Red-Bull-Sportchef Helmut Marko im F1-Interview

Interview mit Helmut Marko
„Verstehe den Wechsel bei Ferrari nicht“

Haben Sie alle Titelfeiern gut überstanden?

Marko: Bei der Feier in Milton Keynes war ich nicht dabei. Da gab es einen großen Showrun mit allem, was wir im Motorsport haben. Vom Rallyeauto bis zur Formel 1. Red Bull ist für Milton Keynes das sportliche Aushängeschild. Anschließend hatten wir in London unsere Weihnachtsfeier. Die zählt nicht in den Budgetdeckel. Nach unseren Berechnungen sind wir dieses Jahr deutlich drunter, aber das wollen wir früh genug bestätigt haben, damit wir nicht wieder wie im Vorjahr solche Überraschungen erleben.

Wo steht der WM-Titel 2022 in Ihrer persönlichen Rangliste aller sechs Meisterschaften für Red Bull?

Marko: Der erste Titel 2010 war sicher der aufregendste in dem Sinne, dass er im letzten Rennen entschieden wurde und drei Kandidaten zur Auswahl standen. Und weil es für uns und Vettel der erste war, hat der emotional einen besonderen Platz verdient. Die Meisterschaft 2021, die in einem echten Krimi gegen Hamilton gewonnen wurde, war von der psychischen Belastung her die härteste. Diesmal hat die Souveränität, mit der Verstappen einige seiner Siege, speziell den von Spa, herausgefahren hat, einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Wie erklären Sie sich die krasse Überlegenheit nach Punkten? Auf der Rennstrecke war Ferrari ja ziemlich nah dran.

Marko: Wir haben sicher profitiert von Ferraris strategischen Fehlern, vom Pech auf ihrer Seite, von den Motorschäden. Im Lauf der Saison haben sie das Auto so entwickelt, dass es die Reifen immer stärker hergenommen hat. Dadurch waren wir im Rennen dann auch so souverän. Ich glaube, dass der Rückstand von 46 Punkten nach dem dritten Rennen bei uns eine "Jetzt-erst-recht"-Stimmung geschaffen hat.

Dazu kam, dass unser Auto am Anfang 20 Kilogramm übergewichtig war. Das war eine Reserve, die auf der Rennstrecke einen verlässlichen Zeitgewinn gebracht hat, sobald wir das Gewicht reduzieren konnten. Im Windkanal gewinnst du so und so viele Punkte Abtrieb, aber das ist zunächst einmal nur Theorie. Jedes Kilogramm weniger dagegen ist in der Praxis ein bestimmter Zeitgewinn. Und dadurch hat sich auch das Fahrverhalten so geändert, dass es ein Verstappen optimal nutzen kann. Und wenn der Max am Limit fahren kann und das Vertrauen hat, dann ist das etwas anderes als wenn irgendein anderer am Limit fährt. Unser Auto steht dort, wo Perez steht. Und Perez ist ein sehr guter Formel-1-Pilot, aber er ist kein Verstappen.

Max Verstappen - Helmut Marko - Red Bull - Formel 1
Wilhelm

Trotzdem musste auch für Verstappen alles passen. Der GP Brasilien hat gezeigt, dass es schwierig wird, wenn nur ein Puzzlestein fehlt.

Marko: Es gab neben Brasilien noch ein Rennen, wo wir vom Simulator her in der Erstabstimmung her total daneben gelegen sind. Das konnten wir aber korrigieren. In Brasilien sind uns das Sprintformat und der Regen dazwischen gekommen. Bei einem normalen Zeitplan mit drei freien Trainings hätten wir das wieder halbwegs hingebracht.

War es auch ein Faktor, dass Red Bull weniger Fehler gemacht hat als die Gegner?

Marko: Von der Strategie her ganz sicher. Da lagen wir die meiste Zeit richtig. Und dann kommt da noch die Qualität eines Verstappen dazu. Bei ihm wissen wir, dass er das Tempo fahren kann, das die Strategie verlangt, und dass er dabei die Reifen schont. Er ist ein echter Reifenflüsterer geworden. Das beste Beispiel war Abu Dhabi. Als der Perez und mit ihm im Schlepptau Leclerc nähergekommen sind, hat der Max das Tempo angezogen und drei Zehntel zugelegt. Diese Reserve hatte er fast überall.

Eigentlich standen die Vorzeichen für Red Bull schlecht. Das Team musste das 2021er Auto bis spät in die Saison entwickeln und hat dadurch Zeit für das 2022er Auto verloren. Hat es am Ende geholfen, dass es ein komplett neues Reglement gab? Das war für Red Bull bei früheren Regeländerungen schon von Vorteil.

