E-Fuels für Formel 1: Teams erhalten Test-Benzin

FIA-Motorenchef Gilles Simon im Interview
„F1-Motor läuft mit unserem Sprit“

Die FIA hat einen nachhaltigen Kraftstoff zu Testzwecken entwickelt. Warum?

Simon: Wir haben einen Prototypen entwickelt, weil wir selbst herausfinden wollten, welche unterschiedliche Technologien auf dem Markt sind und wie sie verfügbar sind. Konzepte sind eine Sache. Wenn du dann aber fragst, ob du 1.000 Liter davon haben kannst, heißt es plötzlich: In zwei Jahren kannst den Sprit haben. Es hat sich herausgestellt, dass es unterschiedliche Wege gibt. Der Prototyp, den wir entwickelt haben, ist sicher noch nicht perfekt, aber er erfüllt die physikalischen Erfordernisse für einen Formel-1-Motor. Die Motoren laufen damit. Das erste Ziel war es, ihn früh zu vernünftigen Preisen zur Verfügung zu stellen.

Es gibt mehrere Arten von nachhaltigen Kraftstoffen. Welchen Weg haben sie gewählt?

Simon: Die Prozesse zur Entwicklung unterschiedlicher Kraftstoffe sind bekannt. Fragezeichen gibt es in der Verwendung. Die klassischen E-Fuels, die im Labor aus Wasserstoff und Kohlendioxyd hergestellt werden, gibt es leider noch nicht in ausreichender Menge. Darüber hinaus eignet sich dieser Sprit für Anwendungen im Motorsport noch nicht. Das liegt an dem niedrigen Oktan-Index. 95 Oktan sind schon eine Herausforderung. Ganz zu schweigen von 102 oder 104 Oktan, die wir brauchen. Dann gibt es da die synthetischen Dieselkraftstoffe oder Sprit für Flugzeugtriebwerke. Diese so genannten HVO-Treibstoffe stammen aus hydriertem Pflanzenöl. Das wird künftig die Basis für unsere Truck-Rennserien sein. Zum Teil ist sie im Dieselkraftstoff schon drin. Unser Ziel sind aber 100 Prozent HVO-Kraftstoffe. Aus dem Herstellungsprozess lässt sich viel lernen für Kraftstoffe, die bei niedrigen Temperaturen zünden und bessere Eigenschaften haben als die reinen E-Fuels. Das macht aber aus ökonomischer Sicht keinen Sinn. Firmen wie Nesté oder Total, die diesen Sprit bereits herstellen, konzentrieren sich voll auf Diesel-Kraftstoff. Aus dem Herstellungsprozess lässt sich als Nebenprodukt auch Benzin ableiten. Das würde aber zu lange dauern. Diese Zeit haben wir nicht. Unser Produkt besteht aus drei Elementen: Biologischer Abfall ist die Basis. Daraus erhalten wir nachhaltige Kohlenwasserstoffe. Dann kommt 20 Prozent Ethanol dazu, ebenfalls erzeugt aus landwirtschaftlichen Abfällen. Um die Qualität des Benzin zu verbessern, brauchen wir spezielle Toluene, die ebenfalls wieder aus Abfällen erstellt werden. Das ist ein recht neuer, frisch patentierter Arbeitsschritt, den wir verfeinert haben um die physikalischen Bestandteile für Formel 1-Benzin zu erreichen. Da hat uns ein Start-up Unternehmen geholfen, das sich auf diese Verfahren mit komplexen Molekülen spezialisiert hat. Unser Kraftstoff hat eine Oktanzahl, die ähnlich der ist, die wir in der Formel 1 verwenden. Also zwischen 102 und 104 Oktan.

Gilles Simon - Ferrari
Motorsport Images

Jeder Hersteller hat diesen Sprit bekommen. In welcher Menge?

Simon: 200 Liter für jeden.

