Wie ist das erste Groundeffect-Auto von Lotus entstanden?
Andretti: Die Idee entstand aus meinen Erfahrungen mit dem March 701 von 1970 heraus. Seine Seitenkästen sahen wie Flügel aus. Bei einem Test in Kyalami haben wir die Seitenkästen abgenommen, um den Luftwiderstand zu verringern. Plötzlich wurde das Auto vorne leicht. Was uns gezeigt hat, dass die Seitenkästen ganz offensichtlich Abtrieb produziert haben. Wir mussten vorne mit viel mehr Flügel fahren, um das zu kompensieren, was aber unseren Plan konterkarierte, weil wir ja Luftwiderstand einsparen wollten.
Am Ende der Saison 1976 trafen wir uns in der Lotus-Fabrik in Hethel, um über das nächstjährige Auto zu sprechen. Die Ingenieure wollten von mir wissen, was ich gerne hätte. Ich sagte ihnen, dass du als Fahrer am liebsten Abtrieb hättest, ohne einen Preis dafür zu bezahlen. Sie haben gelacht und gesagt: Ja, das will jeder. Dann habe ich ihnen die Geschichte von den Seitenkästen von March erzählt. Sie produzierten offensichtlich Anpressdruck, ohne die Stirnfläche des Autos zu vergrößern. Wir haben das dann durchdiskutiert.
Die Seitenkästen des March waren relativ kurz. Colin Chapman kam mit dem Vorschlag, dass wir einen großen Seitenkasten über die gesamte Länge des Radstands bauen und ihn zur Straße hin versiegeln, um die Luft auf das Flügelprofil zu leiten. Das erste Groundeffect-Auto war also nicht eine geniale Idee, sondern die Evolution einer Idee, die March schon viele Jahre vorher hatte. Davon hat natürlich nie jemand was gesagt. Sie wollten ja March keine Lorbeeren flechten.
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Wie ging es weiter?
Andretti: Bei einem Test in Hockenheim fiel mir in der schnellen Ostkurve auf, dass ich mitten in der Kurve plötzlich viel mehr Abtrieb gewonnen habe. Ich habe Schritt für Schritt das Tempo erhöht, und es wurde immer mehr. Da war uns klar, dass der Effekt umso besser wirken würde, je näher die Kanten der Seitenkästen an der Straße sein würden. Colin hat einen Mechaniker losgeschickt, um in einem Geschäft Plastik-Streifen zu kaufen. Die haben wir unten an die Seitenteile montiert. Als ich rausging war ich auf einen Schlag um eineinhalb Sekunden schneller.
Leider waren die Plastikschürzen nach zwei Runden abgeschliffen. Deshalb haben wir zwei, drei Rennen lang stattdessen Bürsten verwendet, die zur Straßen hin abgedichtet haben. Das war natürlich nicht so effizient. Da es damals noch keine Windkanäle mit rollendem Boden gab, haben wir uns mit Fotos beholfen. Colin hat David Phipps beauftragt, damit er in den Kurven Fotos macht, um zu sehen, welchen Weg die Luft in Kurvenfahrt nehmen könnte. Daraus entwickelte sich die Idee der beweglichen Schürzen. Das hat den Saugeffekt konstant gehalten. Später dann kamen die ersten Windkanäle mit rollendem Boden auf und wir haben ein 1:25 Modell reingestellt. Da haben wir endgültig begriffen, was sich da abspielte.
So entstand der Lotus 79?
Andretti: Ja, genau. Wir haben dann noch den Diffusor und die Bodenfreiheit für dieses Prinzip optimiert. Die beiden Kanäle in den Seitenkästen wurden konsequent freigeschaffen, um eine saubere Strömung durch das ganze Auto zu bekommen. Die hinteren Bremsen zum Beispiel waren zwar schon innen montiert, aber sie standen beim Lotus 78 noch zu sehr im Luftstrom. Beim 79er Lotus hat Colin die Bremssättel direkt am Getriebegehäuse montiert.
Das hat aber ein anderes Problem geschaffen. Die Hitze vom Getriebe hat auf die Bremsen abgestrahlt und die Bremsflüssigkeit zum Kochen gebracht. Speziell zu Beginn der Rennen, als noch viel Benzin an Bord war und deshalb das Auto schwer war. Ich bekam ständig Bremsprobleme. Beim Debüt des Lotus 79 in Belgien musste ich die ganze Zeit pumpen, um Bremswirkung zu haben. Ich habe trotzdem noch gewonnen. Colin wollte nichts davon hören. Auf dem Ohr war er taub. Hauptsache, wir hatten das schnellste Auto.
Um wie viel besser war der Lotus 79 als sein Vorgänger?
Andretti: Ehrlich gesagt, war mir der Lotus 78 fast lieber. Der hatte wenigstens funktionierende Bremsen. Der Lotus 79 war aerodynamisch aufgeräumter. Das Auto hat mehr Abtrieb produziert. Deshalb konnten wir kleinere Flügel verwenden. Deshalb war er auch auf den Geraden schneller. Das war 1977 unsere große Schwäche.
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Haben diese Groundeffect-Autos einen anderen Fahrstil verlangt?