Marko: Wenn das alte Reglement fortgesetzt worden wäre, dann hätte das schon ein Problem gegeben. So konnten Leute wie Adrian Newey oder Rob Marshall ihre jahrzehntelange Erfahrung ausspielen. Die erkennen die Fallen und die Schwachstellen im Reglement, sie wissen, wo man ansetzen muss, in welche Richtung man gehen muss. Faszinierend war, dass es an der Spitze drei optisch unterschiedliche Autos gab, die zu einem ähnlichen Resultat gekommen sind, zumindest bei Ferrari. Die Unterschiede bei den Autos hätte man in der Vergangenheit nicht so einfach erkannt.

Red Bull hat das Bouncing schon vor der Saison in den Griff bekommen. Half es, dass Newey die gleiche Erfahrung schon einmal 40 Jahre davor gemacht hatte?

Marko: Das Bouncing darf man nicht isoliert anschauen. Jeder hat es weggekriegt, wenn er das Auto höher gesetzt hat. Das hatte aber den Nachteil, dass Abtrieb verloren ging. Bei uns war dieser Effekt nie so stark wie bei den anderen. Nicht einmal beim ersten Test.

In den letzten Wochen gab es unheimlich viel Unruhe auf dem Teamchef-Markt. Bleibt bei Red Bull alles stabil?

Marko: Bei uns bleibt alles ruhig. Es hat erste Gespräche mit unserem neuen Boss gegeben, dem Herrn Mintzlaff, und man ist sich einig, dass es nicht sinnvoll wäre, ein Erfolgspaket wie Red Bull Racing umzubauen. Wo es Bedarf gibt, ist Alpha Tauri. Das war im abgelaufenen Jahr nicht zufriedenstellend.

Neue Chefs zeigen gerne eine neue Handschrift. Auch wenn man in einer Erfolgsmannschaft nicht die handelnden Personen austauscht, gibt es doch andere Bereiche, in denen sich etwas ändern könnte. Auf was müssen wir uns da gefasst machen?

Marko: Der neue Chef hat versichert, dass er im Großen und Ganzen alles so belassen wird, wie es unter Mateschitz war.

Sehen Sie Ihre Gegner geschwächt? Ein Wechsel an der Spitze bringt ja immer Unruhe mit.

Marko: Im Fall Ferrari verstehe ich den Wechsel nicht ganz. Ich schätze Binotto als exzellenten Techniker und Politiker ein. Er war nur einfach von der Aufgabenstellung überfordert. Es hätte aber gereicht, ihm einen Sportdirektor zur Seite zu stellen, der ihn an der Strecke und bei der Strategie unterstützt. Mit dem neuen Mann, der noch viele andere Jobs hat, sehe ich da eine Schwächung für Ferrari.

Max Verstappen - Red Bull - Qualifikation - GP Abu Dhabi 2022
Wilhelm

Könnten Mercedes und Red Bull die Gewinner sein?

Marko: Auf jeden Fall. Durch die Stabilität und Kontinuität.

Red Bull baut seinen eigenen Motor, aber Honda wird nicht mit an Bord sein. Dabei hat sich Honda für die Saison 2026 eingeschrieben. Warum geht man getrennte Wege?

Marko: Das ist eine verkrampfte Situation, die eine Vorgeschichte hat. Als Honda vor zwei Jahren seinen Rückzug bekanntgegeben hat, hätten wir in der ersten Phase gar nichts in der Hand gehabt. Honda wollte nicht mal den bestehenden Motor liefern. Das haben wir sukzessive in eine Kooperation umformen können, so wie wir sie heute sehen.

Wir haben gleichzeitig zur Absicherung für die Zukunft ein eigenes Motorenwerk aufgezogen, das mit den neuesten Prüfständen und Messinstrumenten von der AVL in einer neu errichteten Fabrik State of the Art ist. In Sakura gibt es noch einmal das gleiche von Honda. Als es dann darum ging, wer ab 2026 was macht, wurde es schwierig. Es war angedacht, dass Honda nur den elektrischen Teil macht, aber da sind wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen. Aber schauen wir mal. Es wird demnächst eine Entscheidung geben.

Ist auch ein anderen Partner denkbar?

Marko: Warten wir es ab.

Es ist in der Formel 1 schon schwer genug, ein konkurrenzfähiges Auto zu bauen. Ein eigener Motor ist noch einmal eine andere Hausnummer. Wie groß ist der Respekt davor?

