War die Norris-Strafe berechtigt?
Das Duell zwischen den beiden WM-Rivalen sorgte in Austin für erhitzte Gemüter. Dank sechs Runden frischerer Reifen konnte Lando Norris seinen Kumpel Max Verstappen in der Schlussphase unter Druck setzen. Vier Umläufe vor Schluss bot sich die Gelegenheit zur entscheidenden Attacke. Der McLaren setzte außen zum Angriff an, der Red Bull hielt innen dagegen. Beide Autos rutschten am Kurvenausgang neben die Strecke, aber Norris hatte die Nase vorne.
Nur drei Runden später folgte der Dämpfer in Form einer Fünf-Sekunden-Strafe, mit der die alte Reihenfolge nach der Zielflagge wieder hergestellt wurde. Die Entscheidung der FIA-Schiedsrichter spaltete das Fahrerlager in zwei Hälften. Red-Bull-Teamchef Christian Horner konnte die Aufregung nicht nachvollziehen: "Alle Fahrer kennen die Regeln. Wenn außerhalb der Strecke überholt wird, muss man den Platz zurückgeben. Ich war überrascht, dass Lando das nicht direkt gemacht hat. Dann hätte er danach nochmal angreifen können."
Die Stewards bezogen sich bei ihrem Urteil auf die offiziellen Überholregeln, die auf Wunsch der Fahrer eingeführt wurden. Demnach muss ein Pilot, der außen angreift, am Scheitelpunkt gleichauf liegen. Gelingt ihm das nicht, kann ihn der verteidigende Fahrer legal neben die Piste drängen. Der Verteidiger darf auch selbst neben die Strecke fahren, solange der Versuch zu erkennen ist, die Kurve zu kriegen. Weil Verstappen in diesem Fall auch neben die Linie rutschte, setzte es für Norris nur fünf und nicht zehn Strafsekunden.

Schon am Start hatten sich Norris und Verstappen duelliert. Zum Ärger von McLaren gab es hier keine Strafe.
Bei McLaren reagierte man wütend auf das Urteil. Teamchef Andrea Stella sah die Überholregeln eher von Verstappen verletzt: "Die Position am Scheitelpunkt ist nicht relevant, weil der verteidigende Pilot einfach geradeaus gefahren ist. Lando hatte gar keine Chance, das Manöver abzuschließen. Es haben sich beide einen Vorteil neben der Strecke verschafft. Die Aktion war also neutral." Als die Meldung zur Untersuchung kam, dachte man bei McLaren, dass Verstappen Ärger wegen des Rausdrängens droht. Oscar Piastri wurde angewiesen, Gas zu geben, um von einer möglichen Strafe zu profitieren. Doch dann wurde Norris als Sünder identifiziert.
Stella kritisierte vor allem, dass der Schuldspruch noch vor der Zieldurchfahrt kam. "Ich bin überrascht, dass die Stewards es nicht für notwendig hielten, die Szene nach dem Rennen mit den Fahrern zu diskutieren. Wenn eine Situation so unklar ist, sollte man sich Zeit nehmen und alle Meinungen einholen. Ich sehe die Dringlichkeit nicht, so ein Urteil, das möglicherweise die WM entscheidet, in 60 Sekunden zu treffen."
Und wer hat jetzt Recht – Red Bull oder McLaren? Wir haben mit Sauber-Teammanager Beat Zehnder einen ausgewiesenen Regelexperten im Fahrerlager gefunden, der in dieser Situation nicht befangen ist. Nach Ansicht des neutralen Schweizers geht die FIA-Entscheidung in Ordnung: "Wie sich Max verteidigt hat, war nicht übertrieben. Bei einer kleinlichen Regelauslegung kann man das Urteil also nachvollziehen. Es liegt auch in einer Linie mit anderen Entscheidungen in ähnlichen Fällen an diesem Wochenende."

In der Teamwertung fehlen Ferrari nun nur noch acht Punkte auf Red Bull.
Warum war Ferrari in Austin so stark?
Ferrari hatte als einziges Topteam keine Upgrades bei der FIA angemeldet. Am Ende fuhren Charles Leclerc und Carlos Sainz trotzdem einen souveränen Doppelsieg ein. Für viele kam die Leistung überraschend. Doch bei McLaren hatte man mit einem starken Auftritt der roten Raketen gerechnet: "Ferrari war schon in Baku und Singapur stark, auch wenn es nicht zum Sieg gereicht hat. Hier in Austin kam ihnen auch noch das Streckenlayout entgegen", analysierte Stella.
Ferrari dominierte besonders im letzten Sektor mit den vielen engen Kurven, wo es vor allem auf einen guten mechanischen Grip ankommt. Wer hier gut aufgestellt ist, hat auch beim Reifenverschleiß einen Joker. Und den hat Ferrari im Rennen voll ausgespielt. "Wir konnten attackieren und mussten uns nicht so viele Gedanken über das Reifenmanagement machen", freute sich Carlos Sainz.
Charles Leclerc profitierte bei seinem Sieg vom harten Duell der beiden WM-Rivalen am Ausgang der ersten Kurve, das ihn früh in Führung brachte. Sainz konnte dank des Reifenvorteils einen frühen Undercut gegen Verstappen wagen. Der Konter blieb aus. Am Ende rollte der Red Bull mit 19,4 Sekunden Rückstand über den Zielstrich. Teamchef Frederic Vasseur deutete nach dem Rennen an, dass unter der roten Hülle doch ein paar Upgrades versteckt waren: "Man muss bei der FIA nur die Aero-Upgrades angeben. Aber die Performance hängt nicht nur von der äußeren Form des Autos ab."

