Die Formel 1 steuerte scheinbar auf ein großes Finale zu. Max Verstappen hatte dem Rennen in Monza bis zur 47. Runde seinen Stempel aufgedrückt. Er war in seinem Red Bull schneller als Rivale Charles Leclerc. Sein Auto pflegte obendrein die Reifen besser. Und Ferrari hatte taktisch kein Glück auf seiner Seite. Es brauchte schon verrückte Umstände, damit Leclerc doch noch ein zweites Mal nach 2019 in Monza gewinnen würde können.
Als Daniel Ricciardo seinen McLaren im 47. Umlauf parkte, und die Rennleitung mit etwas Verspätung das Safety Car entsandte, da schien sich für Ferrari doch noch einmal ein Türspalt zu öffnen. Zwar konnte Max Verstappen stoppen, ohne einen Positionsverlust fürchten zu müssen. Allerdings war sein Vorsprung von mehr als 17 Sekunden mit einem Schlag verdampft. Leclerc witterte seine Möglichkeit. Die Ferrari-Fans stießen ein Stoßgebet in den Himmel – voller Hoffnung auf ein Super-Finale mit Happy End.

Red Bull ohne Sorge
Umso größer war die Enttäuschung, als sieben Runden später das Feld hinter dem Safety Car aus der Zielkurve tuckerte und Verstappen mühelos den fünften GP-Sieg in Serie einsammelte. "Das Ende ist frustrierend. Ich hätte so gerne noch eine Chance gehabt", verfluchte Leclerc die Umstände. Das 16. Rennen der Saison war unter Safety Car zu Ende gegangen. Von den Rängen hagelte es ein schallendes Pfeifkonzert für die Formel 1. Die Rechteinhaber um Liberty Media sollen angesichts dieses Ausgangs geschäumt haben. So wollte keiner die Party am Rennsonntag von Monza enden sehen.
Auch nicht Red Bull. Max Verstappen hätte kein Problem mit einer letzten Grünphase gehabt. Red Bulls Superstar fühlte sich für eine letzte Attacke von Leclerc gerüstet. Der Ferrari hatte zwar den kleineren Flügel und dadurch den höheren Topspeed. Doch Verstappen hatte frische Softreifen beim letzten Boxenstopp aufgezogen und Leclerc nur noch einen gebrauchten Satz dieser Garnitur übrig. So urteile Red Bulls Teamchef Christian Horner. "Wir hätten einen Neustart gerne gesehen. Wir waren zuversichtlich, dass Max trotzdem gewonnen hätte. Wir hatten die besseren Reifen und waren schneller als Ferrari."
Horner äußerte Unverständnis und sprach damit den rivalisierenden Fans aus der Seele. "Schade, dass bei einem simplen Zwischenfall wie diesem sieben Runden nicht ausreichen, damit die Strecke wieder freigegeben werden kann." Es hatten sich unglückliche Umstände verkettet, was schlussendlich dazu führte, dass das Safety Car bis zum bitteren Ende draußen blieb und Pilot Bernd Mayländer unfreiwillig den Party-Crasher gab.
Mercedes applaudiert Rennleitung
Zählen wir sie auf. Der McLaren stand an einer unglücklichen Stelle. Die Technik erschwerte eine rasche Bergung. Das Safety Car kehrte vor dem falschen Fahrer auf die Strecke. Es dauerte zu lange, das Feld zu sortieren. Das machte einen Neustart letztendlich unmöglich. Zumal das Regelwerk nach dem Skandalfinale von Abu Dhabi dahingehend mit Nachdruck präzisiert worden war, dass nach dem Zurückrunden noch eine weitere Runde gefahren werden muss, ehe die Rennleitung wieder freigibt.
Mercedes-Teamchef Toto Wolff applaudierte deshalb. Die Marke mit dem Stern hatte sich in Abu Dhabi um den WM-Titel mit Lewis Hamilton gebracht gefühlt, nachdem Ex-FIA-Rennleiter Michael Masi das Regelwerk zugunsten eines Finales unter Grün gebogen hatte. Nachfolger Niels Wittich hielt sich an den Wortlaut. "Die Regeln sind klar formuliert. Sie wurden heute eingehalten", sagt Wolff. "Entgegen des Druck von den Medien und der Fans."
