Ein neues Reglement sollte den Sport besser machen. Was hat funktioniert, was nicht, wo muss korrigiert werden?
Symonds: Im Großen und Ganzen bin ich mit dem Ergebnis zufrieden. Wir haben uns Ziele gesetzt. Das wichtigste war, die Qualität der Zweikämpfe zu verbessern, in dem wir es möglich machen, näher am Vordermann dranzubleiben. Es war ein zweistufiger Plan mit zwei unterschiedlichen Aufgabenstellungen, die zu einem Ziel führen sollten. Erstens: Wie reduzieren wir die Turbulenzen hinter dem Auto? Zweitens: Wie bauen wir Autos, die mit turbulenter Luft besser klarkommen?
Wie wurde das gelöst?
Symonds: Wir haben die Aufgabe hauptsächlich in Form von CFD-Simulationen gelöst. Sie können sich vorstellen, dass bei zwei kompletten Autos unglaublich große Datenmengen und eine komplexe Software involviert sind. Das ist natürlich mit Risiken verbunden. CFD ist immer noch nicht so gut wie die Wirklichkeit. Es gibt Einschränkungen. Meine Mannschaft von fünf Aerodynamikern hat vorher in der Formel 1 gearbeitet, und sie waren damit vertraut und haben im Lauf ihrer Arbeit einige dieser Limitationen minimiert. Dieser Teil des Plans funktionierte richtig gut.
Doch dann war da noch die große Sorge, dass wir mit unserer kleinen Truppe gegen 1.000 Ingenieure von zehn Teams antreten mussten. Welche Chancen hatten wir, mit unserem Reglement alles abzudecken, ohne dass die Teams Schlupflöcher finden, die unsere Ziele verwässern?

Trotzdem hat es offenbar geklappt.
Symonds: Covid hat uns da ein bisschen geholfen, weil die Einführung der neuen Autos um ein Jahr verschoben wurde, was uns mehr Zeit gab. Die haben wir genutzt, um unsere Perspektive zu ändern. Wir dachten jetzt nicht mehr wie Regelmacher, sondern wie ein Team und stellten uns die Frage, was wir machen würden, wenn wir das schnellstmögliche Auto bauen müssten. Dabei haben wir uns ein Abtriebsniveau gesetzt, von dem wir dachten, dass auch die Teams damit für den Anfang zufrieden wären. Verbunden mit der Sorge, dass wir ein bisschen unter der Realität liegen würden.
Im Rückblick haben wir es genau getroffen. Das Ergebnis hat uns überrascht. Auch wenn wir das schnellstmögliche Auto bauen, verfälschen wir unsere zwei Ziele nicht. Wir haben uns dabei immer mit den Teams ausgetauscht, und sie haben wunderbar mitgearbeitet, wenn wir hier und da eine kleine Korrektur an den Regeln angebracht haben. Nur mit einer Sache waren sie nicht einverstanden. Wir wollten den Unterboden an den Kanten etwas anheben, weil wir Angst hatten, dass die Autos sehr tief fahren und dabei die Kanten des Bodens zu oft beschädigen würden. Es war mehr eine Sache, um Kosten zu sparen. Ironischerweise passiert das jetzt im nächsten Jahr aus anderen Gründen. Die FIA will damit das Bouncing eindämmen.
Haben die Autos erfüllt, was sie erfüllen sollten?
Symonds: Nach den ersten Rennen haben wir eine Zwischenbilanz gezogen. Wir konnten an den Autos nichts erkennen, was unser Konzept beschädigt hätte. Ein paar Dinge waren sicher radikaler als wir dachten. Zum Beispiel der Mercedes. Wir haben das Konzept später im CFD getestet und begutachtet, und ich muss sagen, dass man dem Mercedes mit seiner Form besser folgen kann als den anderen Autos. Der Aston-Martin-Heckflügel war auch etwas, was wir nicht erwartet haben. In dieser Idee sehe ich ein Risiko, dass es den falschen Weg gehen könnte, wenn die Idee weiterverfolgt und bis ans Limit getrieben wird. Ich erwarte, dass die FIA das für 2023 verbieten wird.
