Das könnte eine böse Schlammschlacht geben. Und es ist eine echte Nagelprobe für die FIA. Die Buchprüfungen der Budgets für die Saison 2021 sind abgeschlossen. Der Fahrerlagerfunk erzählt, dass schon im ersten Jahr der Kostendeckelung zwei Teams das Limit von 148,6 Millionen Dollar überschritten haben. Eines davon in erheblichem Ausmaß. Im Fahrerlager munkelt man, dass es sich dabei um Red Bull und Aston Martin handeln soll. Aston Martin hauptsächlich wegen Verfahrensfehlern.
Die FIA steckt in einer Zwickmühle. Sie ist dazu verpflichtet, etwaige Überschreitungen öffentlich zu machen. Die Überziehung des Budgetdeckels ist ein Regelbruch wie ein untergewichtiges Auto oder eine zu hohe Durchflussmenge beim Benzin. Angeblich sollte das Ergebnis längst kommuniziert werden, doch der eine der beiden Fälle könnte für ein Erdbeben im Fahrerlager sorgen.

FIA ohne definierten Strafenkatalog
Jetzt kommt das Problem. Es gibt zwar einen Strafenkatalog, der ist aber nicht genau für des jeweilige Vergehen spezifiziert. Es liegt im Ernessen der Richter und des FIA-Präsidenten in jedem Einzefall über die Schwere der Strafe zu entscheiden. Die FIA wollte nicht, dass Grenzgänger den Schaden gegen den Nutzen anrechnen und bewusst das Limit überschreiten, solange die Strafe verschmerzbar ist. Überschreitungen von bis zu fünf Prozent (7,4 Millionen Dollar) gelten laut Reglement als "kleinere Regelverletzung". Der Täter kommt dabei vielleicht mit einer Geldstrafe oder gar nur einer Verwarnung davon.
Das halten die acht Teams, die den Gerüchten nach sauber sind, für fragwürdig. Bei Mercedes und Ferrari heißt es, dass fünf Millionen Dollar extra in der Entwicklung einen Gegenwert von bis zu einer halben Sekunde auf der Rennstrecke ausmachen können.
Wer über den fünf Millionen liegt, der muss mit härteren Strafen rechnen. Möglicherweise einem Punktabzug und damit verbunden einer nachträglichen Rückstufung in der Weltmeisterschaft. Oder man zieht dem betroffenen Team im Jahr darauf die Summe, mit der überzogen wurde, vom Kostendeckel ab.

Einsatz bestimmt Anrechnung der Kosten
Mercedes und Ferrari plädieren für harte Strafen um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Ihren Berechnungen nach hat Red Bull nicht nur 2021 den Grenzwert überschritten, sondern wird es auch in dieser Saison tun. Deshalb kommt das Leichtgewichtchassis 2022 vermutlich nicht mehr zum Einsatz. Die Kosten für Material und Produktion werden nämlich erst zum Budget angerechnet, wenn es zum ersten Mal eingesetzt wird. Nur die Designkosten fließen sofort in das Budget ein.
Sollte sich herausstellen, dass Red Bull 2021 tatsächlich zu viel Geld ausgegeben hat, dann wird sich zuerst einmal Mercedes auf die Hinterbeine stellen. Beim Konstrukteurs-Weltmeister ist man ohnehin der Meinung, dass ihnen der Titel im Finale in Abu Dhabi durch den verfrühten Einsatz des Safety Cars gestohlen wurde. Wenn der direkte Gegner sich jetzt auch noch einen unlauteren technischen Vorteil verschafft haben sollte, würde es das Fass zum Überlaufen bringen.

Wer 2021 mehr Geld ausgibt, profitiert auch 2022
Ferrari ist bei der Hypothese, dass Red Bull die Regeln zu stark gebogen haben soll, aus einem anderen Grund sauer. Das zusätzliche Geld ist unter dieser Annahme dann nicht nur in das 2021er Auto geflossen, sondern auch in die Entwicklung des 2022er Modells. Was eine Erklärung dafür wäre, warum Red Bull einen so starken Saisonstart hinlegte, obwohl man angeblich als letztes Team umgeschwenkt hat. Damit hätte jeder, der den Budgetrahmen bricht, einen doppelten Gewinn. Im laufenden Geschäftsjahr und danach.
Red Bulls Konkurrenz will auch ausgerechnet haben, dass die Upgrades am aktuellen Red Bull RB18 unmöglich im Rahmen des erlaubten Budgets produziert werden konnten. Man selbst sei hart an der Grenze. Red Bull müsse nach eigener Rechnung klar drüber liegen.
Ferrari verzichtet in Singapur auf den Einsatz eines neuen Unterbodens. "Kein Geld mehr da", bedauert Teamchef Mattia Binotto. Mercedes hält sich aus dem gleichen Grund zurück. Die letzten Reserven wurden in eine kleinere Modifikation gesteckt, die in Austin debütiert.

Teams fordern von FIA totale Transparenz
Die Teams führen untereinander Buch. Jeder rechnet hoch, was der andere ausgibt. Red Bull-Teamchef Christian Horner hatte derartigen Verdächtigungen schon im Frühsommer den Wind aus den Segeln genommen: "Wie will ein anderes Team wissen, zu welchem Preis wir produzieren und welche Materialien wir verwenden?" Sportchef Helmut Marko verwies darauf, dass bestimmte Kosten nicht dem Team angerechnet werden können sondern den Tochterfirmen RB Powertrains oder Advanced Technologies.
Ursprünglich kam den FIA-Detektiven offenbar nichts verdächtig vor. Doch die Teams haben sich untereinander angeschwärzt, nachdem sie von Überläufern erfahren hatten, wie der gegnerische Rennstall seine Kosten berechnet und unter welchen Bedingungen er Teile produziert. Red Bull sei deshalb erst im zweiten Anlauf in das Visier der Buchprüfer geraten.
Aus FIA-Kreisen hören wir, dass die Ergebnisse kommende Woche kommuniziert werden. Angeblich werden den beiden Teams nur "kleinere Verfehlungen" zur Last gelegt. Das kann damit zu tun haben, dass es offenbar Interpretationsspielraum bei den tatsächlich entstanden Kosten gibt. Die Konkurrenz befürchtet, dass man den Fall schöngerechnet hat, um einen Skandal zu vermeiden. Red Bull hatte angeblich bereits im Juli Besuch von den FIA-Prüfern. Seitdem wird offenbar diskutiert, welche Kosten angerechnet werden und welche nicht.
Die FIA steht vor einer schweren Aufgabe. Die Teams, die im legalen Bereich operieren, fordern totale Transparenz. Und drastische Strafen für Regelbrecher. Und eine schnellere Abwicklung der Prüfung in Zukunft. Wer erst im Oktober des Folgejahres erwischt wird, profitiert zwei Mal davon. Wenn die FIA nicht hart durchgreife, so die Kläger, liege die ganze Idee der Budgetdeckelung auf dem Sterbebett. Der Verband seinerseits will den Worstcase vermeiden. Das wäre ein Eingriff in den WM-Stand von 2021.
Sollte es dazu kommen, könnten die betroffenen Teams vor ein Zivilgericht ziehen, glauben Experten. Das Finanzreglement enthält nach Einschätzung von Juristen noch zu viele Schlupflöcher. So könne man sich bei bestimmten Punkten darauf berufen, dass es nur Richtlinien und keine Regeln sind. Und wenn eine Strafe für ein bestimmtes Vergehen nicht spezifiziert ist, könnte der Beklagte dem Gericht Willkür vorwerfen.