McLaren war auf der Angststrecke in Austin plötzlich nur noch dritte Kraft.
Warum schwächelte McLaren?
Lando Norris hatte vor der Herbstpause in Singapur eine dominante Vorstellung abgeliefert. In Austin waren Red Bull im Sprint und Ferrari im Rennen klar schneller. Laut Stella hat dem MCL38 das Streckenlayout einfach nicht geschmeckt. Highspeed-Passagen und lange Bremsphasen, die in enge Kurven münden, liegen dem Papaya-Renner nicht. "Von den letzten sechs Strecken des Jahres, war das wohl die problematischste für uns", erklärte der Italiener.
Im Rennen am Sonntag zeigte Norris aber immerhin eine bessere Pace als im Sprint am Samstag. Gerne hätte Stella gesehen, wie es für den Pole-Setter ohne den Absturz auf Rang vier in der ersten Kurve ausgegangen wäre. "Danach musste er seine Pace drosseln, um den Boxenstopp herauszuzögern. Ich glaube, Ferrari war heute ein Tick besser als wir. Aber es war schön zu sehen, dass wir schneller als Red Bull waren."
Verstappen kämpfte nach seinem Sprint-Sieg plötzlich mit den Reifenverschleiß. "Wir haben uns irgendwie Untersteuern ins Auto geholt. Das hat die Vorderreifen gekillt", erklärte Horner. Das Problem war offenbar die Folge eines Setup-Umbaus, der den Verschleiß auf der Hinterachse reduzieren sollte. Dabei ging man einen Schritt zu weit. "Auf den harten Reifen wurde das Problem immer schlimmer", berichtete Helmut Marko. So geriet Verstappen überhaupt erst in die Fänge von Norris.

Das Rennen von Lewis Hamilton endete nach nicht einmal drei Runden.
Was lief bei Mercedes schief?
Mercedes reiste in Austin mit einem großen Aero-Paket an. In der Sprint-Quali am Freitag hinterließ der facegeliftete Silberpfeil mächtig Eindruck bei der Konkurrenz. George Russell verpasste die Pole für nur um 12 Tausendstel. Lewis Hamilton war auf seiner letzten Runde sogar noch drei Zehntel schneller, bevor er von gelben Flaggen ausgebremst wurde.
Doch im Sprint am Samstag war von der starken Pace plötzlich nichts mehr zu sehen. Erhöhter Reifenverschleiß ließ die beiden Briten auf die Plätze fünf und sechs zurückfallen. Im Qualifying zum Rennen erlebte das Werksteam dann ein komplettes Waterloo. Für Hamilton war auf P19 schon in der ersten K.O.-Runde Schluss. Russell flog im Q3 so heftig ab, dass er wegen der umfangreichen Reparatur aus der Boxengasse starten musste.
Im Rennen rutschte Hamilton dann an gleicher Stelle schon in der dritten Runde ins Kiesbett. "Lewis hat noch nicht einmal gepusht. Das kam aus dem Nichts", verteidigte Wolff seinen Schützling. Russell wiederum konnte am Sonntag eine gute Pace zeigen und bis auf Rang sechs nach vorne fahren, obwohl sein Auto auf den Stand von Juli zurückgerüstet wurde. Auch eine Fünf-Sekunden-Strafe nach einem Duell mit Valtteri Bottas, die Wolff als "merkwürdig und bizarr" bezeichnete, konnte den Vorwärtsdrang des Engländers nicht bremsen.
Für die Achterbahnfahrt am Austin-Wochenende hatten die Ingenieure allerdings keine Erklärung, gab der Teamchef zu: "Wir müssen die letzten Rennen nun als Test sehen. Ich bin mir sicher, dass wir wieder eine stabile Plattform finden werden, wie wir sie vor dem Sommer hatten." An dem Upgrade will man festhalten. Es wird in Mexiko wieder zum Einsatz kommen. "Es sieht so aus, als harmonieren die Aerodynamik und die Mechanik noch nicht so richtig. Dadurch fehlt die Konstanz."

Nico Hülkenberg kam im Sprint und im Rennen auf Platz acht ins Ziel.
Wer liegt im Mittelfeldkampf vorne?
Das Upgrade-Rennen ging auch im Mittelfeld in die entscheidende Runde. Hier war Williams das einzige Team, das in Austin nicht nachlegen konnte. Was die Punkteausbeute anging, war Haas am Ende mit sieben Zählern der klare Gewinner. Das US-Team konnte beim Heimspiel an Toro Rosso in der Teamwertung vorbeiziehen. Es wäre sogar noch mehr drin gewesen, hätte man Kevin Magnussen im Rennen nicht auf eine Zweistopp-Strategie gesetzt.
Toro Rosso, Alpine und Williams hatten gute und schlechte Momente. Pierre Gasly, der als einziger Alpine-Pilot auf das große Upgrade zurückgreifen konnte, überraschte vor allem im Qualifying. Doch von Startplatz sechs ging es im Rennen rückwärts. Ein schlechter und zu früher Boxenstopp, eine Fünf-Sekunden-Strafe für das Rausdrängen von Alex Albon und eine schwache Pace auf den harten Reifen warfen den Franzosen aus den Punkten.
Bei Toro Rosso und Williams konnten die Neulinge für Lichtblicke sorgen. Liam Lawson startete nach seiner Motorenstrafe von ganz hinten und lieferte eine furiose Aufholjagd ab, die auf Rang neun mit zwei Punkten belohnt wurde. Der Ricciardo-Nachfolger bekam danach ein Sonderlob von Marko: "Er hat toll überholt und fuhr sehr kontrolliert. Er ist ein Mann für die Zukunft." Auch Franco Colapinto verdiente sich gute Noten. Der Argentinier, den die Bild-Zeitung schon den "Formel-1-Messi" nennt, fuhr von Startplatz 15 bis auf Rang zehn nach vorne.