Müssen die Hersteller ihre Motoren umbauen, damit sie mit diesem Sprit laufen?

Simon: Unser Abkommen mit den Herstellern sieht so aus: Wir definieren die physikalischen Parameter für den Kraftstoff, mit denen die aktuellen Motoren betrieben werden können. Sie fahren auf ihren Prüfständen mit ihren Standard-Einstellungen. So lernen wir besser über die Unterschiede zwischen unserem Sprit und dem Benzin, das sie sonst benutzen. Unterschiede in Bezug auf die Verbrennungsgeschwindigkeit, Klopffestigkeit, Leistung, Verbrauch. Natürlich können wir von der ersten Spezifikation unseres Prototyps nicht erwarten, dass er die gleichen Leistungsdaten wie die Kraftstoffe produziert, die über Jahre entwickelt und alle drei Monate verbessert wurden. Wir werden von allen vier Herstellern die Daten sammeln, sie analysieren und zu Schlussfolgerungen für den nächsten Schritt kommen. Ich glaube wir liegen gut im Marschplan.

Was passiert dann?

Simon: Für uns geht es darum, mehr über diese Kraftstoffe zu erfahren, um später die Parameter für künftige Kraftstoffe festzulegen und mit nachvollziehbaren Daten ein Reglement zu schreiben. Wir haben nicht die Absicht, selbst Sprit herzustellen. In Zusammenarbeit mit den Herstellern nähern wir uns auf pragmatische Weise der Lösung. Der Datenaustausch ist natürlich delikat, weil sie Wettbewerber sind. Trotzdem glaube ich, dass sich da eine technische Gemeinschaft bildet, die das Thema vorantreibt. Alles fundiert auf wissenschaftlichen Daten und Fakten ohne Politik.

Wann erwarten Sie erste Ergebnisse?

Simon: Es wird noch einen Monat dauern. Wir wollen die Ergebnisse aller vier Hersteller abwarten. Auch von Honda. Der Weg nach Japan und zurück braucht immer etwas mehr Zeit.

Formel 1 - Benzin
xpb

Was wird dabei herauskommen?

Simon: Jedes Formel-1-Triebwerk kann mit diesem Sprit betrieben werden, ohne dass der Motor auseinanderfliegt. Das ist schon mal eine Leistung. Ich erwarte etwas Leistungsverlust, weil die Motoren für diesen Sprit nicht adaptiert wurden. Stattdessen wurden sie in den letzten sieben Jahren quasi für den konventionellen Kraftstoff maßgeschneidert. Wie viel weniger Leistung sie feststellen werden, ist schwer zu prognostizieren. Es wird weniger sein. Wir sind ja kein Sprithersteller. Bis 2025 haben wir ja noch Zeit, den Kraftstoff und die Motoren aufeinander abzustimmen.

Wäre es so schlimm für die Formel 1, wenn bei 1.000 PS Systemleistung plötzlich 20 oder 30 PS fehlen würden?

Simon: Ich glaube nicht, dass das schlimm wäre. Formel-1-Autos wären immer noch schnell. Ein wichtigeres Thema ist die Standfestigkeit. Die Motoren werden alle haarscharf an der Klopfgrenze betrieben. Ein bisschen drüber, und du zerstörst alles. Wir müssen schauen, dass wir ein zuverlässiges Paket schnüren. Deshalb wird es noch ein paar Jahre dauern, diesen Sprit in der Formel 1 einzusetzen. Dann ist da auch noch das Mengenproblem. 1.000 Liter sind schnell hergestellt. Eine Million ist schon schwieriger. Im Moment tut sich bei der Komponentenherstellung von E-Fuels viel. Aber es wird noch ein bisschen Zeit brauchen.

Die FIA ist offen gegenüber unterschiedlichen Technologien. Ist von außen schon etwas an Sie herangetragen worden?

