Wird diese Weltmeisterschaft über das Geld entschieden? Gewinnt das Team, das sich länger Upgrades leisten kann, weil man sich mehr Spielraum offengelassen hat? Die Teams, die hart an der Grenze des Budgetdeckels segeln, warnen, dass sie schon mitten in der Saison ihre Weiterentwicklung einstellen müssen.
Gleichzeitig geht auch die Sorge um, dass der ein oder andere die wahren Kosten versteckt oder es auf eine Strafe ankommen lässt, um sich das entscheidende Upgrade noch leisten zu können.
Teams führen Listen
Die Teams belauern sich gegenseitig, um zu herausfinden, was der andere tut. Da werden zum Beispiel Listen angelegt, in denen genau spezifiziert wird, welche neuen Teile die einzelnen Teams in welchem Rennen an den Start bringen. Von der kleinen Finne an der Bremsbelüftung bis zum Unterboden.
In der Vergangenheit beschränkte sich das Interesse auf die Technik. Man wollte wissen, was die Upgrades an Rundenzeit gebracht haben, um den Gegner besser zu verstehen und vielleicht etwas zu lernen.
Seit letztem Jahr legen die Teams eine zweite Liste an. Darauf stehen die kalkulierten Kosten für die einzelnen Upgrades. Ein Frontflügel oder ein Unterboden kosten 100.000 Euro, ein Heckflügel 65.000. Das ist bei Haas nicht viel anders als bei Ferrari. Das McLaren-Upgrade von Barcelona kostet demnach für zwei Autos 700.000 Euro. Ohne Ersatzteile.

Zehn Prozent für das Wettrüsten
Seit in der Formel 1 ein Budgetdeckel eingeführt wurde, ist das Misstrauen eher noch gestiegen. Jetzt gibt es ein neues Spielfeld für Grauzonen und Schlupflöcher. Mit der Aufstellung der Entwicklungskosten wollen die Teams herausfinden, ob der Gegner ehrlich spielt. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto hatte in Miami einen Warnschuss an Red Bull abgefeuert: "Es ist nicht mehr möglich, zu jedem Rennen neue Teile zu bringen. Bei dem Entwicklungstempo, das wir jetzt sehen, müssen viele Teams schon bald an die Grenzen des Kostendeckels stoßen."
Die Topteams veranschlagen ungefähr zehn Prozent des erlaubten Budgets für die Entwicklung ihrer Autos. Also rund 14 Millionen Dollar. Die kleinen Teams haben mehr Luft nach oben, weil sie weniger Angestellte und damit weniger Lohnkosten haben und auch anderweitig sparen. Gerechnet werden nur die Materialkosten für neue Teile. Die Ingenieure müssen so oder so bezahlt werden, der Windkanal läuft bei allen den vollen Stundensatz, den die Regeln zulassen.
Nach dieser Rechnung liegen Red Bull und Mercedes beim Wettrüsten schon nach dem GP Spanien nahe an dem, was sie theoretisch für neue Teile ausgeben können. "Wenn alle ehrlich spielen, kann es nach dem GP Kanada keine Weiterentwicklung mehr geben", prophezeien Experten. "Oder wir müssen 50 Leute entlassen", droht ein Teamchef. Red-Bull-Teamchef Christian Horner malte den Teufel an die Wand: "Dann können einige Teams die letzten Rennen nicht fahren."
Neue Autos verschärfen Budgetproblem
Das betrifft die Teams, die den Kostendeckel von derzeit 141,2 Millionen Dollar ausschöpfen. Haas, Alfa-Sauber oder Williams hätten theoretisch mehr Spielraum, aber nicht das Geld, den Bonus zu nutzen. Sauber zum Beispiel liegt zehn Millionen Dollar unter dem Kostenlimit.
Im Prinzip finden alle Teams die Idee des Kostendeckels gut. Doch sechs von ihnen fordern jetzt, dass die Finanzregeln den neuen Rahmenbedingungen angepasst werden müssten. Historisch betrachtet sollte der Budgetdeckel bei 175 Millionen Dollar liegen. Als die Corona-Pandemie einige Teams an den Rand des Ruins brachte, einigten sich alle unter dem Druck der Ereignisse auf eine Absenkung des Kostenlimits in drei Schritten. Von 145 auf 140 und 135 Millionen Dollar.
Im ersten Jahr der Deckelung kamen die zehn Teams gut mit dem neuen Limit klar, auch wenn es für Ferrari, Mercedes und Red Bull eine Kraftanstrengung war, sich auf 145 Millionen abzuhungern. Geholfen hat, dass 2021 wegen der Homologation viele Teile von den 2020er Autos übernommen werden mussten. Das sparte den Teams 30 Millionen Dollar. Doch schon im zweiten Jahr scheint das Kartenhaus zusammenzufallen. Die Saison ist gerade mal sechs Rennen alt und 75 Prozent der Teams schlagen Alarm.

