Formel-1-Upgrades: Halbneue Autos in Bahrain?

Das Upgrade-Rennen der Formel 1
Halbneue Autos in Bahrain?

Testfahrten sollte man nicht überbewerten. Das galt für die Vergangenheit und gilt besonders für die Gegenwart. Die neuen Autos sind für alle so neu, dass jedes Team erstmal Daten sammeln musste. Jeder überprüfte auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya, was aus Windkanal und CFD überhaupt auf der Rennstrecke ankommt. Ob der Luftstrom tatsächlich das macht, was sich die Ingenieure in der Theorie ausdachten. Wie die Pirelli-18-Zoll-Reifen mit Ground-Effect-Autos harmonieren.

Die Fahrer schossen sich ein. Sie müssen ihren Fahrstil umprogrammieren. Tenor im Feld: "Vor allem das Bremsen ist anders." Zusammen mit ihren Ingenieuren suchten sie nach den besten Einstellungen für die Autos. In die Quere kam ihnen das teilweise starke Pumpen auf den Geraden. Allein das verschleiert die wahre Performance der Autos genau wie die üblichen Unbekannten namens Benzinmenge und Motoreinstellung.

"Es ist schwer, die Performance der Autos und die Konkurrenzfähigkeit der einzelnen Teams wirklich einzuordnen", beschwört Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. "Erst in Bahrain werden wir Quali- und Rennsimulationen sehen. Dann können wir bessere Aussagen treffen."

George Russell - Lewis Hamilton - Mercedes - Barcelona - Testfahrten 2022
Wilhelm

Massives Paket von Mercedes?

Die neuen Autos könnten bei den Testfahrten in Bahrain schon wieder alt sein. Dann, so heißt es, werden die Teams ihre Karten erst aufdecken. "Keiner pushte in Barcelona. Die Teams haben mindestens noch eine Sekunde in der Tasche", glaubt Pirelli-Rennleiter Mario Isola. Manche Lösungen wurden beim Schaulaufen unweit der katalanischen Metropole bewusst noch nicht gezeigt, damit die Konkurrenz nicht bis zum Saisonstart kopieren kann. Das ist zwar einfacher geworden mit den von Leitblechen und Luftwirbeln entrümpelten neuen Autos, weil nicht mehr rund 400 Oberflächen wie früher angefasst werden, sondern nur noch um die 60. Doch mit nur einer Woche zwischen Test und erstem Grand Prix bleibt keine Zeit, um zu reagieren.

In Barcelona kamen Ferrari und McLaren am besten aus den Blöcken. Das sagen zumindest die Ingenieure von Mercedes und Red Bull, denen es sicher nicht ungelegen kommt, wenn alle Welt die Favoritenrolle bei den Traditionsteams glaubt. Den beiden Topteams der letzten Jahre werden dazu große Upgrade-Pakete für die Testfahrten in Bahrain nachgesagt. Red Bulls Sportchef Helmut Marko nickt auf die Frage jedenfalls mit dem Kopf. Das von Mercedes soll nach Informationen der Konkurrenz ein riesiges sein. Die Konstrukteurs-Weltmeister bestätigen weder noch leugnen sie. "Alle werden nach Bahrain mit neuen Teilen fliegen. In den ersten Rennen wird jeder volle Pulle entwickeln."

Ein weiterer Satz aus dem Mercedes-Lager lässt aufhorchen. "Die größten Upgrades sind meistens die, die man von außen nicht erkennen kann." Wenn Mercedes unter der Verkleidung zupackt, spricht das tatsächlich für ein halbneues Auto. Die Frage ist, was die Ingenieure überhaupt enger verpacken wollen. Die Seitenkästen sind praktisch ohnehin nicht mehr existent. Vielleicht magert der Silberpfeil auch dank neuer Leichtbauteile auf das Mindestgewicht von 795 Kilogramm ab. Bei Red Bull heißt es: "Wir wären froh, wenn wir 70 Prozent von dem erreichen, was da von Mercedes kommt. Ihr Paket soll massiv sein."

