Das ist ein Trend, der mir nicht schmeckt. So bin ich nicht aufgewachsen."
Hamilton entgegnet. "Für mich ist es klar, dass Rennen zwischen den weißen Linien stattfinden. Alle anderen verstehen das auch. Nur einer nicht." Der Weltmeister war es jeweils, der zurücksteckte. Verstappen fährt oftmals mit dem Messer zwischen den Zählen, wie in einem Kart, so als gehöre ihm jede Kurve. Wie früher ein Ayrton Senna. Da hofft einer stets auf den besten Ausgang für sich.
Toto Wolff kann die harte Gangart teilweise nachvollziehen. "Max kämpft um seine erste Weltmeisterschaft. Das war sehr hart. Bestimmt auf der roten Linie." Red Bull dagegen zeigt mit dem Finger auf Hamilton. "Er hat Max in Runde 43 abgedrängt." In der Tat geriet der Herausforderer bei dem Manöver von Hamilton neben die Bahn. Der Weltmeister wollte sicherstellen, dass ihn Verstappen nicht auf der Zielgerade zurücküberholte. Er wollte einen Konter wie in der Runde zuvor im Keim ersticken.

Was passierte in der zweiten Unterbrechung?
So ein Gespräch hat man selten gehört. FIA-Rennleiter Michael Masi sprach zu Red Bull-Sportchef Jonathan Wheatley und bot ihm einen Deal an. Es ging um den ersten Restart. Da hatte sich Verstappen neben der Bahn an Hamilton vorbeigemogelt. Alpine-Fahrer Esteban Ocon schlüpfte ebenfalls durch. Masis Angebot: Verstappen sollte freiwillig auf den zweiten Platz zurück. Später korrigierte er sich. Gemeint sei der dritte Platz gewesen, weil Ocon ja noch vor Hamilton war. Verstappen jedenfalls sollte hinter seinen Rivalen.
Red Bull stimmte dem Handel zu, weil Masi den Fall sonst an die Sportkommissare weitergeleitet hätte. "Dann hätte es eine Strafe gegeben", glaubt Horner. Der dritte Startplatz war der bessere Deal. Red Bull ging wieder ins Risiko, bestückte den einzig verbliebenen RB16B mit den Mediumreifen. Der Vorteil gegenüber den harten Reifen half Verstappen in Kombination mit dem knallharten Manöver, direkt den Spitzenplatz zurückzuerobern. Auf dem gelbmarkierten Pirelli konnte er deutlich später bremsen.
Viele wunderten sich, warum überhaupt zwischen Rennleitung und FIA verhandelt wurde. Das ist aber nichts Ungewöhnliches. "Ich kann den Teams keine Anweisungen geben, was sie zu tun haben. Ich kann ihnen aber ein Angebot machen, und ihnen meine Perspektive erklären. Das passierte in Abstimmung mit den Stewards. So hatte Red Bull die Möglichkeit zu reagieren, bevor es weiterging. Das war eine normale Diskussion, die nicht zum ersten Mal vorkam", erzählte Masi.

Wir konnte Hamilton die schnellste Runde fahren?
Es geht mit Punktgleichstand ins Finale, weil Hamilton im 47. Umlauf den Extra-Punkt für die schnellste Runde einsackte – trotz beschädigtem Frontflügel. "Das hat ihn drei Zehntel gekostet", rechnen die Ingenieure vor. "Hamilton stand wie so oft das Glück zur Seite. Erst hält der Frontflügel nach Kontakt mit Ocon, dann ist er nach dem Auffahrunfall mit Max nicht arg mitgenommen", beklagte Red Bull-Teamchef Horner.
Verstappen war mit dem verletzten Auto kein Gegner. Sein Diffusor war nach dem Schubser des Mercedes zerstört. Außerdem waren seine Mediumreifen zu ausgelutscht. "Der Treffer von Hamilton hat dem linken Hinterreifen außerdem zwei tiefe Schnitte zugeführt", erklärte Marko. Einen Stopp zum Reifenwechsel auf Softs konnte Red Bull nicht einlegen, weil Valtteri Bottas und Esteban Ocon sonst durchgerutscht wären. Red Bull wollte die 18 Punkte nach Hause bringen. Kein anderer Fahrer aus den Top 10 konnte einen "Gratis-Stopp" ohne Platzverlust einlegen.
Die Verfolger balgten sich um Platz drei. Mit dem besseren Ende für den Finnen, der Ocon mit DRS und trotz völlig abgefahrenem rechten Vorderreifen vor dem Zielstrich abfing. Der Franzose hatte sich in der Zielkurve innen verteidigt. Das brachte ihn für die folgende Gerade bis zum Zielstrich in eine schlechtere Position. Bottas nahm mehr Schwung mit und raste auf der rechten Fahrzeugseite vorbei. So wie er das Mal bei Lance Stroll einst in Baku gemacht hat. "Das ist schwer zu schlucken. Bis kurz vor Schluss war ich Dritter. Aber wir kämpfen nicht in der gleichen Liga wie Mercedes. Wir können mit erhobenen Hauptes die Strecke verlassen. Wir werden für die Spitzenteams zu einer Gefahr werden, sobald unser Auto auf Topniveau ist", äußerte sich der Viertplatzierte.