Welche Rolle spielen die Reifen?
Symonds: Wir haben Pirelli einige Aufgaben gestellt. Der Niederquerschnittsreifen war nicht nur Kosmetik. Unser Plan war, Einfluss auf die Aerodynamik zu nehmen. Die Verwirbelungen rund um die Reifen sind am schwersten unter Kontrolle zu bringen, weil sich der Reifen verformt und rotiert. Das ist 75 Prozent des Spiels. Unsere Meinung war, dass die Topteams mit ihren großen Designmannschaften da gegenüber den kleinen einen großen Vorteil haben würden. Deshalb wollten wir einen steiferen Reifen, um das Walken zu reduzieren.
Größere Reifen bedeuten größere Bremsen, die länger halten. Das war auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Es war für Pirelli ein Neubeginn. Meiner Meinung nach haben wir über viele Jahre von Pirelli die falschen Dinge verlangt. Jetzt haben wir Reifen, die aerodynamisch nicht mehr so kritisch sind und die weniger überhitzen, wenn das Auto rutscht. Da müssen wir Pirelli loben. Sie haben einen guten Job gemacht. Und der 2023er Reifen wird noch besser sein. Sie wollen den Vorderreifen etwas stärker machen, der im Moment im Vergleich zu hinten noch etwas schwach dasteht.
Ein Ziel war, das Feld näher zusammenzubringen. Das hat nicht funktioniert.
Symonds: Da muss ich Ihnen Recht geben. Wir haben unterschätzt, dass einige Teams immer noch große Aerodynamik-Abteilungen haben, die mehr aus den neuen Regeln herausgeholt haben. Wir sind aber guter Hoffnung, dass sich die Lücke von vorne nach hinten schnell verkleinern wird. Das konnte man in einem kleinen Ausmaß schon während der Saison beobachten.
In welchem Ausmaß hat das Bouncing zu den großen Unterschieden beigetragen? Es war ein Problem, das fast keiner auf dem Schirm hatte.
Symonds: Ich muss zugeben, wir hatten es auch nicht auf dem Schirm. Wir hätten es aber haben sollen. Wir hatten die Möglichkeiten es vorab zu entdecken, weil wir mit dynamischen Simulationen gearbeitet haben. Die haben wir zum Beispiel dazu verwendet, zu prüfen, was passiert, wenn sich ein Auto dreht und Unterluft bekommt. Also den Typ Unfall, den Mark Webber einst in Valencia hatte. Dazu braucht es eine spezielle Software, die wir auch dazu verwenden hätten können, das Bouncing zu antizipieren und verstehen.
Auch ich hätte es wissen müssen, weil ich noch an Groundeffect-Autos gearbeitet hatte. Ich hatte es schlicht vergessen. Ohne Zweifel hat das Bouncing die Dinge verändert. Die Teams mussten erst einmal dieses Problem lösen, bevor sie an ihrer Aerodynamik arbeiten konnten. Bouncing ist kein rein aerodynamisches Problem. Da spielt auch viel Mechanik, zum Beispiel die Federungssteifigkeit mit hinein.

Hat die FIA richtig reagiert?
Symonds: Ich glaube, sie haben nach Baku ein bisschen überreagiert. In Baku haben wir die schlimmsten Auswirkungen erlebt, weil ein Team etwas probiert hat, das nicht funktionierte und dann ziemlich lautstark an die Öffentlichkeit gegangen ist. Wenn man nicht eingegriffen hätte, wären die Problem auch gelöst worden. Die meisten Teams haben mittlerweile verstanden, wie sie das Bouncing kontrollieren.
Ist der Sport besser geworden?
Symonds: Ich glaube schon. Wir betreiben viel Analyse, um das herauszufinden. Während des Rennens messen wir, wie gut die Fahrer in einem 200 Meter Bereich einem anderen Auto folgen können und wir schauen uns an, wie gut die Chance eines Überholmanövers war. Wir teilen das in verschiedene Klassen ein. Eine 25-prozentige Chance oder eine 75-prozentige Chance. Das hat sich deutlich verbessert. Es geht nicht so sehr um die reinen Überholzahlen, die auf einigen Strecken sogar unter Vorjahr lagen. Es geht um die Phase davor. Der Zweikampf ist die Schlacht, die den Zuschauer mitreißt. Das Überholmanöver ist nur das Ende der Schlacht.