Wahrscheinlich wäre derGrand Prix nicht anders ausgegangen. Doch es hätte besser laufen können. Ricciardo stellte seinen McLaren mit Antriebsschaden zwischen den Lesmo-Kurven ab. Auf der Innenseite halb auf dem Grünstreifen und halb auf dem Asphalt. Der Australier handelte korrekt. Jedoch war hinter der Leitplanke auf der Innenseite kein Bergekran abgestellt. Dieser musste erstmal quer über die Rennstrecke angekarrt werden. Das verzögerte die Abschlepparbeiten.

McLaren steckt im Gang fest
Obendrein steckte der McLaren im Gang fest. "Die Marshalls waren nicht in der Lage, das Auto in neutral zu stellen", schilderte die FIA. So war es nicht möglich, den Papaya-Rennwagen einfach auf einen Fluchtweg zu rollen. Streckenposten mussten auf die Piste. Und in einem solchen Fall zählt für den Weltverband nur der Schutz der involvierten Personen. "Die Sicherheit während des Bergungsvorgangs ist unsere einzige Priorität."
In einer solchen Situation wird das Safety Car schnellstmöglich auf die Rennstrecke geschickt. Verstappen und Leclerc rollten noch herum, während der drittplatzierte George Russell just in Runde 47 an den Boxen war, und dort frische Reifen bekam. Damit sammelte Bernd Mayländer im Aston-Martin-Safety-Car den Mercedes als erstes Fahrzeug hinter sich ein. Russell und Gefolgschaft durften nicht überholen, weil der grüne Leuchtbalken auf dem Sicherheitsauto nicht angeschaltet war.
Verstappen und Leclerc holten sich in Runde 48 ein letztes Mal frische Reifen. Und bummelten danach mit 140 Prozent der erlaubten Renngeschwindigkeit herum. Also im VSC-Tempo. Valtteri Bottas und Yuki Tsunoda steckten zwischen den beiden Rivalen. Es dauerte in Summe zwei Runden, bis die Rennleitung Russell und Hintermännern erlaubte, am Safety Car vorbeizufahren. Manche meinen, das hätte sofort passieren müssen.
Ferrari kritisiert lange Dauer
Es hatte sich schließlich kein schwerer Unfall ereignet. Die Fahrer mussten ohnehin eine Maximalgeschwindigkeit einhalten. Und sie wussten ja, wo die Streckenposten arbeiten. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto kritisierte, dass es einfach zu lange brauchte, Ordnung ins Feld zu bringen. "Wir verstehen und akzeptieren, dass es ein Problem mit dem Auto von Ricciardo gab. Aber wir verstehen nicht, warum es so lange gedauert hat, die Autos, die hinter dem Safety Car steckten, durchzuwinken. In dieser Beziehung hat die Rennleitung heute keinen guten Job gemacht."
Aus der Rennleitung heißt es dazu, dass man Russell so lange hinter dem Safety Car hielt, um gefahrlos den Abschleppwagen über die Strecke fahren zu lassen. Und ob es auch sonst gereicht hätte, nochmals anzupfeifen? Das lässt sich kaum beantworten. Wahrscheinlich aber nicht, wenn sich alle ordnungsgemäß zurückrunden sollen. Einen Rennabbruch zugunsten der Show mit anschließendem stehenden Start schloss die FIA aus. "Der Zwischenfall war nicht schwer genug, als dass eine rote Flagge gerechtfertigt gewesen wäre." Dem schließt sich Mercedes-Teamchef Wolff an. "Die Strecke war nicht blockiert. Alle konnten vorbeifahren. Es gab kein Kleinholz. Dann kannst du nicht einfach abbrechen."
Dem stimmt auch Ferrari-Teamchef Binotto zu. "Das ist keine Frage der Regeln. FIA, Formel 1 und die Teams hatten nach Abu Dhabi die Köpfe zusammengesteckt. Wir sind damals zum Entschluss gekommen, dass die Regeln gut sind." Die Showmacher der Königsklasse werden das nicht gerne hören. Vielleicht werden sie Änderungen anregen und anstreben. "Dafür müssen wir von hinten denken, und dann die Regeln möglicherweise anpassen. Es muss mit der Frage beginnen: Wollen wir in jedem Fall ein Rennende unter grüner Flagge? Entsprechend müsste man vorgehen", meint Wolff.