Sie haben in unserem letzten Interview gesagt, AlphaTauri müsse 2021 den nächsten Schritt als Team gehen. Haben Sie das Ziel erreicht?
Gasly: Ich bin extrem zufrieden mit den Fortschritten. Wir hatten 2020 schon eine tolle Saison und haben 2021 noch mehr von uns gezeigt. In absoluten Rennergebnissen fehlt natürlich der Sieg. Aber bei der Konstanz haben wir zugelegt. Wir waren in der Qualifikation 16-mal in den Top 6 (v. d. Redaktion angepasst). Ich bin da, glaube ich, der Drittbeste nach Max und Lewis. Mit unserem Auto haben wir wirklich das meiste herausgeholt. An Sonntagen hatten wir ein paar sehr gute Rennen. Für mich gibt es viel Positives mitzunehmen. Letztes Jahr haben wir ein starkes Team geformt. Die Automatismen waren da aber noch etwas neu. Dieses Jahr haben wir ein gutes Produkt auf die Räder gestellt – und in den meisten Fällen die Performance aus dem Auto gequetscht.
Wo waren die Stärken und Schwächen des Autos?
Gasly: Das ist schwer zu sagen. Weil es letztendlich von der Strecke und den Bedingungen abhängt. Ich würde sagen, dass uns beim Gesamtabtrieb noch etwas fehlt – verglichen mit den Gegnern in unserem Umfeld. Ferrari und McLaren haben größere Budgets. Da fehlt uns etwas. Traktion ist ein Bereich, wo wir normalerweise straucheln. Als Gesamtpaket arbeitet das Auto aber gut. Ich sehe, wie hart das Team für den Erfolg arbeitet. Was wir mit unserem Budget machen. Unsere Effizienz ist ziemlich beeindruckend.
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Die Alpine-Fahrer haben behauptet, Alpha Tauri hätte das drittbeste Auto, wenn das Team alles hinbekomme?
Gasly: Nein. Das ist einfach zu sagen, wenn wir ihnen einheizen. Aber wenn ich mir die Leistungen von McLaren mit Lando und Daniel anschaue, ihre Konstanz, und Ferrari dazunehme, ist das kein wirklich objektives Urteil. Ferrari und McLaren sind klar schneller als wir. Zwischen uns und Alpine geht es eng zu. Das zeigt die Meisterschaft.
Mit zwei Pierre Gaslys wäre Alpha Tauri locker Fünfter. Erwarten Sie 2022 mehr Gegenwehr von Yuki Tsunoda.
Gasly: Ich denke schon. Das Level in der Formel 1, speziell im Mittelfeld, ist extrem hoch. Daniel und Lando im McLaren. Charles und Carlos im Ferrari. Fernando als zweifacher Weltmeister zusammen mit Esteban für Alpine. Sebastian als vierfacher Weltmeister im Aston Martin und Lance. Da ist es hart, gegen diese Jungs konstant über eine Saison hinweg zu bestehen. Das war sicher keine einfache Saison für einen Newcomer. Gleichzeitig hat er in den letzten Rennen aber eine ansprechende Pace gezeigt. Ich glaube an ihn. Er hat das Talent und den Speed, um hier zu sein. Viele Leute denken und sprechen gut über ihn. Ein zweites Jahr in der Formel 1 mit mehr Erfahrung ist immer einfacher.
110 Punkte: Sie sind einer der Fahrer der Saison. Gibt es irgendwas zu mäkeln?
Gasly: Es gibt überall ein wenig zu verbessern. Als Fahrer sehe ich es so: Wir können uns mit einem normalen Geschäft vergleichen. Da gibt es verschiedene Abteilungen. Das Marketing, Kommunikation, Management, Produktion. In all diesen Bereichen kannst du immer mehr herausholen. Ob es die Vorbereitung, die Erholung, die Ernährung, die Planung, das Maximieren deiner Energie während der Rennwochenenden ist. Die Art, wie man mit den Ingenieuren zusammenarbeitet. Die Konstanz. Keine Fehler zu machen. Die richtigen Entscheidungen zu treffen bei jedem Start. Das Reifenmanagement. Ich bin mit meiner generellen Leistung sehr zufrieden.
Sind Sie besser denn je?
Gasly: Sie erleben den besten Pierre Gasly jemals in der Formel 1. Ich habe auch das Gefühl, dass ich mit mehr Erfahrung ein besseres Verständnis von allem bekomme, was um mich herum passiert. Ich habe die Dinge viel mehr unter Kontrolle. Ich weiß genau, was ich vom Auto will – und vom Team. Ich glaube, dass das Jahr für Jahr immer besser wird.
Sie waren enttäuscht, nicht für den zweiten Red Bull nominiert zu werden. Sergio Pérez erhielt wieder den Zuschlag. Sind Sie über AlphaTauri hinausgewachsen?
Gasly: Nein. Mein Verlangen, mein Wille, um Weltmeisterschaften zu kämpfen, ist sehr stark. Ich bin in der Formel 1, um an der Spitze zu kämpfen. Das motiviert mich, mich ständig zu verbessern. Ich werde nicht lügen. Es ist schwer, eine solche Saison abzuliefern. Und wenn ich mich dann mit denen vergleiche, die die Möglichkeit auf einen Red-Bull-Sitz bekommen haben, dann enttäuscht das. Auf Basis der Zahlen und Ergebnisse habe ich eine bessere Performance abgeliefert als jeder andere in diesem Team.
