F1-Test Bahrain: Top-Speeds und Sektor-Analyse

Bahrain-Test Top-Speed und Sektor-Analyse
Wer ist der Schnellste auf den Geraden?

Die Analysten, die aus 3.725 Testrunden in Bahrain jetzt ein Kräfteverhältnis herausfiltern sollen, raufen sich die Haare. Eine Strecke, die ständig ihr Gesicht änderte, und stark abweichende Testprogramme machen Vergleiche zur Kaffeesatzleserei. Ein Mercedes-Ingenieur raunte uns zu: "Wenn ihr aus den Zeiten eine Reihenfolge erkennt, lasst es uns wissen."

Die Sektorzeiten sind schon deshalb weniger aussagekräftig als in Barcelona, weil die Sektoren auf dem Kurs von Sakhir von ihrem Charakter nicht so abgegrenzt sind. Alle haben einen hohen Anteil von Geraden, alle ähnliche Kurven. Der erste Sektor mehr langsame, der zweite mehr schnelle, der dritte gemischt. So lässt sich schlechter herauslesen, welches Auto welchen Kurventyp besser kann.

Pierre Gasly - Alpha Tauri - Formel 1 - Test - Bahrain - 14. März 2021
Motorsport Images

Honda und Ferrari haben Power zugelegt

Bei 73 Prozent Volllast und vier Geraden spielt der Motor eine größere Rolle als in Barcelona. Deshalb richtet sich der erste Blick auf den Top-Speed. Da führt ein Alpha Tauri-Honda mit 322,7 km/h vor einem Ferrari mit 319,7 km/h und einem Alfa Romeo mit Ferrari-Motor mit 319,6 km/h. Das heißt zunächst einmal, dass Honda ein großer Wurf gelungen ist. Ist er so gut wie der Mercedes? "Das kommt darauf an, um wie viel sich Mercedes verbessert hat", mauert man bei Red Bull.

Auch Ferrari hat sein Plansoll erfüllt. Alle Autos mit Ferrari-Motor befinden sich in der vorderen Hälfte der Tabelle. Alfa Romeo und Haas atmeten spürbar auf. Damit ist ein Handikap schon einmal ausradiert. Die Ferrari-Autos sind auf den Geraden nicht mehr Freiwild.

Aston Martin und Mercedes landeten mit 311,2 und 310,2 km/h am Ende der Rangliste. Daraus darf man nicht schließen, dass Mercedes mit seiner Antriebseinheit ins Hintertreffen geraten wäre oder bei den Testfahrten nur mit gedrosselter Leistung fuhr. Die Fahrer bekamen an jedem Testtag zu bestimmter Zeit grünes Licht, die volle Power abzurufen. Williams rangierte mit 318,6 km/h immerhin auf Platz 4.

Das Top-Speed-Manko lag wohl eher am gewählten Heckflügel. Mercedes und Aston Martin waren im Vergleich zu Red Bull und Alpha Tauri mit mächtigen Flügeln unterwegs. Was ihnen in den Kurven aber auch nicht viel weiter half.

Alfa Romeo im Aufwind

Die Sektorzeiten waren davon geprägt, wie ernsthaft die Fahrer am Abend des letzten Testtages Jagd auf die Bestzeit machten. Yuki Tsunoda, Carlos Sainz, Kimi Räikkönen und George Russell übten Qualifikation und sind deshalb einigermaßen miteinander vergleichbar. Dass der Alpha Tauri eine Bombe ist, hatte schon die Rennsimulation von Pierre Gasly gezeigt. Tsunoda legte noch einen drauf. Man muss aber auch erwähnen, dass die Autos von Alpha Tauri schon immer eine gute Figur in Bahrain gemacht hat. McLaren-Technikchef James Key warf ein: "Es ist ein Unterschied, ob du die schnellste Runde mit sechs oder 40 Kilogramm an Bord fährst."

Ferrari mag sich damit entschuldigen, dass Sainz mit einer Stufe härterer Reifen unterwegs war. Das sind aber nur drei Zehntel. Auf Tsunoda fehlten sechs. Kimi Räikkönen saß dem Ferrari mit seinem Alfa Romeo nicht nur auf eine Runde im Genick. Der Altmeister folgte auch in der Rennsimulation dem roten Auto wie ein Schatten.

