Durchbruch bei F1-Kraftstoff: 2023 mit 100 Prozent nachhaltigem Sprit

Durchbruch bei Benzinentwicklung
2023 mit 100% nachhaltigem Sprit

Die Forderung nach Nachhaltigkeit macht auch vor dem Motorsport nicht halt. Gerade ein Wettkampf mit vermeintlichen Dreckschleudern steht unter besonderer Beobachtung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis militante Umweltschützer Auto- und Motorradrennen ins Visier nehmen und nach der Sinnhaftigkeit fragen werden.

Da hilft dann auch das Argument nicht mehr, dass die im Motorsport verbrannten Spritmengen weltweit noch nicht einmal an der 20. Stelle hinter dem Komma messbar sind. Motorsport und Umwelt kann ganz schnell zu einem emotionalen Streitthema werden und aus dem Ruder laufen.

Das weiß auch FIA-Präsident Jean Todt. Deshalb hat er 2014 die Einführung der aktuellen Hybridantriebe unterstützt und auch dann noch verteidigt, als Kritik aufkam, dass diese Technikmonster für den Rennsport eigentlich untauglich sind. Politisch aber helfen sie dem Weltverband und den beteiligten Autokonzernen als Feigenblatt.

Ein Formel 1-Motor ist heute das effizienteste Triebwerk, das je gebaut wurde. Mehr als 50 Prozent der Wärmeenergie werden in Vortrieb umgesetzt. Moderne Dieselmotoren in der Serie schaffen gerade mal 40 Prozent.

Gilles Simon - FIA - Formel 1

FIA sattelt ein zweites Pferd

Doch das reicht dem Weltverband nicht. Die Formel 1 muss nicht nur effizient sein, sie muss insgesamt auch ein nachhaltiges Technologie-Konzept abliefern. Mehr als jeder andere Sport, weil er so leicht angreifbar ist. Mit der Formel E allein ist es nicht getan. Jeder weiß, dass da weniger "E" drinsteckt, als einem die Marketingexperten der Werke vorgaukeln.

Die Batterien werden mit Generatoren geladen, die an den meisten Veranstaltungsorten noch mit Dieselkraftstoff betrieben werden. Und dort, wo umweltfreundliches Aquafuel zum Einsatz kommt, müsste man die Serienbetreiber fragen: Warum verfeuert ihr diesen Sprit nicht gleich in einem Verbrennungsmotor? Wozu der Umweg über die Batterie?

Deshalb sattelt die FIA ein zweites Pferd. Für alle Rennserien mit klassischen Antrieben soll der Kraftstoff nachhaltig werden. Das heißt in diesem Fall, dass bei der Produktion gleich viel Kohlendioxyd aus der Atmosphäre gebunden wird, wie später bei der Verbrennung wieder in dem Umlauf kommt.

Vorreiterrolle für Motorsport

FIA-Motorenchef Gilles Simon leitet das Forschungsprojekt, das CO2-Neutralität zum Ziel hat: "Wenn wir Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Kraftstoffen und effizienten Antrieben demonstrieren, senden wir zwei Nachrichten aus: Wir tun etwas mit unserem Sport und wir öffnen neue Wege. Wir optimieren nicht nur unsere eigene Effizienz, wir treiben die Entwicklung von Technologien voran, die der Serie einmal nutzen könnten. Der Motorsport muss da eine Vorreiterrolle spielen."

Bei nachhaltigen Kraftstoffen unterscheidet man zwei Quellen. Die eine basiert auf biologischen Abfällen, die andere sind synthetische Kraftstoffe, die durch eine Reihe von chemischen Verfahren aus Wasserstoff und Kohlendioxyd im Labor gewonnen werden. Die FIA betreibt ihre Forschung in beide Richtungen.

"Wir wollen für die Formel 1 keine der beiden ausschließen", sagt Simon. "Unser Ziel ist es, die Kraftstoff-Unternehmen für unseren Plan zu gewinnen. Deshalb wollen wir ihnen erlauben, einen individuellen Weg zu bestreiten. Voraussetzung ist nur, dass die Technologie nachhaltig und der Kraftstoff CO2 neutral ist. Im Moment prüfen wir noch die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Lösungen."

Petronas - Formel 1 - GP Deutschland - Hockenheim - 27. Juli 2016
ams

In zwei Schritten zum Ziel

Der Fahrplan ist ehrgeizig. Ursprünglich sollte es ein Stufenmodell in 20 Prozent-Schritten geben. Das wollen Todt und Simon drastisch abkürzen. 2022 werden mit Einführung der neuen Autos dem Kraftstoff 20 Prozent aus Biomasse beigemischt. "Schon 2023 wollen wir in der Formel 1 zu hundert Prozent mit nachhaltigem Kraftstoff fahren", bekräftigt Simon.

Der Wettbewerb soll die Entwicklung dann beschleunigen. "Dabei können auch völlig neue Technologien entstehen, die wir im Moment noch gar nicht auf dem Schirm haben. Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die Technologien und Prozesse, die zur Anwendung kommen, auch nachhaltig sind."

