Pirelli-Idee: Super-Intermediate-Reifen bei Regen

Pirelli bringt „Super-Intermediate“ ins Spiel
:
Werden die Regenreifen abgeschafft?

Ferrari - Full-Wet-Reifen - GP Belgien 2023 © Wilhelm 24 Bilder

Weil bei viel Wasser auf der Strecke aus Sicherheitsgründen nicht gefahren wird, ist der Full-Wet-Regenreifen aktuell nutzlos. Pirelli bringt nun die Idee eines neuen "Super-Intermediate"-Reifen ins Spiel, um die Show bei leichter Nässe zu verbessern. Wir haben die Details.

Kompletten Artikel anzeigen

Normalerweise sind die Teams angehalten, keine lautstarke Kritik an Pirelli zu äußern. Doch nach dem Sprint am Samstag bezeichneten gleich mehrere Fahrer die Full-Wet-Reifen als nutzlos. Zu Beginn des Mini-Rennens präsentierte sich der Asphalt so nass, dass die Rennleitung das Feld aus Sicherheitsgründen fünf Runden lang mit den blau-markierten Gummis hinter dem Safety-Car herzuckeln ließ.

Bei Startfreigabe war die Strecke dann so weit abgetrocknet, dass die ersten Piloten noch vor dem Zielstrich an die Box gingen, um sich Intermediates abzuholen. "Wir müssen bei Pirelli nachfragen, warum die Full-Wets nicht die Anforderungen erfüllen", ließ Mercedes-Teamchef Toto Wolff verlauten und unterstützte damit die Klagen der Fahrer.

Pirelli versuchte sich gar nicht zu verstecken. Sportchef Mario Isola gab zu, dass sich der neue Full-Wet-Reifen, der erst mit dem Rennen in Monaco eingeführt wurde und einen deutlichen Fortschritt gegenüber dem alten Modell darstellen soll, in Spa als unbrauchbar erwies. Normalerweise sollte der sogenannte Crossover-Punkt von Intermediate zum echten Regenreifen bei 115 Prozent der Rundenzeit im Trockenen liegen. Auf der Ardennen-Achterbahn lag er aber bei 120 Prozent – also ein gutes Stück zu hoch.

"Das Problem ist, dass wir Regenreifen nur mit künstlicher Bewässerung in Paul Ricard und in Fiorano testen können", verteidigte sich Isola. "Diese Strecken sind vom Charakter ganz anders als Highspeed-Kurse wie Spa oder Silverstone, die den Reifen deutlich mehr beanspruchen." Pirelli könne auch nicht einfach woanders hingehen und auf Regen warten. "Wenn es einen Schauer gibt, ändern sich die Bedingungen ständig. Und wenn die Strecke nur einen Tick trockener oder nasser ist, verfälscht das sofort die Daten."

© Wilhelm

Bei regennasser Piste wird in Zukunft nicht mehr gefahren - egal ob es Full-Wet-Reifen gibt oder nicht.

Keine Lösung für Regen-Problem in Sicht

Es ist allerdings fraglich, ob ein widerstandsfähiger Full-Wet-Reifen, der näher am Intermediate dran ist, das Problem behoben hätte. Das große Problem der aktuellen Autos sind nämlich die Sichtverhältnisse. Die breiten Reifen und der große Diffusor saugen das Wasser förmlich aus dem Asphalt nach oben und sorgen für extreme Gischt.

Sobald erste kleine Pfützen auf der Piste stehen, sind die Piloten im Blindflug unterwegs. Früher hat die Rennleitung das Risiko mehr oder weniger toleriert. Nach einigen schweren Unfällen in den Junior-Serien setzte aber nach und nach ein Umdenken ein. Die neue Ansage lautet: Bei Regen wird einfach gar nicht mehr gefahren.

Weil das natürlich zu Frust bei den Fans an der Strecke und an den TV-Geräten führt, arbeitet die FIA fieberhaft an Lösungen für das Problem. Doch ein erster Test mit sogenannten Spray Guards in Silverstone war nicht besonders erfolgreich. Die neu entwickelten Radabdeckungen, die an einem Mercedes W14 montiert wurden, haben die Gischt kaum reduzieren können.