Inflation kostet 8,4 Millionen Dollar extra
Drei Faktoren haben das Einhalten des Budgetziels verschärft. Die einfachste Aufgabe ist noch mit der Reduktion von 145 auf 140 Millionen Dollar klarzukommen. Ein größeres Problem sind schon die neuen Autos. Diesmal gab es keine Teile, die übernommen werden konnten. "Tatsächlich haben wir also 35 Millionen weniger zur Verfügung", wird allenthalben geklagt.
Und jetzt kommt noch die Inflation dazu, die derzeit bei 6,1 Prozent liegt. Frachtkosten haben sich verdoppelt, Strom, Kraftstoff und Rohmaterialien sind teurer geworden. Das macht in Summe 8,4 Millionen Dollar aus. Ohne die Inflation hätten die Teams ihren normalen Entwicklungsfahrplan einhalten können. Jetzt ist bei Halbzeit Schluss, wenn die Formel 1 nicht einen Inflationszuschlag gewährt. Der läge laut Reglement bei vier Millionen Dollar, wenn im September 2021 die Inflationsrate über drei Prozent gelegen wäre. Dummerweise lag sie knapp drunter.
Die Teams argumentieren, dass Höhere Gewalt sie zwingt, die DNA der Formel 1 zu verleugnen und die Entwicklung bald einzustellen. Sauber-Teamchef Frédéric Vasseur hält dagegen. "Inflation hat nichts mit Höherer Gewalt zu tun. Die Pandemie war Höhere Gewalt. Inflation ist ein normaler Prozess. Die Teams, die nicht mehr viel Luft nach oben haben, können ganz einfach darauf reagieren. Sie müssen nur ihren Windkanal abstellen und weniger Teile bauen. Für uns sind Fracht und Strom teurer geworden. Wir müssen irgendwie damit klarkommen."
Angst vor Budget-Brechern
Die Befürworter eines Inflationszuschlags haben Angst, dass es einige drauf anlegen und das Budget bis fünf Prozent überziehen, weil das als kleineres Vergehen gilt und das Strafmaß von den Sportkommissaren festgelegt wird. Mit Glück kommt ein Budgetbrecher damit durch, wenn die Richter es auch als Höhere Gewalt einstufen. Das weiß vorher aber keiner, ist also ein Spiel mit dem Feuer.
Das kann eine Weltmeisterschaft entscheiden. Wer noch zwei Upgrades nachschiebt, obwohl er eigentlich gar kein Budget mehr dafür hat, erschwindelt sich einen massiven Wettbewerbsvorteil. Wenn er dann noch mit einem blauen Auge davonkommt, hat er alles richtig gemacht.
Es geht auch die Sorge um, dass Kosten mit Tricks in anderen Bereichen versteckt werden. Die großen Teams haben dazu viele Möglichkeiten, weil sie als Reaktion auf den Budgetdeckel in viele Geschäftszweige diversifiziert haben, um so wenig Leute wie möglich entlassen zu müssen und zu verhindern, dass eigene Mitarbeitern zur Konkurrenz wechseln.
Doch wer will am Ende feststellen, ob ein Ingenieur gerade an einem Aero-Upgrade arbeitet oder an einem Rennrad? "Im Moment haben wir bei der Überwachung der Finanzregeln noch zu wenig Erfahrung und Transparenz, um Betrug auszuschließen", warnt einer. "Die Finanz-Regeln sind noch jung und sollten mit den Erfahrungen, die wir jetzt machen angepasst werden."

Ringen um einen Kompromiss
Die Vertreter der Topteams fürchten, dass es in diesem Umfeld in der zweiten Saisonhälfte zu vielen Verdächtigungen und Beschuldigungen kommen wird, die der Formel 1 schaden könnten. Und zwar immer dann, wenn einer mit neuen Teilen auftaucht, obwohl er rechnerisch bereits über der Grenze liegt.
Sie fordern deshalb die FIA und das F1-Management auf, schon in diesem Jahr das Budget um einen Inflationszuschlag zu erweitern. Beide unterstützen die Bitte, doch um sie im Finanz-Reglement zu verankern, braucht es die Zustimmung von acht Teams. Momentan sind Alfa-Sauber, Williams und Alpine dagegen. Haas ist noch gespalten.
Die Hardliner stellen sich auf den Standpunkt: "Regeln sind Regeln." Vasseur warnt: "Wenn wir die Regeln jetzt aufgeben, wäre das das Ende des Budgetdeckels." Alpine-Teamchef Otmar Szafnauer zeigt ebenfalls wenig Verständnis: "Wenn wir es können, müssen es die anderen auch schaffen." Die Gegenpartei fordert die Verweigerer zum Einlenken auf. "Als wir der Reduktion von 175 auf 145 Millionen Dollar zugestimmt haben, haben wir dem Sport gegenüber Verantwortung gezeigt. Jetzt liegt es an euch, die gleiche Verantwortung zurückzugeben."