Wie die Runde von 1.29,053 Minuten schon vermuten lässt, räumte Tsunoda bei den Sektorzeiten in seinem Umfeld alles ab. Im ersten Sektor folgte ihm Räikkönen, im zweiten Sainz und im dritten Sergio Perez, der allerdings früher am Tag unterwegs war und bei schlechteren Bedingungen fuhr. Allein der Unterschied in der Asphalttemperatur betrug 15 Grad. Die meiste Zeiten in Relation zur Sektorlänge machte Tsunoda im letzten Teil der Strecke gut. Das spricht dafür, dass der Alpha Tauri seine Reifen über die gesamte Runde gut in Schuss hält.

Wo verliert Mercedes auf Red Bull?

Max Verstappen hätte wohl noch ein gutes Stück schneller fahren können. Der Holländer hatte aber keine sauberen Runden. Einmal rutschte er neben die Strecke, das andere Mal stand ihm Nikita Mazepin im Weg. Der zehnfache GP-Sieger dominierte den zweiten Sektor mit zweieinhalb Zehntel Vorsprung, blieb aber sonst hinter seinem Kollegen vom Juniorteam. Das deutet an, dass er im ersten und letzten Teil der Strecke Zeit verschenkte. Tsunoda sollte für Hamiltons großen WM-Rivalen kein Gegner sein.

Mercedes taucht in der Zeitentabelle erst auf dem fünften Platz auf. Red Bull glaubt, dass Hamilton bei seinen schnellsten Runden mehr Sprit an Bord hatte als man selbst. Anderseits fuhr Hamilton den C5-Reifen, Verstappen nur die C4-Mischung, und hatte damit schon einmal drei Zehntel vom Extra-Grip in der Tasche. Da wachsen 1,1 Sekunden auf der Uhr auf 1,4 Sekunden reifenbereinigt an.

Um das mit Benzin auszugleichen, müsste der Mercedes 30 Kilogramm mehr im Tank gehabt haben. Davon ist kaum auszugehen. Die Probleme, die Hamilton und Bottas mit ihrem Auto hatten, waren offensichtlich. Der Weltmeister verliert überall auf Red Bull. Schaut man auf die Sektorzeiten, dann kostete das nervöse Heck im ersten und letzten Streckenabschnitt mehr Zeit. In den schnelleren Kurven im Mittelteil fiel der Rückstand auf Red Bull im Vergleich geringer aus. Das unterstreicht die Aussage eines Mercedes-Ingenieurs. Der Abtrieb ist da, aber das Auto benimmt sich aus irgendeinem Grund instabil.

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - Test - Bahrain - 14. März 2021
Motorsport Images

Ricciardo und Alonso fast gleichauf

Interessant ist auch ein Vergleich zwischen Daniel Ricciardo und Fernando Alonso. Beide begnügten sich mit dem C4-Reifen, beide stiegen eine Stunde vor allen anderen aus der Zeitenjagd aus. Ricciardo war auf die Runde um 0,174 Sekunden schneller als der Alpine-Pilot. Mit minimalen Unterschieden in den Sektoren. Den ersten gewann der Australier um 0,029 Sekunden, den zweiten um 0,132 Sekunden, um im letzten Sektor 0,013 Sekunden auf Alonso abzugeben. Die beiden werden sich wohl noch ein paar Mal auf der Strecke wiedertreffen.

Mercedes hatte wohl Recht. Es ist fast unmöglich, eine Rangliste aufzustellen, die mit Zahlen untermauert ist. Wir lassen das Bauchgefühl sprechen. Red Bull liegt vorne. Der Vorsprung wird sich daran festmachen, wie gut Mercedes sein Problem löst. Das Mittelfeld ist so eng gestaffelt wie im letzten Jahr, mit McLaren und Alpha Tauri an der Spitze und Ferrari und Alfa Romeo am Ende. Die Truppe aus Hinwil scheint den Anschluss an die Gruppe gefunden zu haben. Im Tabellenkeller werden Williams und Haas ihr eigenes Rennen fahren. Mit Vorteilen für Williams. Auch weil da ein George Russell im Auto sitzt.