Die Formel 1 ist die einzige große Rennserie weltweit, die noch Heizdecken einsetzt. Doch mit dem künstlichen Vortemperieren der Gummis soll es bald schon vorbei sein. Es hilft nicht gerade den ambitionierten Klimazielen der Königsklasse, wenn die wärmenden Hüllen über längere Zeit an der Steckdose nuckeln. Außerdem würden sich die Teams das teure Equipment gerne sparen.
Die Heizdecken sollen aber nicht auf einen Schlag abgeschafft werden. Zusammen mit den Teams und Lieferant Pirelli hat sich die FIA auf ein Stufensystem geeinigt. Schon in der Saison 2021 wurde die maximale Temperatur der Reifenwärmer auf nur noch 100°C vorne und 80°C hinten gesenkt. Dieses Jahr sind sogar nur noch 70°C für alle Slicks erlaubt. Dazu wurde die Zahl der Heizdecken von 40 auf 20 reduziert.
Pirelli-Sportchef Mario Isola erklärt, warum man sich für die Strategie der kleinen Schritte entschieden hat: "Wenn man ohne Heizdecken fahren will, muss man einen komplett neuen Reifen konstruieren. Es reicht nicht einfach, neue Mischungen mit einem größeren Arbeitsbereich zu bauen. Die Autos in der Formel 1 sind so schnell und generieren so große Kräfte, dass die Drücke während der Fahrt um zehn bis zwölf PSI ansteigen. Damit ändert sich das komplette Profil und die Auflagefläche des Reifens."

Hohe Belastungen in der Formel 1
Von der Formel 2, wo Heizdecken schon lange kein Thema mehr sind, kann Pirelli nicht viel lernen. In der Nachwuchsklasse sind die Gummis beim Aufschnallen mit einem Druck zwischen 13 PSI und 15 PSI aufgepumpt. Im Laufe eines Stints stabilisiert er sich dann bei Werten knapp über 20 PSI. Weil die Autos generell nicht so große Kräfte aufbauen, ist dieser Druck-Unterschied laut den Reifen-Spezialisten akzeptabel.
Das gilt aber nicht für die Königsklasse: "Der Anstieg des Drucks ist doppelt so hoch wie in der Formel 2", rechnet Isola vor. "Wegen der hohen Belastungen können wir in der Formel 1 nicht einfach mit 15 PSI beginnen. Dann müssten es die Piloten zu Beginn eines Stints ruhig angehen lassen und die Reifentemperatur nur langsam erhöhen. Das funktioniert in einem Rennen natürlich nicht. Es muss deshalb schon bei 20 oder 21 PSI losgehen. Der Druck klettert dann schnell auf über 30 PSI nach oben."
Bei der Testphase mit den aktuellen 18-Zoll-Reifen in der Vorsaison hatte man schon mit den gesenkten Temperatur-Vorgaben für die Heizdecken gearbeitet. Deshalb gab es bei der Einführung des komplett neuen Produkts keine bösen Überraschungen. Für die kommende Saison müssen die Ingenieure aber noch einmal nachlegen.

Plan für Heizdecken-Verbot steht
"Nächstes Jahr werden die Temperaturen der Heizdecken weiter fallen – auf nur noch 50°C vorne und hinten", verrät Isola. "Damit steigen auch wieder die Druckunterschiede innerhalb der Stints. Wir gehen bewusst nur kleine Schritte, damit nichts schiefgeht und die Show leidet. Dieses Jahr funktionieren die Reifen sehr gut. Das soll natürlich auch so bleiben, wenn wir die Heizdecken ganz abschaffen."
Das komplette Verbot der Reifenwärmer ist für die Saison 2024 vorgesehen. Bevor die Maßnahme endgültig im Reglement verankert wird, soll es aber noch einmal Gespräche mit allen Parteien geben, ob man das Risiko auch wirklich eingehen will. Vor allem die kleinen Teams machen Druck, dass es beim Verbot bleibt. Aktuell steht der Plan noch, versichern die Verantwortlichen von Pirelli.
Der Alleinausrüster hatte schon in den vergangenen Jahren immer wieder die Aufgabe vor der Brust, komplett neue Reifen bauen zu müssen. Ein Großteil der Probeläufe in der Entwicklungsphase findet auf den Prüfständen in Mailand statt. Diese können die Praxistests mit neuen Prototypen auf der echten Rennstrecke aber nicht ganz ersetzen. "Wir brauchen Autos der aktuellen Generation. Wir müssen auf verschiedene Strecken gehen, wo die Reifen unterschiedlich belastet werden. Und wir müssen bei unterschiedlichen Bedingungen fahren", betont Isola.

Reifen müssen allen Autos passen
Dass im neuen Kalender für 2023 die Rekordzahl von 24 Rennen eingeplant ist, trifft bei Pirelli nicht gerade auf Begeisterung. Damit bleiben kaum noch Lücken für die Reifenerprobung. Die Mechaniker gehen bei hoher Arbeitsbelastung und Reisestress auf dem Zahnfleisch. Trotzdem sollen in der Europa-Saison wieder einige Teams verpflichtet werden, dienstags und mittwochs nach einem Grand-Prix-Wochenende Extra-Testrunden für Pirelli zu drehen.
Bei den Übersee-Rennen, von denen es künftig immer mehr gibt, ist das nicht mehr so einfach möglich. Hier setzt Pirelli auf sogenannte In-Event-Tests. Dabei wird das zweite Freie Training auf 90 Minuten ausgedehnt und für die Datensammlung mit Prototypen-Reifen reserviert. Zum ersten Mal soll dieses neue Format schon dieses Jahr in Austin getestet werden.
"Die Idee, das FP2 für Tests zu nutzen, ist eigentlich sehr gut", meint Isola. "Die Teams müssen nicht extra an eine Strecke reisen oder nach einem Rennwochenende länger bleiben. Aber kaum hat man eine neue gute Idee, finden die Teams Probleme. Sie klagen, dass sie dieselben Autos und die selben Motoren nutzen müssen, wie am restlichen Wochenende. Da wird die Kilometerleistung schnell zu einem Thema."
Für die Reifen-Ingenieure ist es aber wichtig, wenn sich alle Teams an der Entwicklung beteiligen. Laut Isola belasten nicht alle Autos die Reifen in gleicher Art: "Die schnellen Autos nehmen die Reifen härter ran. Wir müssen dafür sorgen, dass der Aufwärmprozess auch mit den langsameren Autos funktioniert. Und dass die Reifen bei den schnellen Teams nicht überhitzen. Da gilt es einen guten Kompromiss zu finden, damit die Reifen bei allen zehn Autos, allen 20 Fahrern und auf allen Strecken funktionieren. Das wird nicht so einfach."