Andretti: Wir mussten uns anpassen. Es war aber nicht schwieriger. Wie bei jedem Auto musste die Balance passen. Wenn die stimmt, fährst du so schnell, wie es das Auto hergibt. Ich garantiere, dass die neuen Autos 2022 sich für die Fahrer zu Beginn anders anfühlen werden. Aber sonst bleibt alles beim Alten. Sie werden versuchen, das Auto für sich optimal auszubalancieren.
Bei einem Groundeffect-Auto kommt der Abtrieb mit der Geschwindigkeit. Wie schwer war es, Vertrauen darin zu fassen, dass das Auto auch wirklich auf der Straße kleben bleibt?
Andretti: Du musst einfach daran glauben. Je mehr Abtrieb dir ein Auto gibt, umso schwieriger wird es zu korrigieren, wenn der Anpressdruck mal abreißt. Es ist nichts, was sich langsam ankündigt. Speziell in schnellen Kurven fährst du entweder wie auf Schienen, oder du fliegst ab. Wenn das Auto einmal nicht richtig angeströmt wird, bricht der ganze Abtrieb abrupt zusammen.
Kann das Konzept der 2022er Autos funktionieren?
Andretti: Soweit ich das verstehe, sollen diese Autos weniger Turbulenzen nach hinten abstrahlen, damit man besser hintereinander herfahren kann. Die Idee ist, mehr Abtrieb unter dem Auto zu generieren, um die Flächen oberhalb zu verringern, die schlechte Luft produzieren. Deshalb konnte ich nicht verstehen, dass die Formel 1 vor ein paar Jahren auf breitere Autos und Flügel gegangen ist. Das hat die Turbulenzen vergrößert und sie waren noch mehr vom DRS abhängig. Jetzt gehen sie richtigerweise den anderen Weg. Ich traue mich aber nicht vorherzusagen, ob das ausreicht, dass die Fahrer in den Kurven wieder dicht am Vordermann dranbleiben können. Wenn es um 30 Prozent besser wäre, wäre es schon ein Fortschritt.
Wie war das damals, als alle Teams auf Groundeffect-Autos umgeschwenkt sind?
Andretti: Es war sicher einfacher. Der Groundeffect, der unter dem Auto erzeugt wurde, hat keine extra Turbulenzen produziert.
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Warum hat das Folge-Modell, der Lotus 80, nicht mehr funktioniert?
Andretti: Je mehr Abtrieb wir gefunden haben, umso mehr kamen wir mit der Verwindungssteifigkeit des Chassis an unsere Grenzen. Ich habe Colin immer wieder gesagt, dass wir ein steiferes Auto brauchen, um auch härtere Federn zu fahren. Ich habe ihm sogar ein Beispiel gegeben. In Jarama gab es hohe Randsteine. Wer schnell sein wollte, musste da drüber.
Der Lotus 80 war ein gutes Auto, so lange man den Randsteinen fernblieb. Wenn ich aber drüber gefahren bin, hat sich das ganze Chassis verdreht. Und wenn wir an einer Stelle das Auto etwas steifer ausgelegt hatten, ist das Problem am anderen Ende wieder aufgetreten. Unser Diffusor war so leicht, dass er sich bei hohen Drücken verbogen hat. Der Lotus 80 hätte nur funktioniert, wenn das ganze Konzept auf mehr Steifigkeit ausgelegt worden wäre.
Chapman wollte nichts davon hören, weil ein steiferes Chassis mehr Gewicht bedeutet hätte. Und das wollte er unter allen Umständen vermeiden. Deshalb haben uns die anderen mit ihren Kopien überholt. Williams hat 1979 in der Beziehung den besten Job gemacht. Und sie hatten das schnellste Auto.
Eine der größten Sorge der Fahrer war, dass die Schürzen steckenblieben. Ist Ihnen das auch passiert?
Andretti: Ja, ein paar Mal. Man musste unheimlich vorsichtig auf den Randsteinen sein. Zu viel drüber, und die Schürzen waren ab. Schlecht für mich. Ich bin immer gerne drüber gefahren. Ich musste meine Linie ändern. Das war ein kleines Opfer.
Die Groundeffect-Autos waren bis 1982 erlaubt. Wie haben sie sich über die Jahre verändert?
Andretti: Der Abtrieb hat Dimensionen erreicht, dass es fast lächerlich war. 1982 wurden die Profile der Frontflügel sogar umgedreht. Die Ingenieure haben den Diffusor immer steiler gestellt, um die Geschwindigkeit der Luft unter dem Auto zu beschleunigen. Dadurch wanderte das Druckzentrum immer weiter nach vorne. Deshalb musste man mit dem Frontflügel Auftrieb erzeugen, um gegenzusteuern. Der Anpressdruck war so gewaltig, dass jeder Unfall ein großer Unfall war. Ein bisschen über der Grenze, und du hast keine Chance mehr gehabt, zu korrigieren. Es fühlte sich irgendwie nicht mehr richtig an. Vertrauen war alles. Deshalb musste man am Ende den Diffusor etwas zurücktrimmen, um die Autos wieder fahrbarer zu machen. So war der Fahrer nicht mehr nur Passagier.