Simon: Wir diskutieren das mit den Kraftstoffherstellern. Nicht nur für die Formel 1. Es ist der Plan, alle FIA-Meisterschaften auf nachhaltige Kraftstoffe umzustellen. Vielleicht geht es in anderen Kategorien sogar schneller. Zum Beispiel dort, wo es nur einen Spritlieferanten gibt. Da findet man schneller eine Lösung. Da müssen sich die Motorenleute dem Benzin anpassen. Unsere Benzin-Firmen in der Formel 1 forschen gerade in verschiedene Richtungen. Wir werden das alles zusammentragen und dann schriftlich definieren, was akzeptabel ist und was nicht. Wir befinden uns gerade in einem Lernprozess.

Formel 1 - Benzin
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Ursprünglich sollte 100 Prozent synthetischer Kraftstoff bereits 2023 kommen. Jetzt will man das neue Motorenformat für 2025 abwarten. Werden da nicht zwei Jahre verschwendet?

Simon: Das würde ich nicht sagen. Wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder warten bis 2025 oder den Sprit schon 2023 bringen und zwei Jahre später den neuen Motor. Der zweite Weg kostet Geld. Weil die Hersteller die Arbeit zwei Mal machen müssen. Mit den aktuellen Motoren wird diese Anpassung viel komplexer sein als mit den Triebwerken, die uns ab 2025 vorschweben. Die Motoren von heute sind so speziell, dass sie ganz besondere Anforderungen an einen Kraftstoff stellen. Die Kraftstoffe sind deshalb extrem effizient mit einer sehr hohen Energiedichte. Mit den neuen Motoren werden wir in eine Richtung gehen, die sich auch an der Technologie der Zukunft für die Kraftstoffentwicklung anlehnt.

Haben Sie nicht Angst, dass die Politik Fakten schafft und sich auf voll elektrische Antriebe versteift, statt mit E-Fuels auf ein zweites Standbein zu setzen?

Simon: Das ist keine technische Frage. Deshalb meine persönliche Meinung: Im Vergleich zum Rennsport ist die Politik eher träge. Wenn wir durch unsere Forschung in der Lage sind zu demonstrieren, dass wir Fortschritte auf dem Gebiet der nachhaltigen Kraftstoffe machen, dann kann das die Politik nicht ignorieren. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass wir zusammen mit den Mineralölgesellschaften erklären, was wir da tun, und welche Schritte warum eingeleitet werden. Je eher desto besser. Aber ich wäre da jetzt noch nicht zu nervös. Wir haben ja auch noch die Möglichkeit, nachhaltige Produkte früher in anderen Rennserien mit weniger hohen Ansprüchen einzuführen.

Wie muss der künftige Formel-1-Motor aussehen, damit er mit diesem Sprit kompatibel ist?

Simon: Die künftige Antriebseinheit der Formel 1 muss mit nachhaltigem Kraftstoff betrieben werden, muss weniger Sprit verbrauchen, weniger Schadstoffe ausstoßen und einen höheren Anteil an elektrischer Leistung beisteuern. Deshalb arbeiten wir in einem zweiten Projekt daran, wie mager wir bei Volllast fahren können. In einem Straßenauto bewegen sie sich eher selten im Volllastbereich. Der Verbrauch wird hauptsächlich im Teillastbereich definiert. Deshalb werden Straßenmotoren so ausgelegt, dass sie bei Teillast sehr effizient sind. Das gleiche bei Volllast zu realisieren ist sehr schwierig. Das ist unsere Aufgabe. Wir glauben, dass wir die Effizienz des Antriebs noch einmal um zehn Prozent steigern können. Dafür brauchen wir einen Kraftstoff, der weniger abhängig von der Oktanzahl ist. Wir befinden uns gerade in der Forschungsphase, wie wir den künftigen Motor definieren müssen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. In Kürze werden wir diese Informationen mit allen Herstellern austauschen und dann beginnen ein Reglement rundherum zu stricken.