Bevor es so weit ist, muss die FIA den Motorenherstellern und den Kraftstofflieferanten beweisen, dass es möglich ist. Simon: "Wir betreiben gerade Forschung auf diesem Gebiet. Die erste große Herausforderung ist, dass wir die aktuellen Motoren dabei nicht fundamental ändern wollen. 2023 liegt quasi um die Ecke. Und so haben wir die Motorenhersteller auf unserer Seite. Wir könnten zum Beispiel zu 100 Prozent mit Alkohol fahren, doch dann wäre der Wirkungsgrad so schlecht, dass die Hersteller neue Motoren bauen müssten. Und wir würden viel von der Effizienz verlieren, die mit den aktuellen Motoren erreicht wird."

"Für IndyCar ist es eine adäquate Lösung, weil sie von vornherein diesen Weg gegangen sind. Für die Formel 1 würde das keinen Sinn machen. Das Ei des Kolumbus ist also: Wir brauchen einen Kraftstoff, der dem aktuellen sehr ähnlich ist, der aber nachhaltige Wurzeln hat. Das ist möglich. Die Technologie dafür ist bereits vorhanden. Es ist nicht so, dass wir sagen müssten: Wie sollen wir das machen? Da sind wir schon viele Schritte weiter. Wir befinden uns derzeit schon in einem Stadium, wo wir die Teile des Puzzles nur noch richtig zusammensetzen müssen."

Die Techniker unter der Leitung des früheren Chefkonstrukteurs von Peugeot und Ferrari betreiben dabei nicht nur Kopfarbeit. In Zusammenarbeit mit einem Labor wird echtes Benzin gemixt. "Wir produzieren Kraftstoffe für Testzwecke", verrät Simon. Die sollen noch in diesem Jahr an aktuellen Formel 1-Triebwerken auf dem Prüfstand auf ihre Tauglichkeit untersucht werden.

Simon ist zuversichtlich: "Alle vier Motorenhersteller haben uns versichert, dass sie diesen Weg mitgehen wollen, wenn wir demonstrieren können, dass es möglich ist. Wir verstehen die Technologie und schauen gerade, wo ihre Grenzen liegen oder welche Parameter wir noch ändern müssen." Der 61-jährige Franzose sieht die größte Hürde 2022: "Ich glaube, dass der erste geplante Schritt, dem Kraftstoff 20 Prozent Biosprit beizumischen für die Motoreningenieure die größere Herausforderung sein wird, als der zweite, auf 100 Prozent zu springen."

Mercedes - V6 Hybrid - Formel 1-Motor 2015
Mercedes

Eine Million Liter für F1-Saison

Ist der erste Schritt einmal getan, ist der zweite kein Hexenwerk mehr. Was sich in der Formel 1 bewährt, soll danach auch für andere Rennserie gelten. Was dort wesentlich einfacher durchzusetzen ist, weil es dort zumeist nur einen Generalausrüster für Benzin gibt.

In der Theorie wäre der Motorsport mit nachhaltigem Kraftstoff unabhängig von der Motor-Architektur. Sauber ist sauber, egal wie viel man verbraucht. Simon nimmt uns trotzdem die Hoffnung, dass der Zwölfzylinder zurückkommt: "Technologie hilft immer. Warum sollen wir etwas aufgeben, das wir uns mühsam erarbeitet haben? Wir wollen trotz der Kraftstoffentwicklung die Effizienz nicht aus dem Auge verlieren. Dafür brauchen wir irgendeine Form von Energierückgewinnung. Um so effizient wie möglich zu sein, umso wenig Benzin wie möglich zu verbrennen, brauchen wir weiter den Hybridantrieb. Das muss weiter unser Ziel bleiben."

Für Serienautos gibt es bei synthetischem Kraftstoff noch zwei Hindernisse. Zum einen ist es schwierig, ihn in großen Mengen zu produzieren. Zum anderen wäre er sehr teuer. Für den Motorsport trifft das laut Simon nicht zu. "Zur Zeit benötigt die Formel 1 für Rennen, Testfahrten und Prüfstandsläufe pro Jahr ungefähr eine Million Liter Kraftstoff. Das hört sich viel an, ist aber tatsächlich eine sehr kleine Menge. Diese zu produzieren wäre kein Problem."

Auch wenn der Preis pro Liter heute noch nicht abschätzbar ist, wird er nicht teurer sein als der aktuelle Kraftstoff. " Wegen der intensiven Entwicklungsarbeit, um mehr Leistung aus den Motoren zu holen, und wegen der Produktion dieses Benzins in sehr hoher Qualität, ist der Preis entsprechend hoch. Da sind komplexe Prozesse, viele Testläufe und viele Ingenieure zu bezahlen. Die Produktion für einen Einsatz von synthetischen Kraftstoffen in der Serie wird am Anfang sicher teurer sein. Aber wir stehen erst am Anfang. Wir wollen mit der Formel 1 beweisen, dass es möglich ist. Daraus werden auch kostengünstigere Produktionsverfahren entstehen."

Während die Motorenhersteller den Plan der FIA mittragen, ist das Echo bei den Mineralölkonzernen noch gemischt. "Wenn wir ihnen aber sinnvolle technische Vorschläge machen, sollten wir sie auch überzeugen können. Es wir von unseren Resultaten abhängen", hofft Simon.

Viel weiter muss er sich nicht sorgen. Am Ende wird der gesellschaftliche Druck auf Konzerne wie Shell, Mobil, BP oder Petronas so groß, dass sie sich nicht widersetzen können. Der Wettbewerb wird ihnen eine neue Marketingplattform geben: "Deshalb wollen wir die Technologie ja auch offen halten, um die Kraftstofffirmen mit ins Boot zu ziehen. So können sie ihre Kompetenz beweisen."