Zuerst einmal die Zahlen. Das Miami International Autodrome ist die 77. Formel 1-Rennstrecke der Geschichte, die elfte in den USA. Miami war immer die Traum-Destination der Formel 1, doch es hat bis zum Jahr 2022 gedauert, bis der Traum endlich verwirklicht werden konnte. Bernie Ecclestone spottet aus der Ferne, dass der Kurs in Miami eine aufgeblasene Kopie des Parkplatz-Grand Prix in Las Vegas Anfang der 80er Jahre ist.
Im Prinzip richtig, aber Miami gab sich mehr Mühe, es nicht wie einen Parkplatz aussehen zu lassen. Innerhalb von Kurve 7 und 8 gibt es einen künstlichen See, in dem tatsächlich einige Boote ankern. Diese Luxusyachten sind aber nicht auf dem Wasserweg an ihren Bestimmungsort gekommen. Sie wurden auf Achse dorthin gefahren.
In Kurve 12 ist vor der Tribüne ein Sandstrand mit Liegestühlen und Sonnenschirmen drapiert. Was die Absicht der Veranstalter erklärt. Yachthafen und Badestrand sollen Miamis Nähe zum Meer zeigen, auch wenn das Meer zehn Kilometer weit weg liegt und auch keine Wasserstraße zu der Rennstrecke führt.

Hard Rock Stadium als Mittelpunkt
Über solche Kleinigkeiten sieht der Formel-1-Fan hinweg. Uns geht es vor allem um die Rennstrecke. Zusammen mit meinem Kollegen Andreas Haupt ging es schon Mittwochabend direkt auf Tuchfühlung mit dem neuen Grand-Prix-Kurs, nachdem wir uns zuvor vom Flughafen 20 Kilometer durch den Stau Richtung Norden gekämpft haben.
Schon zwei Kilometer vor der Rennstrecke sind die Umrisse des riesigen Hard Rock Stadiums erkennbar, in den normalerweise American Football residiert. Zugegebenermaßen keine Sportart, die mich irgendwie begeistern könnte. Deshalb hält sich auch mein Respekt vor der Arena in Grenzen. Sie ist wie alles in Amerika ziemlich groß.
Es dauert eine Weile, bis man sich in dem Labyrinth rund um das Stadion zurechtgefunden hat und endlich im Fahrerlager und in der Boxengasse ankommt. Doch dann kann unser Fußmarsch über die 5,412 Kilometer lange Strecke beginnen. Noch ahnen wir nicht, dass er für uns zehn Kilometer dauern wird. Bevor wir losmarschieren gehen wir im Kopf noch einmal die wichtigsten Daten durch. 19 Kurven, zwölf links, sieben rechts. An zwei Stellen erreichen die Autos 325 km/h. Es gibt drei DRS-Stellen und sieben harte Bremspunkte, drei davon mit Verzögerungen jenseits von 4g.

Kurve 4 bis 8: Eine Kopie von Jeddah
Die 20 Meter breite Zielgerade misst ungefähr 700 Meter. Von der Pole Position bis zum ersten Bremspunkt sind es gerade mal 200 Meter. Wer sich dort verbremst kommt am Ende der siebenlagigen Tecpro-Barriere vermutlich nie an. Die Fahrer haben 75 Meter Platz ihre Autos wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Nach Kurve 1, die Mercedes in seiner Simulation mit 95 km/h angibt, biegt die Strecke erst links ab bevor sie in einen langen Rechtsbogen übergeht, der scheinbar nie aufhört und an die Fahrer keine Herausforderung stellt. In Kurve 3 wird von 145 km/h bis auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt. Interessant ist an dieser Sektion nur, dass die Boxenausfahrt mitten in Kurve 2 mündet.
In diesem Bereich scheint es übrigens nur VIP-Tribünen zu geben. Wegen der hohen Nachfrage musste der Paddock Club deutlich ausgebaut werden. Wir hören schon: Dieser Grand Prix von Miami ist ein gesellschaftliches Muss, ein Ort von Sehen und Gesehenwerden.
Mit Kurve 4 beginnt eine Passage, die an Jeddah erinnert. Eine Serie von Kurven, die fast Vollgas gehen. In Kurve 4 werden mit 5,1g die höchsten Fliehkräfte erwartet. Kurve 5 und 6 sind von der gleichen Qualität. Im Gegensatz zu Jeddah hat man an den Außenseiten mehr Platz, bis man in der Mauer landet. Die Auslaufzonen sind gefühlt so groß wie ein Football Pitch.

