Seitenkasten-Trick von Mercedes: Gegner nervös

Mercedes-Upgrade sorgt für Nervosität
Eine unkopierbare Idee

Der umgebaute Mercedes W13 war am ersten Testtag in Bahrain kaum durch die Boxengasse zum gemeinsamen Gruppenfoto gerollt, da läuteten bei der Konkurrenz schon die Alarmglocken. Red Bull und Ferrari äußerten reflexartig Zweifel, ob dieses Auto mit seinen fast nicht vorhandenen Seitenkästen dem Geist des Reglements entspricht. Eine Sonderregelung erlaubt der FIA, sämtliche Elemente zu verbieten, die das große Ziel dieser Regelreform beschädigen könnten.

Das Ziel ist es, dem hinterherfahrenden Auto saubere Luft zu bieten, damit wieder mehr Zweikämpfe möglich sind. Erste Duellkonstellationen bei den Testfahrten haben gezeigt, dass der Plan offenbar aufgegangen ist. Trotzdem bleiben die Regelhüter wach. Sie wissen, dass die Ingenieure alles tun werden, um die verwirbelte Luft, die vom Frontflügel und den Vorderrädern kommt, wieder nach außen abzudrängen. "Das Outwash-Prinzip macht die Autos schneller", bedauert ein Ingenieur. Das aber könnte auch dazu führen, dass hinter den Autos wieder ein Wirbelsturm entsteht.

George Russell - Mercedes - Formel 1 - Test - Bahrain - 11. März 2022
Motorsport Images

Extreme Seitenkasten-Interpretation

Der zweite Aufguss des neuen Mercedes scheint auf den ersten Blick solche Outwash-Elemente in sich zu tragen. Er steht damit nicht allein da, doch keiner hat das Thema Seitenkästen so extrem interpretiert wie der Konstrukteurs-Weltmeister. Aus der Spiegelhalterung wurde ein Flügel. Drei der vertikalen Leitbleche auf dem Flügel weisen nach außen.

Die Mini-Seitenkästen haben keinen Unterschnitt mehr, sondern genau das Gegenteil. Die schräg nach außen fallenden Wände lenken die Strömung zwischen den Achsen offensichtlich weg vom Auto. Red Bull macht es mit seinem jüngsten Upgrade ansatzweise auch so. Die erste der beiden Rampen im Seitenkasten neigt sich schräg nach außen.

Noch sind die Rundenzeiten der Silberpfeile kein Grund, nervös zu werden. Die Konkurrenz weiß jedoch nur zu gut, dass Mercedes nur sein Bouncing-Problem lösen muss. Dann könnte die Post abgehen. Ferrari erkennt an seinen GPS-Messungen, dass der Mercedes in den langsamen Kurven jetzt schon der Star ist. Wenn er mal die Bodenfreiheit absenken kann, ohne über die Geraden zu hüpfen und dann auch noch die Motorleistung hochdreht, könnte das für die Gegner zum Problem werden.

Schlank ist gut für langsame Kurven

Dieser Mercedes ist unkopierbar. Jedenfalls in dieser Saison. Da baut der Kostendeckel einen Riegel vor. Red Bull, Ferrari, McLaren und Co. müssten schon strukturelle Dinge an ihren Autos ändern und die Verpackung der Innereien komplett umstellen, um dem Konzept von Mercedes zu folgen. Das könnte nämlich die Vorteile der schlanken Seitenkästen mit denen der breiten verbinden.

Mercedes, McLaren und Williams sind konstruktiv betrachtet eine Familie. Kurze Seitenkästen und eine schlanke Taille im Heck helfen in langsamen Kurven, weil mit dieser Anordnung die Oberseite des Diffusors, der untere Heckflügel und die vielen kleinen Finnen an den hinteren Bremsbelüftungen besser angeströmt werden. "Genau dieses Konzept war unser erster Entwurf. Wir hatten das letzten Juli im Windkanal, und haben da schon festgestellt, dass es Vorteile in langsamen Kurven bringt. Als Gesamtpaket haben wir aber in breiten Seitenkästen ein größeres Potenzial gesehen", berichtet Haas-Teamchef Guenther Steiner.

Carlos Sainz - Ferrari - F1-Test Bahrain - Tag 1 - 10. März 2022
xpb

Ferrari hat das Copyright auf den Trick

Mercedes könnte mit seiner Seitenkasten-Lösung das Ei des Kolumbus gefunden haben. Wenn das Bouncing mal aus der Welt geschaffen ist, sollte das Auto auch schnelle Kurven gut können. Auch weil man mit der gewählten Anordnung in der Lage ist, viel schlechte Luft nach außen zu schicken. Und weil kurze Seitenkästen auch beim neuen Reglement von Vorteil sind. "Ein Schlüsselelement der Autos sind die vorderen Tunnel unter dem Boden. Wer dort mehr Freiheiten hat, kann mehr Abtrieb generieren", erzählt uns ein Ingenieur.

Dafür hat Mercedes einen Trick ausgepackt, dessen Copyright eigentlich bei Ferrari liegt. Ferrari verkürzte 2017 die Seitenkästen dadurch, dass man einen deltaförmigen Flügel vor die Kühleinlässe setzte, der die vom Reglement geforderte Geometrie an dieser Stelle erfüllt, in Wirklichkeit aber gar kein Seitenkasten ist. Bei der B-Version des W13 ist es genauso. Die obere Crashstruktur ist quasi die obere Kante des Seitenkastens. Es fehlt nur der untere Teil.

Kühleinlässe zurückversetzt

Stattdessen sind die Kühleinlässe um geschätzt 30 Zentimeter zurückversetzt. Die Verkleidung fällt von vorne gesehen konvex statt konkav zum Boden hin ab. Selbst der Laie sieht, wohin die Luft mit dieser Form gelenkt wird. Der massive Flügel, der Crashstruktur und Spiegelhalterung in einem ist, gibt zusätzlichen Abtrieb. Genau dieses Teil stand bei Red Bull und Ferrari im Fokus. Während Christian Horner zwischen nicht legal und legal herumeierte, macht sein Kollege Mattia Binotto klar, was er davon hält: "Wenn wir da die Tür öffnen, werden die Spiegel bald aussehen wie Raumschiffe."

Mit anderen Worten: Der Ferrari-Capo sieht Gesprächsbedarf und erwartet klare Aussagen darüber, was man darf und was nicht. Mercedes ließ das Geschrei kalt. Die FIA hatte vorab die CAD-Daten begutachtet und sie für legal befunden. Basta. Auch Pat Symonds, der Architekt des neuen Reglements, konnte auf den ersten Blick nichts Verwerfliches an der Konstruktion feststellen: "Für mich sieht es in Ordnung aus. Für ein endgültiges Urteil will ich mich aber erst mit meinem Kollegen Jason Somerville besprechen."