Vor der Qualifikation gab es nur einen Kandidaten für die Pole Position. Charles Leclerc dominierte das freie Training in einem Maße, wie man es selbst in den besten Zeiten von Max Verstappen selten gesehen hatte. Doch genau daraus entstand auch der Druck zu hoher Erwartungen. "Da kannst du eigentlich nur verlieren. Wenn du dann nicht auf die Pole Position fährst, siehst du aus wie ein Idiot", fürchtete Leclerc.
Drei Trainingssitzungen lang lief alles nach Maß. Doch vor der entscheidenden Sitzung gab es plötzlich Alarm in der Garage des Autos mit der Startnummer 16. Der Motor musste getauscht werden. Es gab eine kleine Unsicherheit um das pneumatische Ventilsystem. "Das ist keine Nachricht, die du vor der Qualifikation hören willst", gab Leclerc zu.
Der Monegasse hatte schon in Imola ein neues Triebwerk bekommen, weil bei der in Miami eingesetzten Einheit verdächtige Daten festgestellt wurden. Ferrari wollte dieses Exemplar erst wieder ab dem GP Kanada in den Freitagstrainings einsetzen. So musste Leclerc zurück auf Motor Nummer eins aus dem Pool.

Leclerc setzte sich in der Quali durch – aber mit Hindernissen.
Die Plastiktüte im Frontflügel
Kaum hatte das Q1 begonnen, gab es mehr Ärger für Ferrari. Zuerst stand Carlos Sainz dem Williams von Alexander Albon in Kurve 15 im Weg. Der Spanier musste später bei den Sportkommissaren vorsprechen. Der haushohe Favorit kam nur langsam im Gang und rückte im Verlauf der ersten K.O.-Runde immer wieder in die Nähe der Abstiegsplätze. Eine Plastiktüte hatte sich in Leclercs Frontflügel verfangen. "Das kostete 20 Punkte Abtrieb", berichtete Teamchef Frédéric Vasseur.
Leclerc musste einen unplanmäßigen Boxenstopp einlegen, um das Teil entfernen zu lassen. Lando Norris traf es zur gleichen Zeit noch schlimmer. Bei ihm verhedderte sich ein Werbebanner unter dem Auto. Das kostete drei Sekunden pro Runde. Auch Norris war gezwungen drei Minuten vor Ende des Q1 zum Notservice einen extra Stopp abwickeln.
Doch auch ohne Fremdkörper fühlte sich der Ferrari für Leclerc anders an als in allen Trainingssitzungen davor. Seine Erklärung: "In der Qualifikation kommst du noch einmal schneller in den Kurven an als in den freien Trainings. Du kannst schwer antizipieren wie sich das Auto über die Randsteine mit höherem Speed anfühlen wird. Für meinen Geschmack waren die Räder zu stark in der Luft."

Ferrari hatte sowohl Sorgen bei Carlos Sainz als auch bei Leclerc.
Frontflügel eine Stufe steiler
Leclerc ließ vor dem Top Ten-Finale den Frontflügel eine Stufe steiler stellen, um dem SF-24 mehr Abtrieb an der Vorderachse zu gönnen. Das war der entscheidende Kunstgriff. "Gleich fühlte sich das Auto viel besser an als im Q1 und Q2." Die Pole Position war dann fast eine Pflichtübung. Auch Leclercs zweitschnellste Runde mit 1.10,418 Minuten hätte für die Bestzeit gereicht.
Der Vorsprung auf die McLaren war mit 0,154 Sekunden ziemlich deutlich, wenn man einrechnet, dass zwischen dem Zweiten Piastri und dem Siebten Hamilton nur 0,103 Sekunden lagen. "Ich hätte schon den zweiten Teil meiner ersten Runde und den ersten meines zweiten Versuchs zusammenbringen müssen, um gegen Charles eine Chance zu haben", gab Oscar Piastri zu.
Ferrari spielte in Monte Carlo den größten Vorzug seines Autos aus. Kein Mitkonkurrent schluckt Randsteine und Bodenwellen so gut wie der SF-24. McLaren verliert in diesen Passagen dezent Rundenzeit auf Ferrari, Red Bull massiv. Das macht Vasseur Hoffnung für Montreal: "Dort kommt es noch mehr darauf an wie du über die Randsteine kommst."
23 Pole Positions, nur fünf Siege
Für Leclerc ist es nach 2021 und 2022 bereits die dritte Pole Position in seiner Heimatstadt. Beide Mal konnte er nicht gewinnen. 2021 zerbröselte ihm die Antriebswelle auf dem Weg in die Startaufstellung. Ein Folgeschaden nach einem Trainingsunfall. 2022 leistete sich Ferrari einen Strategie-Flop. Bei Leclerc ist das Missverhältnis zwischen Trainingsbestzeiten und Sieger so groß wie bei keinem anderen Fahrer. 23 Pole Positions stehen nur fünf Siege gegenüber.

Charles Leclerc hat wenige Poles in Siege umgemünzt.
Der Lokalheld versucht die traumatischen Erfahrungen vor seiner Haustür genauso aus seinem Kopf zu streichen wie den Gedanken, wie es sich anfühle würde, wenn er in Monte Carlo endlich mal gewinnen würde. "Der größte Teil der Arbeit ist getan. Am Sonntag müssen wir nur bei den beiden kritischen Momenten des Rennens alles richtig machen. Meine Starts waren in letzter Zeit gut. Und was die Strategie angeht sind wir heute ein stärkeres Team als wir es in der Vergangenheit waren."
Um 19.49 Uhr Ortszeit konnte Ferrari aufatmen. Die Sportkommissare ließen Sainz ohne Strafe davonkommen. Vasseurs große Sorge bewahrheitete sich nicht. "Hätte Carlos drei Plätze zurück müssen, hätten wir zwei McLaren im Genick gehabt. Dann hätten Norris und Piastri Doppelpass spielen können." Jetzt hat Leclerc mit Sainz einen Beschatter im McLaren-Sandwich.