Was ist der Gradmesser?
Symonds: Wir gleichen unsere statistischen Werte ab mit unser Fan-Analyse. Denen muss es ja gefallen, nicht uns. Und da haben wir wirklich positive Rückmeldungen, auch im Vergleich zum letzten Jahr, obwohl wir da einige unsere Analyse-Tools noch nicht hatten. Bei den Rennen, bei denen weniger überholt wurde, gab es trotzdem mehr Zweikämpfe. Ursprünglich haben wir versucht, aus der Körpersprache der Zuschauer herauszulesen, was ihnen gefällt und was nicht. Weil das ein ehrliches Statement ist. Es ist aber nicht so einfach, da verlässliche Ergebnisse zu bekommen. Deshalb haben wir uns ein interessantes neues Werkzeug einfallen lassen.
Wir bewerten die Stimmung auf den Social Media-Kanälen. Das geht so: Unsere Software bewertet die Kommentare der Fans und leitet daraus eine Stimmung ab. Es funktioniert wirklich ausgezeichnet, wenn man herausfinden will, ob die Leute begeistert, gelangweilt oder verärgert sind. Vorher haben wir die Aufgabe von der anderen Seite angepackt. Wir haben uns einen Zweikampf herausgesucht und die Kommentare dazu analysiert. Jetzt lesen wir aus den Kommentaren eine Stimmungslage heraus und schauen dann, zu welcher Szene im Rennen sie passen.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben vor dem Start zum GP Österreich eine Art Wutstimmung registriert und uns gefragt, was im Himmel da passiert sein mag. Das Rennen hatte ja noch nicht einmal angefangen. Bei der Analyse haben wir festgestellt, dass sich die Leute über Leuchtraketen aufgeregt haben.
Hat es Sie überrascht, dass die Autos so unterschiedlich aussehen?
Symonds: Im Feld war schon Skepsis zu spüren. Adrian Newey fürchtete anfangs, dass alle Autos gleich aussehen würden, weil die Regeln so restriktiv sind. Das waren sie aber gar nicht. Erinnern Sie sich an die Skizzen, die wir 2019 in Austin bei der Präsentation der neuen Regeln gezeigt haben? Ohne die Formen konstruktiv auszuarbeiten, wollten wir einfach nur demonstrieren, dass es in verschiedenen Bereichen des Autos sehr wohl Freiheiten gibt. Es freut uns, dass wir da Recht hatten. Einige kamen sogar unseren Skizzen sehr nahe. Ich würde sagen, dass die Autos heute unterschiedlicher sind als davor, auch wenn wahrscheinlich immer noch viele ihre Mühe hätten, alle Autos zu erkennen, wenn sie schwarz lackiert wären.

Sie haben den Ingenieuren in einigen Bereichen des Auto überraschend Freiheiten gegeben, in anderen nicht. War es irgendwo zu viel und anderswo zu wenig?
Symonds: Ich glaube, wir haben die Balance gut getroffen. Wir haben viel Arbeit investiert, um die kritischen Bereiche der Autos zu verstehen und zu lokalisieren und haben die sehr strikt reglementiert. Die Aerodynamiker geben mittlerweile zu, dass ihre Arbeit trotzdem interessant geblieben ist. Sie arbeiten immer noch, nur in anderen Bereichen als zuvor. Unter dem Kostendeckel sind ihnen ohnehin die Hände gebunden. Ich würde jetzt nichts ändern. Wir haben ja noch drei Jahre mit diesen Regeln Zeit. Da wird es bestimmt noch die ein oder andere Anpassungen geben.
Die Formel 1 ist zu klassischen Aufhängungen zurückgekehrt. War das ein guter Schritt, speziell auch unter dem Gesichtspunkt des Bouncings?