Ferrari geht anderen Weg

Die Änderungen am RB18 sollen für Außenstehende größtenteils sichtbar sein. Die neuen Teile werden nicht direkt für den Teststart am 10. März erwartet. Sie kommen nach und nach ans Auto. Alle Teams schwitzen: Die Produktionsabteilung läuft in allen Fabriken auf Hochtouren. "Sobald wir neue Teile produziert haben, bringen wir sie. Wir streben einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess an", verrät McLaren-Teamchef Andreas Seidl. Für Bahrain erwartet das Team aus Woking Nachschub von zuhause.

Ferrari geht dem Vernehmen nach einen anderen Weg als Mercedes und Red Bull. "Unser Auto verhält sich generell gut und wie erwartet. Es wird in Bahrain nicht viel anders aussehen als in Barcelona. Für uns geht es darum, das Paket zu optimieren und alles herauszuholen. Da steckt noch viel drin, auch was die Fahrer anbetrifft", sagt der Teamchef. Das könnte eine clevere Herangehensweise sein: So dürfte sich Ferrari zumindest selbst nicht verwirren. Wir haben in der Vergangenheit oft gesehen, dass neue Teile nicht immer unbedingt den schnellen Fortschritt versprechen, weil es dauern kann, bis man alle Interaktionen und Auswirkungen verstanden hat. Mercedes und Red Bull müssten ihre Autos erst wieder neu kennenlernen.

Die verschiedenen Ansätze der Teams sind besonders spannend unter dem Budgetdeckel. Wer in Barcelona mit einem halbfertigen Auto herumrollte, kaufte sich zwei bis drei Wochen mehr Entwicklungszeit für das eigentliche Paket zum Saisonstart. Dann musste man sich aber auch besonders sicher sein, dass die Werkzeuge in der Fabrik wie Windkanal und CFD treffsicher sind. Wenn die Korrelation nicht stimmt, bringen auch keine Upgrades etwas.

Max Verstappen - Red Bull - Barcelona - Testfahrten 2022
Wilhelm

Spannungsfeld Budget Cap

Wenn es stimmt, dass Red Bull und vor allem Mercedes massiv aufrüsten, dann geben sie zum Saisonstart mehr von ihrem Entwicklungsbudget aus, weil sie zwei Autos bauen – eines für Barcelona, selbst wenn es ein Standard-Spec ist, und eines für Bahrain. Selbst wenn man mit der ersten Version Ersatzteile gespart hat, geht das ins Geld. Es braucht von der neuen Spezifikation ja mindestens zwei Sätze für zwei Fahrer. Bei massiven Umbauten kommen da schnell mehrere hunderttausend Euro zusammen. Wenn nicht sogar noch mehr.

Gespannt ist man sicher auch bei der FIA, was da auf der Strecke zu sehen sein wird. Nach dem Test in Barcelona zeigte man sich angesichts der neuen Autos zufrieden – wenn auch noch vorsichtig. Man wäre zumindest nicht besorgt, wenn morgen das erste Rennen stattfinde, lautet es aus Kreisen des Weltverbands. Die Techniker der FIA haben die CAD-Daten von allen Teams. Man kennt die Entwicklungspläne. Es heißt, der ein oder andere Streitpunkt könnte sich in Bahrain auftun.

Aus Ingenieurskreisen ist zu vernehmen: Die technische Konstruktion und Dokumentation am Computer sei schön und gut. Ein Legalitätscheck darüber auch. Doch auf die Kontrolle in der Realität komme es an. Was im CAD zu sehen ist, muss auch auf den Millimeter gemessen werden und übereinstimmen. Die FIA hat nur eine kleine Technik-Mannschaft, die Teams mehrere hundert Ingenieure, die nach jedem noch so kleinen Schlupfloch suchen.