Auch der Einsatz eines sogenannten Drainage-Asphalts mit offenen Poren in der Oberfläche, in denen das Wasser versickern kann, wurde bereits diskutiert. Laut Isola ist das aber auch nicht der goldene Schuss: "Ich habe schon mit den Jungs gesprochen, die für den Bau der Strecken verantwortlich sind. Leider ist dieser Belag für unsere Zwecke nicht einsetzbar. Die Belastung durch die Reibung der Reifen würde die Oberfläche beschädigen."

© xpb

Der neue Super-Intermediate soll die besten Eigenschaften des Full-Wets und des alten Intermediates verbinden. Er muss aber nicht ganz so viel Wasser verdrängen können.

Wird der Full-Wet-Reifen abgeschafft?

Der Italiener stimmte deshalb der Kritik der Fahrer zu, dass der Full-Wet-Reifen in seiner aktuellen Form unbrauchbar ist, weil bei stehendem Wasser sowieso nicht gefahren wird. Und wenn, dann nur hinter dem Safety-Car.

Der Reifenpapst will den Teams deshalb einen neuen Vorschlag unterbreiten: "Unserer Meinung nach wäre es die beste Lösung, wenn wir einen neuen Intermediate-Reifen mit einem größeren Arbeitsfenster entwickeln – man könnte ihn Super-Intermediate oder Intermediate Plus nennen. Dieser Intermediate sollte mit mehr Wasser umgehen können als der aktuelle. Er muss einen größeren Bereich abdecken – von zu feucht für Slicks bis zu dem Punkt, an dem es wegen zu viel Nässe zu gefährlich wird."

Wenn es statt zwei verschiedener Regenreifen künftig nur noch ein Produkt geben würde, könnte das auch der Nachhaltigkeit dienen. Aktuell liefert Pirelli vier Sätze Intermediates und drei Sätze Full-Wets an jeden Fahrer, von denen selbst an feuchten Wochenenden regelmäßig viele Sets ungenutzt zurückgegeben werden. Gibt es nur noch eine Sorte Regenreifen, könnte man die Anzahl der Sätze möglicherweise reduzieren.

Die neue Idee des "Intermediate Plus" soll den Teams und Fahrern schon bald zur Diskussion vorgelegt werden. Ob eine schnelle Einigung erzielt werden kann, ist aber fraglich. Die Teams wollen neue Produkte in der Regel erst einmal testen. Und selbst wenn die Rahmenbedingungen für eine Einführung zügig geschaffen werden, benötigt Pirelli eine gewisse Vorlaufzeit.

"Wir haben bereits eine Vorstellung, wie das Profil eines solchen Reifens aussehen könnte, weil wir diese Idee schon in der Vergangenheit diskutiert haben. Aber wir müssen natürlich erst einmal die Backformen produzieren. Das braucht mehrere Monate. Die ersten Testfahrten könnten also frühestens im Winter starten. Weil die Produktion für Übersee-Rennen sehr früh beginnen muss, ist ein Einsatz direkt zum Saisonstart 2024 ausgeschlossen", gibt Isola zu bedenken.

Dieser Artikel kann Links zu Anbietern enthalten, von denen auto motor und sport eine Provision erhalten kann (sog. „Affiliate-Links“). Weiterführende Informationen hier.

Meist gelesen 1 Ferrari nur vierte Kraft in Jeddah Leclerc frustriert, Hamilton nirgendwo 2 Opel Mokka im Test So schlug sich der SUV über (fast) 100.000 km 3 Marode A45 unter Beobachtung Talbrücke Brunsbecke darf nicht fallen 4 Renault Clio, Toyota Yaris & MG3 Moderne Hybrid-Kleinwagen im Test 5 Hurricane gegen M-Power Stellantis- und BMW-Biturbo-Sechszylinder im Duell