Am Ende des Tages erhalte ich dafür aber nicht die Anerkennung und Belohnung. Das ist schwer zu schlucken. Das enttäuscht mich natürlich. Ich weiß, was ich in diesem Sport erreichen will. Ich will an der Spitze kämpfen. Das hat sich nicht geändert. Im nächsten Jahr wird es noch nicht so weit sein. Das heißt aber nicht, wenn es 2022 nicht so weit ist, dass es 2023 nicht passiert. Ich gebe weiter Vollgas und glaube an mich. Ich hoffe, dass der AlphaTauri trotz des Reglement-Umbruchs genauso gut sein wird wie in dieser Saison.
Haben Sie Angst, in einem Mittelfeld-Team zu versauern und es nicht mehr zu einem Topteam zu schaffen? Red Bull ist dicht. Ferrari auch. Mercedes ebenso.
Gasly: Nein, weil sich der Markt ändern wird. Bei vielen Fahrern laufen die Verträge 2023 aus. Da werden sich Möglichkeiten auftun. In der Formel 1 geht alles sehr schnell. Ich mache mir nicht allzu viele Sorgen. Es kommen Chancen. Das weiß ich. Wir werden sehen, wann es der richtige Zeitpunkt ist. Momentan konzentriere ich mich auf jedes Rennwochenende, auf meine Performance. Ich gebe mein Bestes. Das Beste, was ich machen kann, ist, Ergebnisse wie in Mexiko zu wiederholen. Fünfter in der Qualifikation zu werden – hinter den Mercedes und Red Bull in einem Mittelfeldauto. Mit einem schnelleren Auto würde ich sicher besser abschneiden. Das ist das Einzige, was zählt.
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Ihr Vertrag gilt noch bis einschließlich 2023, oder?
Gasly: Der Vertrag läuft bis 2023. Im Moment ist der Plan für ein Cockpit 2024. Das werden wir sehen. Wie gesagt, die Lage in der Formel 1 ändert sich schnell. Ich weiß nicht, was Red Bull mit mir vorhat. Ob sie weitermachen wollen oder mich vorher freigeben. Darüber sprechen wir später.
Wohin kann Alpha Tauri 2022 springen?
Gasly: In einer perfekten Welt können wir bestenfalls Zweiter werden. Red Bull wird immer vor uns sein. Aber nur, wenn jeder es mit dem neuen Auto verbockt. Das kommt in meinen wildesten Träumen vor, ist aber nicht realistisch. Wir sehen es als Chance. Jeder startet mit einem weißen Blatt Papier. Dabei kann man etwas finden, was andere noch nicht getan haben. Das kann potenziell den Unterschied ausmachen. Auf der anderen Seite kannst du auch in die falsche Richtung laufen mit dem Design. Das wäre eine böse Überraschung. Ich bereite mich deshalb auf alle möglichen Szenarien vor. Vielleicht wird es besser als diese Saison laufen und wir stehen dort, wo McLaren aktuell ist. Vielleicht bleiben wir, wo wir sind. Vielleicht kämpfen wir aber darum, überhaupt in die Top 10 zu kommen. Oder noch schlimmer. Man muss realistisch bleiben. Nächstes Jahr könnte schon hart werden. Wir kommen aus einem Jahr, in dem wir regelmäßig in den Top 6 oder Top 10 waren. Da musst du im Hinterkopf haben, dass es schlechter laufen könnte. Wir wollen aber positiv denken.
Kann der Fahrer mit den neuen Autos einen größeren Unterschied machen?
Gasly: Ich glaube, es wird ähnlich wie aktuell sein. Das Verhältnis Auto zu Fahrer wird das gleiche bleiben. Außer das Feld rückt tatsächlich bei der allgemeinen Performance näher zusammen. Das würden wir begrüßen. Wenn zwischen dem ersten und langsamsten Auto vielleicht eine halbe Sekunde liegt. Dann wird der Fahrer eine größere Rolle einnehmen. Momentan sind Mercedes und Red Bull teils eine Sekunde schneller. Sie überrunden die meisten. Sogar den sechst- und fünftplatzierten Fahrer im Rennen. Da spielt es keine Rolle, wer im Auto sitzt. Sie sind einfach so weit weg. Hoffentlich bringt uns das neue Regelwerk zusammen.
Das neue Auto kennen Sie nur aus dem Simulator. Wie können Sie helfen?
Gasly: Im Simulator arbeitest du mit Annahmen. Was die Ingenieure glauben, wie das Auto sein wird. Wie es sich verhalten wird. Es liegt dann am Fahrer, eine klare Rückmeldung zu geben. Wo sind die größten Limitationen? Wo könnte am meisten Rundenzeit stecken? Das gibt den Ingenieuren eine Richtung, worauf sie sich stürzen können. Aber wir müssen abwarten, bis das Auto mal in echt fährt. Bis dahin ist es schwer abzuschätzen. Ganz anders als in den letzten Jahren. Es wird ein großer Faktor sein, wie schnell man sich ab dem ersten Test bewegt. Wie schnell man lernt und sich verbessert.
Freuen Sie sich auf 2022 oder haben Sie mehr Angst?
Gasly: Ich bin aufgeregt, weil es eine Chance ist. Für das Team und mich. Gleichzeitig wäre es blauäugig zu sagen, es sei nur eine Chance für uns. Jedem kann ein großer Schritt vorwärts gelingen. Das ist mir bewusst. Ich weiß, dass alles passieren kann. Im Guten wie im Schlechten. Was ich bisher vom Auto sehe, stimmt mich positiv. Ich freue mich auf die Testfahrten in Barcelona. Hoffentlich gelingt uns eine Überraschung wie damals BrawnGP.