Ein bisschen Motodrom im langsamen Teil
Die Kombination der Kurven 6, 7 und 8 ist fahrerisch eine der interessantesten auf dieser Strecke. Die Linkskurve macht mit jeder Biegung mehr zu. Die Fahrer lenken mit 205 km/h in den lange Bogen ein und kommen mit 120 km/h wieder raus. Eine gute Traktion ist dort lebenswichtig, weil bis Kurve 11 nun 1,4 Kilometer Vollgas folgen. Im Innenraum dieses Abschnitts ist der besagte künstliche See. Dort stehen auch die Tribünen der Teams. McLaren, Mercedes und Ferrari bieten dort ihren Sponsorengästen jede Menge Action.
Kollege Haupt und ich befinden uns gerade in Kurve 7, da kommt uns Haas-Teammanager Peter Crolla entgegen. Er warnt uns, dass die Strecke ab Kurve 10 gesperrt ist. Der einzige Weg, die komplette Runde zu fotografieren sei, wieder umzukehren und dann von Start und Ziel gegen die Rennrichtung zu marschieren.
Wir laufen noch bis Kurve 8, drehen dann um und sehen gerade noch wie Charles Leclerc und drei Ferrari-Mitarbeiter in Rennrichtung weiterfahren. Für eine Warnung ist es zu spät. Wir wissen, dass wir sie später wiedertreffen werden. Tatsächlich passiert das auf der langen Geraden. Leclercs Gesichtsausdruck lässt ahnen, dass er sich wundert, warum er die zwei verrückten Deutschen schon wieder sieht, nur diesmal in verkehrter Richtung.
Nach dem Rückmarsch, den wir zum Glück etwas abkürzen können, begeben wir uns bis Kurve 11. Das ist der Bremspunkt der ersten Vollgaspassage. Bis hierhin ist die Strecke richtig schnell. Aber jetzt ändert sie komplett ihren Charakter. Was folgt ist ein stadionähnlicher Teil mit vielen engen Kurven und einer Tribünenarena, die an das das Motodrom in Hockenheim erinnert. Wer hier sitzt, sieht viel und er sieht gut.

Wo ist denn hier Barcelona?
In den sechs engen Kurven, die laut Mercedes-Protokoll zwischen 80 und 140 km/h schnell sind, wachsen auch die Randsteine in ihrer Höhe. Bis jetzt waren sie ziemlich flach. Doch in der Bergauf-Schikane lauert innen sogar ein sogenannter "Sausage-Kerb". Damit keiner auf den Gedanken kommt, die Strecke ein bisschen abzukürzen.
Hier findet sich der einzige nennenswerte Höhenunterschied. Die Strecke steigt an und mündet blind über eine Kuppe in der Links-Rechts-Kombination bevor sie bis Kurve 16 wieder leicht abfällt. Wer wollte, könnte übrigens vor Kurve 14 nach rechts auf den Highway Richtung South Beach abbiegen. Natürlich haben die Veranstalter die Autobahnauffahrt mit einer Mauer abgetrennt.
Sie werden sich bestimmt jetzt spätestens fragen, wie wir zu Beginn eine Ähnlichkeit zu Barcelona erkennen konnten. Die Übereinstimmung liegt darin, dass in den ersten zwei Dritteln des Miami Autodromes hauptsächlich schnelle Kurven vorkommen, die den Reifen zusetzen und ihre Temperatur ansteigen lassen. Am Ende der Runde wartet dann wie auf dem Circuit de Catalunya der enge, technische Teil auf die Piloten.
Gerade da, wo man den Grip vom Reifen am meisten braucht, könnte er zu heiß sein. In Miami ist das Reifenmanagement nach Meinung der Mercedes-Ingenieure allerdings etwas einfacher als in Barcelona, weil es zwischen den Kurven 8 und 11 knappe eineinhalb Kilometer geradeaus geht. Zeit, die Reifen abzukühlen.

Eine ungewöhnliche Gerade
Eine Gerade ist in unseren Streckenbeschreibungen eigentlich immer nur eine Randnotiz wert. Die auf dem Kurs von Miami nicht. Dabei spielt ihre Länge von 1,28 Kilometern gar nicht mal die Hauptrolle. In Baku geht es noch 500 Meter länger geradeaus. Viel spektakulärer ist der erste Teil der Gerade, der unter einem Autobahndreieck verläuft.
Wenn die Fahrer aus Kurve 16 in die Gerade einbiegen, haben sie das Gefühl in einen Tunnel zu fahren. Auf eine Länge von 400 Metern ist die Straße nur elf Meter breit. Links und rechts säumen Mauern und FIA-Sicherheitszäune die Strecke ein. Da ist kein Platz ein Auto abzustellen. Wer hier ausrollt, provoziert automatisch eine Safety-Car-Phase.
Erst dort, wo die Highway-Abfahrt in die Strecke mündet, weitet sich das Asphaltband auf 15 Meter. Wer gegen die Rennrichtung schaut, sieht in luftiger Höhe eine Brücke direkt über der Rennstrecke. Sie wird von Freitag bis Sonntag wohl gesperrt werden. Die Gefahr ist zu groß, dass einer den Abgang macht und auf die Strecke stürzt.

Es gibt jedoch einen Teil der dort verlaufenden Autobahn, von dem aus man einen guten Blick auf die Strecke hat und der geöffnet bleiben wird. Mal schauen, wie viele Auffahrunfälle es da geben wird, wenn unten gerade die Formel 1 fährt und oben der Verkehr rollt. Der ein oder andere Schaulustige wird bestimmt für ein Verkehrschaos sorgen.
Auf die Gerade folgt eine 70 km/h langsame Haarnadel. Aus Fahrersicht fährt man auf eine 40 Meter lange Auslaufzone zu, die in Farben des Seriensponsors Aramco lackiert ist. Das könnte im Cockpit für reichlich Verwirrung sorgen, weil man schon beim Laufen den Eindruck hat, dass die Strecke dort abrupt aufhört.
Dann noch zwei schnelle Kurven, und wir haben es wieder geschafft, immer das Hard Rock Stadium im Blick. Links und rechts ist die Passage von gewaltigen Tribünen eingerahmt. Die meisten Tickets haben über 1.000 Dollar gekostet. Aber wie schon gesagt. Dieser erste Grand Prix von Miami ist ein Ereignis, von dem man hinterher sagen will: Ich war dabei.