Symonds: Das ist für mich ein wunder Punkt. Ich habe damals der Rückkehr klassischer Aufhängungen nicht zugestimmt. Gasfedern wären ideal für diese Autos. Das Problem mit diesen Autos ist, dass sie in langsamen Kurven nicht besonders gut sind. Erstens bremst das Gewicht, und dann sind sie viel zu hart gefedert. Am Gewicht können wir nicht viel ändern. Mit Gasfedern könnten wir bei niedrigen Geschwindigkeiten viel weicher fahren. Ich würde 2026 wieder zu einer anderen Art von Aufhängung zurückkehren. Obwohl ich ein Fan aktiver Aufhängungen bin, würde es eine passive Aufhängung mit hydraulisch kontrollierten Gasfedern auch tun. Es davor schon einzuführen, wäre schwierig wegen des Kostenfaktors.
Die neuen Autos sind zwischen einem und drei Zehntel pro Kilometer langsamer als die 2021er Autos. Wann werden die alten Rundenzeiten wieder erreicht?
Symonds: Das kann schon nächstes Jahr passieren. Jetzt wissen die Ingenieure, welche Faktoren das Auto langsam machen. Die werden bis nächstes Jahr ausgebaut. Das große Bild wird bleiben. Diese Autos werden immer schneller in schnellen Kurven sein und langsamer in langsamen.
Was passiert als nächstes?
Symonds: Es gibt noch viel zu tun. Auch wenn wir unsere Aero-Arbeit der FIA übergeben haben. Unsere Ingenieure arbeiten jetzt mit der FIA zusammen, weil wir so viel in unserem Projekt gelernt haben. Wir wollen 2026 einen weiteren Schritt machen. Der Start war gut, wenn jetzt nicht in diesem Winter einem etwas einfällt, an das wir nicht gedacht haben. Zu jedem Problem gibt es eine beste Lösung, und wenn es nur der beste Kompromiss ist. Oder die zwei besten Kompromisse. Es kann sein, dass einer eine Aerodynamiklösung findet, die überlegen auf ebenen Strecken ist und ein anderer eine, die mit welligen Strecken besser klarkommt. Gut in schnellen und schlecht in langsamen Kurven oder umgekehrt. Eine neue Lösung muss sich aber nicht notwendigerweise gegen unsere Ziele richten.
Was ist die große Herausforderung für 2026?
Symonds: In meinem Alter zu überleben. Aber im Ernst. Die große Herausforderung ist es, die Teams nicht zu überfordern. Das große Thema wird 2026 Energiemanagement sein. Deshalb müssen wir die Aerodynamik nachbessern. Da müssen wir Vernunft walten lassen. Wir tun uns leicht, etwas zu fordern, aber die Teams müssen es auch bauen. Einige Dinge müssen aber getan werden. Wir haben den Antrieb so definiert, dass es sehr schwierig wird, die Energie zu managen. Das zwingt uns in ein Chassis mit wenig Luftwiderstand. Deshalb brauchen wir eine Art aktiver Aerodynamik und kleinere Autos. Da haben wir uns einige Ziele gesetzt.
Der Radstand wird kürzer werden. Wir wollten es schon dieses Jahr, aber es kam nur zu einer kleinen Reduktion, weil die Teams Sorge hatten, alles im Auto unterzubringen. Jetzt wissen wir, dass es auch mit einem kürzeren und schmaleren Auto geht. Wir müssen diese Entscheidungen schnell treffen. Die Ingenieure arbeiten schon mit Volldampf an ihren Motoren. Bevor sie den Turbolader an der falschen Stelle platzieren, brauchen wir einen Plan, wie die Fahrzeugdimensionen in Zukunft aussehen sollen. Damit man dann auch noch die Hinterradaufhängung einbauen kann.
Könnten Sie unter dem Kostendeckel nicht einfach sagen: Egal, was wir vorschlagen, es trifft alle gleich?
Symonds: Das ist die Sorge, die wir haben. Wir wollen das Feld enger zusammenbringen, und da könnte uns der Budgetdeckel ein Schnippchen schlagen. Weil die Gefahr groß ist, dass einer den Job besser macht als alle anderen und die dann nicht reagieren können, weil das Geld begrenzt ist.