Marko: Es ist eine unglaubliche Herausforderung. Sie wird aber dadurch abgefedert, dass wir mit unserem Motorenchef Ben Hodgkinson einen absoluten Spitzenmann haben und die Mannschaft, die jetzt schon fast 300 Leute stark ist, hauptsächlich aus erfahrenen Motorbauern besteht. Nicht nur von Mercedes. Wir haben auch Leute von Ferrari, Renault und Cosworth an Bord. Es ist eine Truppe mit unglaublicher Erfahrung und Expertise.

Bei dem Antrieb nach dem neuen Reglement werden zwei Dinge mit entscheidend sein. Die Batterie und die Software. Momentan baut jeder Autohersteller die beste Batterie, wenn man der Werbung glauben darf. Es wird sich noch herausstellen, wer da wo steht. Wenn du selber in deinem Konzern keine Batterieherstellung hast, musst du auf andere Quellen zurückgreifen. Und da gibt es schon Erstausrüster, die das können. Und mit denen kann man Partnerschaften schließen, so dass du dieses Knowhow in dein Rennprojekt einfließen lassen kannst.

Alpha Tauri - Formel 1 - GP Abu Dhabi 2022
Motorsport Images

Zurück zu Honda: Wenn die auf eigene Faust 2026 wieder einsteigen wollen, brauchen sie ein Team. Der erste Tipp ist reflexartig Alpha Tauri. Stünde das Team für Honda zum Verkauf?

Marko: Wenn Honda zurückkommt, brauchen sie ein Topteam. Das kann Alpha Tauri nicht sein, schon gar nicht, wenn es abgekoppelt von uns mit einem anderen Motor keine Synergien mehr mit uns gäbe. Wenn ich mich so umhöre, will jeder Motorenhersteller, von Audi bis Renault ein zweites Team haben. Da bleibt für Honda nicht mehr viel übrig.

Braucht auch RB Powertrains im Sinne der Wirtschaftlichkeit ein zweites Team?

Marko: Nicht nur wegen der Wirtschaftlichkeit. Zwei Teams bedeuten doppelte Informationen. Das ist auch im Sinne der Entwicklung und der Zuverlässigkeit ein wichtiger Faktor. Mit zwei Teams löst man die Probleme schneller.

Was muss sich bei Alpha Tauri ändern?

Marko: Ich würde sagen, die sind unter Wert geschlagen worden. Für das Potenzial, technisch wie finanziell, ist der neunte Platz nicht apzeptabel. Die haben in der Strategie sehr viele Fehler gemacht. Das Auto hatte zu wenig Abtrieb. Im Moment sind wir dabei eine Bestandsaufnahme zu machen und zu schauen, an welchen Schrauben man drehen muss.

Red Bull steht für die Ausbildung junger Fahrer. Was sind Ihre aktuellen Hoffnungsträger?

Marko: In erster Linie der Franzose Isack Hadjar, den ich den kleinen Prost nenne, weil er dem großen ähnlich sieht. Dann haben wir mit Zane Malone noch ein Talent aus Barbados und Enzo Fittipaldi. Die werden für uns in der Formel 2 fahren und müssen sich dort beweisen. Der Schlüssel ist, dass man dort konstant an der Spitze fährt. Unser Liam Lawson war zeitweise nicht mit dabei. Zum Schluss hat er wieder gute Rennen abgeliefert. Dann hatten wir noch den Jüri Vips, der ein Mal ein falsches Wort gesagt hat und danach erledigt war. Was sicher auch nicht richtig ist. Als junger Bursch mit 21 Jahren sagt man schon mal einen Blödsinn.

In der Formel 3 fährt noch Sebastian Montoya für uns. Wir sind also breit aufgestellt. Wenn sich aber wie in diesem Jahr kein Topmann aufdrängt, dann schauen wir uns auch draußen auf dem Markt um. Und da haben wir uns den de Vries geholt. Im Endeffekt brauchen wir Fahrer, die das Potenzial haben, irgendwann einen Grand Prix zu gewinnen. Und den hatten wir nicht.

Sehen Sie irgendwo auf dem Markt einen neuen Verstappen?

Marko: Nein.

Wenn fürchten Sie nächstes Jahr mehr: Mercedes oder Ferrari?

Marko: Ganz klar Mercedes. Sie sind, wie wir schon eingangs gesagt haben, die stabilere Truppe. Und sie haben Hamilton. Auch wenn es dieses Jahr vielleicht untergegangen ist. Der ist schon eine ganz besondere Nummer. Zwischendurch hat er immer wieder mit seinen Rundenzeiten aufblitzen lassen, dass er ein Topmann ist. Das ist einfach das wesentlich stärkere Paket als Ferrari.