Es ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Die neuen Autos für die Saison 2022 werden 43 Kilogramm schwerer, die Motoren müssen mit 10 Prozent Biosprit betrieben werden, was in der Theorie Power kostet. Und dann werden den Rennwagen auch noch die Flügel gestutzt. Der Abtrieb entsteht künftig zum großen Teil durch die großen Kanäle im Unterboden.
Doch noch weiß keiner genau, wie viel Anpressdruck am Ende zusammenkommt, wie viel Leistung den Motoren wirklich verloren geht und wie sich das dann schließlich auf die Rundenzeiten auswirkt. Die Fans müssen sich noch mindestens bis zum Auftakt der Wintertests in Barcelona (23.-25.2.) gedulden, bis es die ersten Antworten gibt.

Erste Simulationen der Teams
Die Teams sind natürlich schon etwas schlauer. Ingenieure können mit ihren komplizierten Simulationsprogrammen relativ genau berechnen, wie gut die Performance im Vergleich mit den Vorgängermodellen ausfallen wird. Doch von den Technikern will natürlich keiner die Karten frühzeitig auf den Tisch legen.
Jetzt gibt es aber dank Pirelli immerhin einen ersten Anhaltspunkt. Der Reifenlieferant muss sich bei seiner neuen Gummi-Generation auf die Daten der Teams verlassen und wird deshalb immer über den aktuellen Stand der Entwicklung informiert. Die umgebauten "Mule-Cars", die bei den Testfahrten in der Saison 2021 zum Einsatz kamen und die Eigenschaften der neuen Autos simulieren sollten, sind leider kein perfekter Gradmesser.
"Wir haben die Teams gebeten, extra viel Gewicht einzuladen, um auf die 2022er Werte zu kommen. Aber den größten Unterschied zu früher macht das neue Aero-Paket. Der Abtrieb wird künftig ganz anders produziert. Das hat dann einen großen Einfluss auf den Verschleiß und die Mischungen", erklärt Pirelli-Sportchef Mario Isola.

2022er Autos höchstens eine Sekunde langsamer
Das Fazit der letzten Tests in Abu Dhabi fiel laut Isola positiv aus: "Wir haben den Gripverlust über die Distanz gemessen. Das lag im Rahmen von dem, was wir erwartet haben. Über den Verschleiß können wir aber noch keine Aussage treffen. Das lässt sich mit den Mule-Cars leider nicht hundertprozentig simulieren. Wir haben aber aktuelle Daten von den Teams bekommen. Die besagen, dass die neuen Autos nicht viel langsamer sein werden als die letztjährigen Autos."
Die Ingenieure aus Mailand haben somit als erste einen Einblick davon bekommen, was uns 2022 erwartet. "Am Anfang wurde noch von einem Unterschied von drei Sekunden gesprochen. Jetzt gehen wir eher von einer halben bis zu einer Sekunde aus. Und wenn die Teams mit einem Rückstand von einer Sekunde starten, dann bedeutet es, dass sie im Laufe der Saison auf das gleiche Performance-Level wie in der Vorsaison kommen", rechnet Isola vor.
Damit liegen die Daten der Teams in dem Bereich, den auch die Verantwortlichen der Formel 1 zuletzt prognostiziert haben. F1-Technikchef Pat Symonds ging nach den internen Simulationen im Herbst von einem Zeitverlust von einer halben Sekunde aus.
Sollten sich die Autos auf der Strecke ganz anders verhalten als erwartet, kann Pirelli aber laut Isola noch reagieren. "Wir sind mit dem aktuellen Produkt zufrieden. Aber wir sind auch darauf vorbereitet, dass wir noch etwas Feintuning vornehmen müssen."
Weniger Verschleiß, weniger Stopps?
Um es den Teams einfacher zu machen, hat Pirelli den Härtegrad der Mischungen im Vergleich zu früher nicht verändert. "Aber wir haben eine neue chemische Mischung verwendet. Es stecken jetzt neue Inhaltsstoffe im Gummi. Bei der Entwicklung haben wir mit der mittleren Sorte begonnen und davon dann die Mischungen darüber und darunter abgeleitet", erklärt Isola das Vorgehen.
Mit der neuen Zusammensetzung will man vor allem die Gefahr von Überhitzung reduzieren. Früher begannen die Autos im Verkehr schnell zu rutschen, wodurch die Temperaturen auf der Oberfläche der Reifen in die Höhe geschnellt sind. Das hat den Verschleiß erhöht und den Grip verringert.
Die Frage lautet allerdings, ob die verbesserte Haltbarkeit auf Kosten der Strategie-Varianz geht. Auch bei Pirelli ist man gespannt, wie sich das neue Produkt in der Praxis schlägt. "Ich hoffe nicht, dass es weniger Strategie-Optionen gibt. Wir hatten bei der Entwicklung das Ziel, eine gute Mischung aus Ein- und Zweistopp-Rennen hinzubekommen", so Isola.
"Es kann aber sein, dass es weniger Abnutzung gibt, was zu weniger Boxenstopps führt. Schon in der letzten Saison haben wir vermehrt Einstopprennen gesehen. Für mich ist das aber kein großes Problem, solange wir gute Rennen mit Action auf der Strecke haben. Wir wollen, dass die Fahrer richtig attackieren können."